Politik
Dr. Peter
Wehrenpfennig, seit 1970 als Facharzt für
Allgemeinmedizin im westfälischen Fröndenberg
niedergelassen, ist seit gut sieben Jahren Mitinitiator
eines Arzt-Apotheker-Gesprächskreises. Die PZ befragte
ihn nach seinen Erfahrungen mit diesem
interdisziplinären Forum.
PZ: Herr Dr. Wehrenpfennig, Sie
vertreten als Arzt die andere Seite des seit 1992
bestehenden Arzt-Apotheker-Gesprächskreises in
Fröndenberg. Wie hat alles angefangen?
Wehrenpfennig: Innerhalb eines
Gesprächskontaktes mit einem örtlichen Apotheker wurde
die Idee zu einem regelmäßigen Informationsaustausch
geboren. Hintergrund war die Diskussion über die damals
geplanten, uns alle verunsichernden Reformbestrebungen
von Minister Horst Seehofer.
PZ: Hatten Sie oder Ihre Kollegen
zunächst einmal Ressentiments oder Vorurteile nach dem
Motto: Wir wissen schon selber, was wir verschreiben. Da
brauchen wir keine Apotheker, die sich in unsere Therapie
einmischen wollen.
Wehrenpfennig: Vorbehalte zunächst ja.
Aber es wäre ein Mißverständnis zu glauben, daß sich
der Apotheker in die Therapie des Arztes einmischt. Das
würde ich auch nicht dulden. Nein, er soll uns umfassend
im Vorfeld unserer Arzneimittelauswahl beraten.
PZ: Sie treffen sich also etwa zwei- bis
dreimal pro Jahr zu einem kollegialen Gedankenaustausch.
Wie sind Ihre Erfahrungen? Gibt es Beispiele dafür, daß
die Pharmazeuten als Arzneimittelfachleute Ihnen Wissen
voraus hatten?
Wehrenpfennig: Generell bei der
Intransparenz des Arzneimittelmarktes durch Generika. Ich
denke da zum Beispiel auch an die Bewertung von
Arzneimittelgruppen wie Antibiotika oder Antiarrhythmika.
Wichtig ist auch die Kommunikation zwischen Arzt und
Apotheker, wenn es um arzneimittelabhängige Patienten
geht. Oder nehmen wir den großen Bereich der
Selbstmedikation. Hier wollen wir zur gegenseitigen
Information einen gemeinsam abgestimmten
Informationsbogen einsetzen.Und schließlich muß es
immer wieder um einen Erfahrungsaustausch über
gesundheitspolitische Maßnahmen gehen: Wie entwickelt
sich die Diskussion um den einheitlichen
Bewertungsmaßstab, oder wie steht es um die
Ausschöpfung des Arzneimittelbudgets?
PZ: Nun gehören Arzt und Apotheker in
einem eher kleinen Ort mit 20 000 Einwohnern ja immer
noch zu den Honoratioren, die sich vielleicht von anderen
karitativen oder privaten Gelegenheiten her kennen. Wie
müßte eine solche Institution in einer Großstadt
aufgezogen werden, damit sie die dortigen Arztkollegen
anspricht?
Wehrenpfennig: Meine Empfehlung:
Organisieren Sie sich zum Beispiel auf Stadtbezirksebene,
so daß die Gesprächsrunden nicht zu groß werden. Das
müßte doch möglich sein.
PZ: Das Gesundheitswesen ist ein Feld,
auf dem sich inzwischen viele tummeln. Zur
gesundheitlichen Betreuung der Menschen sind aber nicht
alle wirklich berufen und qualifiziert. Welche Aufgaben
und Kooperationsformen sind für Sie als Arzt - und hier
speziell in Zusammenarbeit mit den Apothekern - künftig
denkbar?
Wehrenpfennig: Denkbar sind
Kooperationen von Ärzten und Apothekern mit
Selbsthilfegruppen und Pflegediensten, Vorträge bei den
Volkshochschulen, gesundheitliche Aufklärung in
Kindergarten und Schulen oder öffentlichkeitswirksame
Veranstaltungen am "Tag der Gesundheit".
PZ: Können Sie sich vorstellen,
zusammen mit den Apothekern neben der fachlichen auch
eine ökonomische Verantwortung zu übernehmen?
Wehrenpfennig: Selbstverständlich. Wenn
uns die Apotheker Daten und deren Bewertung zu den von
uns verordneten Medikamenten zur Verfügung stellen
können.
PZ: In Schallplattengeschäften gibt es
heute keine Schallplatten mehr zu kaufen. In einem
zeitgemäßen Büro findet man keine Schreibmaschinen
mehr. Das sind also keine Visionen. Bald wird es auch
keine Papierrezepte mehr geben, und die neue Technik wird
den Ärzten immer neue Methoden ermöglichen. Wie
könnten sich Ihrer Meinung nach die Tätigkeiten der
freien Heilberufe ändern, wenn sich die
Computertechnologie so rasant weiterentwickelt?
Wehrenpfennig: Meine Hoffnung ist, daß
Arzt und Apotheker durch noch stärkeren Einsatz einer
fortentwickelten EDV und Kommunikationstechnologie von
dem administrativen Ballast befreit werden, damit wir uns
wieder verstärkt dem Patienten oder Kunden zuwenden
können. Das elektronische Rezept dürfte kommen, das
Papierrezept wird verschwinden, aber das Gespräch mit
dem kranken oder gesunden, ratsuchenden Menschen wird
bleiben.
PZ: Können Sie sich ein
Gesundheitswesen ohne Apotheker und ohne Apotheke
vorstellen?
Wehrenpfennig: Könnten Sie sich eines
ohne Arzt vorstellen? Deshalb ein klares Nein. Denn wie
bitte sollen alle Arzneimittel ohne direkte
Gesprächsmöglichkeit an den Patienten gelangen? Wer
macht den Apotheken-Notdienst? Was tritt an die Stelle
der psychosozialen Kontakte in der Apotheke? Gibt es dann
keine Rezepturarzneimittel mehr? Wird es
freiverkäufliche Arzneimittel nur noch im Supermarkt,
ohne Beratung geben? Wohin kann ich mich mit Fragen zum
Arzneimittel wenden? Fragen über Fragen. Nochmals: Ein
Gesundheitswesen ohne Apotheker und Apotheke darf und
wird es nicht geben. Ganz sicher aber muß sich die
Apotheke weiterentwickeln zu einem Informationszentrum
rund ums Arzneimittel, mit den Relationen Nutzen und
Risiko sowie Kosten und Nutzen.
In unserem Gesprächskreis jedenfalls werden nicht nur
konkrete Sachverhalte diskutiert. Es wird vielmehr eine
dauerhafte Vertrauensbasis geschaffen, so daß viel
häufiger und schneller als früher der Apotheker in
allen Patienten- und Arzneimittelfragen zu Rate gezogen
wird. Das ist der tiefere Sinn, und wir sehen darin einen
großen Fortschritt in unserer Zusammenarbeit.
PZ-Interview von Gisela Stieve, Eschborn
© 1996 GOVI-Verlag
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