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Der Querulant wird Verbandslobbyist

14.02.2005  00:00 Uhr
Gesundheitspolitik

Der Querulant wird Verbandslobbyist

von Thomas Bellartz, Berlin

Horst Seehofer gönnte sich zuletzt eine Auszeit. Nach der Demission aus der Unions-Fraktionsführung in Berlin plante der Bayer einen Coup, der vielen Parteifreunden nicht behagt: Seehofer wird in Kürze Chef des Sozialverbandes VdK in Bayern. Und von dort will er an die Spitze der Bundesorganisation.

Walter Hirrlinger kann es in diesen Tagen kaum besser gehen. Denn der frühere baden-württembergische Minister freut sich seit Wochen über ein steigendes Medieninteresse an dem von ihm geführten VdK-Bundesverband. Seit Seehofer für die Nachfolge Hirrlingers als Chef des 1,4 Millionen Mitglieder starken Verbandes ins Gespräch gebracht wurde, klingelt bei dem rast- und ruhelosen Hirrlinger das Telefon ohne Unterlass.

Der erste Schritt zur Übergabe des Zepters an Seehofer steht bereits Ende März ins Haus. Dann wird der stellvertretende Vorsitzende der Christlich Sozialen Union (CSU) auch zum Landesvorsitzenden des mitgliederstarken VdK-Landesverbandes Bayern werden. Mit einer halben Million Mitglieder, zumeist Rentnerinnen und Rentner, hinter sich wird Seehofer dann innerhalb von Stunden auf die große politische Bühne zurückkehren, der er vor einigen Wochen den Rücken gekehrt hat. Er wird dann nicht mehr nur als CSU-Abgeordneter im Bundestag und nicht mehr als CSU-Vorstandsmitglied agieren können, sondern für die Interessen seiner Organisation eintreten.

Die Schmähungen, die Seehofer vor allem aus den Reihen der großen Schwester CDU hatte hinnehmen müssen, wo er als ewiger Querulant zuletzt verschrien war, dürfte er mittlerweile verschmerzt haben. Zu gegensätzlich waren die Positionen von Union und ihrem verdientesten und profiliertesten Sozialpolitiker geworden. Seehofer war und ist ein erbitterter Gegner der Gesundheitsprämie Angela Merkels und das ist nur ein Gegensatz unter vielen. Er wusste: Sollte die Partei- und Fraktionsvorsitzende auch Kanzlerkandidatin für die Bundestagswahl 2006 werden, dann hat er keine Chance, das Gesundheitsressort von Ulla Schmidt (SPD) zu übernehmen.

Und so war die langwierige Inszenierung, mit der sich Seehofer Ende 2004 aus Berlin Stück für Stück verabschiedet hatte, nur das Läuten der Pausenglocke. Als Verbandslobbyist wird sich Seehofer nun offen für die Interessen seiner Mitglieder ins Zeug legen. Das dürfte ihm leicht fallen. Denn Seehofer ist nach der Aufgabe des Fraktionsvize nur einfaches Mitglied der Unions-Bundestagsfraktion sowie ordentliches Mitglied im Gesundheits- und Sozialausschuss des Bundestags.

Seit der von ihm selbst lyrisch verklärte »schönste Nacht« mit Ministerin Ulla Schmidt (SPD) verbindet die beiden zumindest gegenseitiger Respekt. Da dürfte so manche Tür im Ministerium für den Repräsentanten von möglichen 500.000 Wählerstimmen offener stehen als bislang. Auch wenn der Mann aus dem anderen politischen Lager kommt. Seehofer politisch kaltzustellen, wird Merkel nicht gelingen: Der frühere Gesundheitsminister ist in seinem Wahlkreis unumstritten und als CSU-Vize ohnehin das soziale Gewissen der bayerischen Volkspartei

Seehofer kann in der neuen Funktion mehr bewegen als dies zukünftig möglich gewesen wäre. Stoiber hat das klare Signal gesendet, er sei damit einverstanden, wenn der streitbare Sozialexperte die Spitze im bayerischen VdK übernehme. Alles andere hätte sich Seehofer ohnehin nicht bieten lassen. Zudem hat der bayerische Ministerpräsident in den vergangenen Monaten gezielt daran gearbeitet, die CSU als sozialen Eckpfeiler der Union zu positionieren. Die neue Funktion Seehofers dürfte dem nicht entgegenstehen.

Fusion in Planung

Frühestens im kommenden Jahr, wohl nicht mehr vor der nächsten Bundestagswahl, soll Seehofer dann Hirrlinger im Amt der VdK-Bundesorganisation folgen. Vorher will Hirrlinger noch eine Fusion unter Dach und Fach bringen. Gemeinsam mit dem Sozialverband Deutschland (SoVD) soll sich der VdK unter einem Dach zusammenfinden. Mit gemeinsam mehr als zwei Millionen Mitgliedern würde die neue Organisation, die sich zum überwiegenden Teil aus Rentnern rekrutiert, zu einer machtvollen Lobbytruppe im Lande ­ angeführt von Horst Seehofer.

Und so wittern schon einige CDU-Abgeordnete eine Gefahr, die tatsächlich auf sie zukommen könnte, wenn Merkel die bislang geplanten Reformen durchzuboxen versucht. Die Union braucht weitere Stimmen aus dem beständig wachsenden Rentnerlager, um Rot-Grün in Berlin abzulösen. So mancher sieht schon kommen, dass Seehofer auf Umwegen nun doch zum Zünglein an der Waage werden könnte.

Der Gescholtene selbst sitzt derweil in seinem Einfamilienhaus und genießt die ungebrochene Popularität in weiten Teilen der Bevölkerung und in der eigenen Partei. Wie Phoenix aus der Asche wird Seehofer Ende März wieder die öffentliche Bühne betreten. Mehr Journalisten, Fernsehstationen und auch mehr Politiker als je zuvor werden sich für eine Vorstandswahl des VDK-Bayern interessieren. Top

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