Experten erarbeiten Konsensuspapier |
31.05.1999 00:00 Uhr |
Obstipation ist eines der häufigsten gastroenterologischen Probleme. Circa 12 Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden unter seltenem Stuhlgang, hartem Stuhl, großen Pressanstrengungen bei der Defäkation und/oder einem Gefühl der unvollständigen Entleerung. Die medizinischen Kriterien für die Definition einer chronischen Obstipation sind erfüllt, wenn mindestens zwei dieser Beschwerden über mindestens drei Monate bestehen. Die Prävalenz der Obstipation ist bei Frauen zwei- bis dreimal so hoch wie bei Männern. Sie nimmt bei beiden Geschlechtern im Alter deutlich zu.
Der Umgang mit der Obstipation wird heute weitgehend bestimmt durch Selbstdiagnose und Selbstmedikation. Daher kommt dem Apotheker eine verantwortungsvolle und wichtige Rolle bei der Beratung und Aufklärung des Patienten, beim Erkennen der Grenzen der Selbstbehandlung und beim Erkennen von Mißbrauch zu. Die stetig abnehmenden Absatzzahlen der Laxantien über die letzten 20 Jahre - trotz Zunahme des Anteils der älteren Bevölkerung - lassen einen bewußteren Umgang mit Laxantien vermuten.
Kologene Obstipation
Pathophysiologisch läßt sich die Obstipation in drei Formen einteilen: Die kologene Obstipation (Slow-transit-Obstipation) beruht auf einer gestörten Balance zwischen propulsiven Kontraktionen und nicht-propulsiven Mischbewegungen und einem dadurch bedingten langsamen Transit des Darminhaltes durch das gesamte Kolon oder Teile des Kolons. Ursachen können Innervationsstörungen (Neuropathien in den intramuralen Nervenplexi, neurologische Erkrankungen), Nebenwirkungen von Medikamenten (zum Beispiel Opiate, Anticholinergika, Calciumantagonisten, Antacida), Muskel- und Bindegewebsveränderungen (zum Beispiel im Alter), hormonelle Einflüsse (zum Beispiel Schwangerschaft, Hypothyreose) und möglicherweise diätetische Probleme, zum Beispiel ballaststoffarme Kost.
Anorektale und idiopathische Obstipation
Die anorektale Obstipation (Defäkationsstörungen) kann auf strukturellen Veränderungen (Rektozele, Prolaps, Analstenosen, angeborene Verdickung des internen Analsphinkters) oder auf funktionellen Problemen (gestörte anorektale Motorik, verminderte Rektumsensibilität, gestörte Sphinkterkoordination) beruhen. Dabei ist schwierig zu beurteilen, was Ursache und was Folge ist. Bei vielen Patienten liegen auch Mischformen von kologener und anorektaler Obstipation vor.
Die sogenannte idiopathische Obstipation ist relativ häufig und umfaßt alle Fälle, bei denen diagnostisch kein pathophysiologischer Hintergrund feststellbar ist. Die Diagnose der Obstipationsformen ist anhand der klinischen Symptome und Zusatzuntersuchungen wie Transitzeitmessung, Proktoskopie und Sphinktermanometrie in spezialisierten Zentren möglich.
Ballaststoffe
Die gebräuchlichsten oralen Abführmittel werden nach ihrem Wirkprinzip in drei Klassen eingeteilt:
Ballaststoffe sind komplexe hochmolekulare Gemische. Je nach Zusammensetzung und Anteil an löslichen beziehungsweise unlöslichen Komponenten binden sie mehr oder weniger Wasser, das heißt sie quellen auf oder beeinflussen die Transportgeschwindigkeit durch den mechanischen Reiz der unlöslichen Partikel. Die meisten medizinisch eingesetzten Ballaststoffe sind weitgehend löslich.
Eine gut ausbalancierte ballaststoffreiche Nahrung enthält dagegen ein Gemisch mit circa zwei Dritteln unlöslicher Ballaststoffe und einem Drittel löslichen. Ein solches Verhältnis findet man bei therapeutischen Ballaststoffpräparaten auf Basis von Plantago-ovata-Samen. Der Effekt auf das Stuhlgewicht ist in hohem Maße nicht durch das Quellvermögen, sondern durch den Grad der fehlenden Abbaubarkeit durch die Dickdarmbakterien bestimmt. Leicht abbaubare Ballaststoffe haben keinen oder nur einen geringen Effekt auf Stuhlgewicht und -konsistenz.
Osmotisch wirksame Laxantien
Osmotische Laxantien umfassen schwer resorbierbare Salze (Bittersalz, Glaubersalz), Zucker beziehungsweise Zuckeralkohole, zum Beispiel Laktulose oder Laktitol). Sie halten osmotisch Wasser im Darm zurück und führen damit zur Stuhlerweichung. Die Zucker beziehungsweise Zuckeralkohole werden allerdings sehr schnell im Dickdarm durch die Darmbakterien in kurzkettige Fettsäuren (Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure und Milchsäure) gespalten, die leicht resorbiert werden und dadurch dem Darm ebenfalls aus osmotischen Gründen viel Wasser entziehen, also einen antilaxativen Effekt haben. Ein laxativer Effekt der Laktulose wird daher erst wirksam, wenn die Metabolisierungskapazität der Bakterienflora überschritten ist und unverdaute Laktulose ausgeschieden wird.
Die beim fermentativen Abbau entstehenden Gase sind für die Nebenwirkungen (Blähungen) verantwortlich. Die durch die Spaltung freiwerdende Energie nutzen die Bakterien zum Wachstum. Dies führt zu der sogenannten Adaptation, das heißt bei chronischer Laktulosegabe wachsen die laktuloseverdauenden Bakterien bevorzugt und die Abbaukapazität für Laktulose erhöht sich, was zu einer Abnahme des laxativen Effektes führt. Bei langsamem Colontransit steht der bakteriellen Spaltung der Laktulose zudem mehr Zeit zur Verfügung, was die Wirksamkeit weiter reduziert.
Das synthetische Polymer PEG 3350 (Macrogol) ist aufgrund seines hohen Molekulargewichts osmotisch nur mäßig wirksam, die Wasserretention wird jedoch durch ein gewisses Wasserbindungsvermögen verstärkt und es wird durch die Dickdarmflora nicht abgebaut.
Motilitäts- und sekretionsbeeinflussende Substanzen
Die pflanzlichen anthranoidhaltigen Laxantien (Senna, Aloe, Cascara, Frangula, Rheum) und synthetischen Triarylmethan-Derivate (Bisacodyl, Natriumpicosulfat, Phenolphthalein) zählen zu den motilitäts- und sekretionsbeeinflussenden Arzneistoffen. Senna ist das am besten untersuchte Laxans. Die Wirkstoffe sind die Sennoside (b-glykosidisch gebundene isomere Dianthrone). Sie werden nicht resorbiert und erst im Dickdarm durch die Darmbakterien in den pharmakologisch aktiven Metaboliten gespalten, der die nicht-propulsiven Kontraktionen hemmt und die propulsiven Kontraktionen verstärkt, so daß es zu einem beschleunigten Transit und einer Verringerung der Wasserrückresorption kommt.
Bisacodyl hat ebenfalls einen direkten motilitätsbeeinflussenden Effekt, die sekretagoge Wirkung scheint jedoch stärker ausgeprägt zu sein als bei den Sennosiden. Die Wirkung von Natriumpicosulfat beruht auf demselben aktiven Metaboliten wie beim Bisacodyl. Dieser entsteht beim Natriumpicosulfat allerdings erst mit Hilfe bakterieller Enzyme im Dickdarm, während beim Bisacodyl eine hydrolytische Spaltung ausreichend ist, die bereits im Dünndarmlumen zum Tragen kommen kann. Bisacodyl induziert daher bereits im Dünndarm einen schnelleren Transit und eine Flüssigkeitssekretion, soweit es schon im Dünndarm aus seiner galenischen Form freigesetzt wird.
Wenig toxikologische Untersuchungen
Die Sicherheit von Laxantien vor allem für den Langzeitgebrauch ist vieldiskutiert. Die meisten Laxantien sind schon seit sehr langer Zeit im Handel und toxikologische Untersuchungen entsprechend aktueller Zulassungsanforderungen sind für die meisten nicht beziehungsweise nur unvollständig vorhanden. Eine Ausnahme bilden Senna und seine Wirkstoffe sowie Macrogol.
Eine akute Gabe von Sennosiden, Bisacodyl oder Natriumpicosulfat ist erst in sehr hohen oralen Dosen (über 2,0 g/kg) an Maus und Ratte toxisch. Chronische Toxizitätsuntersuchungen über maximal sechs Monate an Ratte und Hund sind nur für Sennoside verfügbar. Diese zeigen keine spezifischen toxischen Effekte, und auch keine neuronalen Veränderungen in den intestinalen Nervenplexi. Tierexperimentell kann durch Sennoside auch bei Langzeitapplikation hoher Dosen, die eine Diarrhoe hervorrufen, keine Hypokaliämie und keine Gewöhnung beobachtet werden. Dies spricht dafür, daß die Elektrolyt- und Flüssigkeitsaufnahme durch eine ausgeglichene Diät und bei normaler Nahrungsaufnahme und Nierenfunktion ausreichend ist, um die Diarrhöe-bedingten Verluste auszugleichen und Sekundärfolgen zu vermeiden. Für Bisacodyl ist jedoch im Rattenversuch eine Abnahme des sekretorischen Effektes nach dreiwöchiger Gabe beschrieben.
Tierexperimentelle Untersuchungen hinsichtlich Embryotoxizität, Teratogenität, Fetotoxizität, postnataler Entwicklung und Fertilität liegen vollständig für Sennoside und in eingeschränktem Maße für Bisacodyl, Natriumpicosulfat und Phenolphthalein vor. Mit Ausnahme des Phenolphthaleins, das aufgrund seiner mutagenen Eigenschaften bedenklich ist, sind alle Befunde negativ. Elektromyographische Zusatzuntersuchungen zeigen keine Stimulation der Uteruskontraktionen durch Sennoside am trächtigen Tier. Ein abortives Risiko durch Senna ist somit nicht erkennbar.
Ausgelöst durch tierexperimentelle Befunde kanzerogener Effekte von Danthron, einem leicht resorbierbaren synthetischen Anthrachinon, und Phenolphthalein wurde die gesamte Stoffklasse der Anthranoide und die der Triarylmethan-Derivate in den letzten Jahren intensiv auf gentoxische und kanzerogene Risiken untersucht. Danthron wurde 1987 weltweit und Phenolphthalein 1997 in den USA und weiteren Ländern aus dem Handel genommen.
Sennoside und ihr aktiver Metabolit (Rhein) erwiesen sich in einem breiten Spektrum von Tests auf Genotoxizität in vitro und in vivo als unbedenklich. Langzeitkanzerogenitätsstudien mit einem Sennaextrakt beziehungsweise Rhein zeigten kein kanzerogenes Risiko auf. Die aktiven Metaboliten der anderen anthranoidhaltigen Laxantien (Aloeemodin, Emodin) waren dagegen zum Teil in vitro mutagen, nicht jedoch in vivo. In einer Reihe von Untersuchungen wurde sogar eine antimutagene und antikanzerogene Wirkung von Rhein, Emodin und Aloeemodin nachgewiesen.
Insgesamt ist die experimentelle Datenlage für Senna ausreichend, um ein genotoxisches und kanzerogenes Risiko auszuschließen. Für die dem Phenolphthalein verwandten Substanzen Bisacodyl und Natriumpicosulfat ist derzeit keine abschließende Beurteilung möglich; die bisher vorliegenden Daten lassen jedoch kein Risiko erkennen.
In mehreren epidemiologischen Studien wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen Obstipation, Laxantien und Kolonkarzinom untersucht. Hypothetisch stellt die Obstipation durch langsamen Transit wegen der längeren Verweildauer von kanzerogenen Stoffen im Dickdarminhalt ein Risiko dar. In den epidemiologischen Studien wurden leicht erhöhte Risiken sowohl für Obstipation als auch für einen Laxantiengebrauch gefunden, die jedoch bei Bereinigung um eventuell zugrundeliegende Diätfaktoren im allgemeinen verschwanden.
Diätfaktoren (vor allem fleisch- und fettreiche, ballaststoffarme Kost) stellen circa 50 Prozent des Gesamtrisikos für die Entstehung eines Kolonkarzinoms dar. Eine Subgruppenanalyse für verschiedene Laxantienklassen ergab kein spezifisches Risiko.
In mehreren retrospektiven und prospektiven klinischen Studien wurde darüberhinaus kein Zusammenhang zwischen Kolonkarzinom und Laxantiengebrauch beziehungsweise Pseudomelanosis coli (PMC) als Marker für eine längere Anthranoidlaxantien-Einnahme gefunden. In der einzigen Studie, die eine signifikante Assoziation von PMC und Kolonkarzinom feststellte, war jedoch kein vermehrtes Auftreten von Adenomen und daher kein Zusammenhang mit der kolorektalen Adenom (Dysplasie)-Karzinom-Sequenz erkennbar. Die PMC ist ein zweifelhafter Marker sowohl hinsichtlich der Anthranoidspezifität als auch hinsichtlich des Nachweises eines Laxantiengebrauchs zum Zeitpunkt der malignen Transformation der Kolonzelle, die 10 bis 15 Jahre vor Entdeckung des Karzinoms zurückzudatieren ist.
Tierexperimentell ist nachgewiesen, daß auch andere Laxantien entsprechende Pigmentierungen der Kolonmukosa verursachen. Durch Auslaßversuche ist aus klinischen Untersuchungen bekannt, daß eine PMC innerhalb von 6 bis 12 Monaten nach Beginn einer Anthranoidlaxantien-Einnahme auftritt und nach Absetzen innerhalb eines ähnlichen Zeitraumes wieder verschwindet. Eine PMC zum Zeitpunkt der Entdeckung des Karzinoms belegt eine Laxantieneinnahme einigermaßen zuverlässig nur für das vorhergehende Jahr. Die PMC selbst wird übereinstimmend als harmlos eingeschätzt.
Laxantien werden wie alle anderen Medikamente mißbraucht
In der Risikodiskussion um die Laxantien spielt der Laxantienabusus eine große Rolle. Er wird häufig mit dem chronischen Gebrauch von Laxantien gleichgestellt. Dies ist nicht gerechtfertigt. Ein Laxantienabusus liegt vor, wenn Laxantien trotz fehlender Indikation (Obstipation) eingenommen werden bzw. wenn sie bei bestehender Indikation in Überdosierung eingesetzt werden. Laxantien können -wie alle anderen Arzneimittel auch- mißbraucht werden. Im Gegensatz zu anderen Arzneimitteln kann der Mißbrauch jedoch sehr leicht anhand der resultierenden Diarrhöe festgestellt werden.
Bewußter Laxantienabusus muß von einem eher unabsichtlichen Fehlgebrauch unterschieden werden. Ein Fehlgebrauch basiert häufig auf einem mangelnden Verständnis der normalen Darmfunktion und der individuellen Varianzbreite der Stuhlgewohnheiten. Bei diesem Personenkreis ist Aufklärung hilfreich.
Bei einem eigentlichen Laxantienabusus ist der primäre Zweck der Laxantieneinnahme nicht Behebung einer -meist gar nicht vorhandenen- Obstipation. Er wird daher im allgemeinen nicht von psychisch gesunden obstipierten Personen betrieben. Ein Laxantienmißbrauch ist häufig bei jüngeren Frauen festzustellen, die das Laxans als Mittel zur Gewichtsabnahme ansehen (was es nicht leistet) beziehungsweise bei Personen mit psychischen Problemen und Eßstörungen, die sich als Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa manifestieren. Schließlich gibt es noch eine Gruppe von psychisch gestörten Patienten, die mit Hilfe von Abführmitteln eine schwere chronische Diarrhöe induzieren, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erregen. Diese nehmen über Jahre Krankenhauseinweisungen, aufwendige Diagnostiken und Operationen auf sich. In allen Fällen, die mit psychischen Problemen verbunden sind, erfolgt die Laxantieneinnahme heimlich, es werden extreme Überdosen (bis zum 100fachen der Tagesdosierung) eingenommen und die Patienten sind gegenüber Aufklärung uneinsichtig. Häufig werden auch andere Arzneimittel (Diuretika) zusätzlich mißbraucht. Generell können alle Abführmittel mißbraucht werden. Der Personenkreis mit absichtlichem Mißbrauch bevorzugt jedoch im allgemeinen Darreichungsformen wie kleine Tabletten oder Tropfen, die diskret in großen Mengen eingenommen werden können. In Einzelfällen wurde schwerwiegender Mißbrauch mit sorbithaltigen Kaugummis betrieben. Trotz extremen Mißbrauchs dauert es oft Jahre, bis auffällige Krankheitszustände erreicht werden.
Teufelskreis bei eingeschränkter Nahrungsaufnahme
Ein Teufelskreis etabliert sich vorwiegend bei den Laxantien-Abusern, die gleichzeitig ihre Nahrungsaufnahme stark einschränken oder Nahrung und Flüssigkeit über das Induzieren von Erbrechen dem Körper wieder entziehen. Hier ist ein Ersatz des mit der Diarrhöe verbundenen Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes durch die Nahrung oder Flüssigkeitsaufnahme nicht ausreichend möglich. Es kann zur Hypokaliämie, einem sekundären Hyperaldosteronismus mit der Folge einer "Gewöhnung" (Abnahme des laxativen Effektes durch hormonelle Gegenregulation) und Dosiserhöhung, Herzrhythmusstörungen und Nierenversagen kommen. Dies sind jedoch - angesichts der großen Anzahl von "normalen" Laxantienverwendern in der Bevölkerung - seltene und extreme Ausnahmefälle, die nichts mit einem therapeutischen Einsatz von Laxantien bei Obstipation zu tun haben.
Rationale Therapie der Obstipation
Zu den Basismaßnahmen der Behandlung einer Obstipation gehören Aufklärung über die Bandbreite der physiologischen Stuhlfrequenz und das Nehmen der Furcht vor einer Autointoxikation. Laxantien sind keine Mittel zur Gewichtsabnahme, zum "Entschlacken" oder um das allgemeine Wohlbefinden zu Heben. Es sind Medikamente, die nur gezielt und möglichst vorübergehend eingesetzt werden sollten.
Die häufigsten Ratschläge bei Obstipation sind allgemeine Maßnahmen wie zum Beispiel regelmäßige Toilettensitzungen, mehr körperliche Aktivität, mehr Trinken, Umstellung auf eine ballaststoffreiche Diät, Vermeiden von stopfenden Nahrungsmitteln. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist allerdings beschränkt oder in Studien nicht belegt. Es ist zwar bekannt, daß eine Unterdrückung des Stuhldranges, eine geringe Flüssigkeitszufuhr und Bettlägerigkeit Risikofaktoren für eine Verstopfung darstellen, jedoch helfen mehr Flüssigkeitsaufnahme und eine vermehrte körperliche Aktivität kaum, eine bereits bestehende Obstipation wieder aufzuheben. Sie sind eher für die Prophylaxe einer Obstipation und als Begleitmaßnahmen nützlich.
Eine ballaststoffarme Ernährung gilt als weiterer Prädispositionsfaktor einer Obstipation. Die Erhöhung der Ballaststoffzufuhr erhöht zwar im allgemeinen das Stuhlgewicht und die Stuhlfrequenz, der Effekt ist bei gesunden Personen jedoch größer als bei Obstipierten und bei schweren Obstipationen im allgemeinen nicht ausreichend. Bei Patienten mit "schwerem langsamem Transit" ist ein Ballaststofftest und das Nichtansprechen auf eine Ballaststofftherapie bereits ein diagnostisches Mittel. Eine Ballaststofftherapie alleine ist jedoch in vielen Fällen einer milden chronischen Obstipation aussichtsreich. Der Erfolg ist nicht sofort, sondern erst nach mehreren Tagen zu erwarten.
Eine kausale Therapie der Obstipation ist durch Absetzen von Medikamenten mit obstipierenden Nebenwirkungen möglich. Die Gefahr einer medikamentös bedingten Obstipation ist speziell bei geriatrischen Patienten mit Multimorbidität und Multimedikation gegeben, allerdings kann nicht immer abgesetzt werden. Dieser Personenkreis ist durch Immobilität und eingeschränkte Nahrungszufuhr zusätzlich prädisponiert. Ist eine Obstipation Folge von Erkrankungen, beispielsweise endokrinen Störungen, kann sie durch adäquate Behandlung der zugrundeliegenden Krankheit (Hormonsubstitution) beseitigt werden.
Liegt eine Defäkationsstörung im Zusammenhang mit der Sphinkterkoordination vor, ist in vielen Fällen Biofeedback-Training hilfreich. Psychische Faktoren können für das gestörte Stuhlverhalten mitverantwortlich sein (übersteigertes Kontinenzverhalten, Stuhlretention zur Erlangung von mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung, somatische Reaktion auf schwerwiegende emotionale Ereignisse). In Einzelfällen kann eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll sein.
In Ausnahmefällen, bei Patienten mit schwerem langsamem Transit, können chirurgische Maßnahmen (zum Beispiel Kolonresektion) erforderlich werden, die jedoch selten den gewünschten Erfolg bringen.
Laxantien sind bei Obstipation oft die beste Lösung
In den meisten Fällen von Obstipation ist die Gabe von Laxantien die beste Lösung. Die Auswahl basiert auf der Schwere der Obstipation, möglichen Nebenwirkungen und der Compliance der Patienten. Ein Erstversuch mit reinen Ballaststoffpräparaten ist im allgemeinen gerechtfertigt. Falls dies keine ausreichende Wirkung erbringt, sind Kombinationen eines Stimulans mit einem Ballaststoff oder osmotische Laxantien angebracht. Eine tägliche Laxantiengabe sollte vermieden werden, da nach gründlicher Stuhlentleerung der nächste Stuhlgang am folgenden Tag ohnehin nicht zu erwarten ist. Bei chronischer Behandlung sollten Auslaßversuche eingeplant werden, um das Fortbestehen der Obstipation zu überprüfen.
Eine Nicht-Behandlung der Obstipation kann zu Komplikationen führen, zum Beispiel Stuhlimpaktion mit Überlaufinkontinenz, Beckenbodensenkung und Pudendusschädigung durch starkes Pressen und Analfissur. In seltenen Fällen kann sich ein Ileus manifestieren. Eine Obstipation sollte daher nicht ignoriert werden.
Noch immer Aufklärungsbedarf
Eine Obstipation ist ein häufiges und für den Patienten ernsthaftes Problem. Die individuelle Ursache ist oft wenig bekannt, liegt aber sicherlich seltener in einer inadäquaten Lebensführung des Patienten als gemeinhin unterstellt wird. Seitens des Patienten ist Aufklärungsbedarf über den physiologischen und individuellen Spielraum der Stuhlgewohnheiten vorhanden. Auf diese Weise lassen sich unabsichtliche Fehlanwendungen von Laxantien vermeiden. Seitens der nicht-spezialisierten Ärzte besteht Aufklärungsbedarf über die vielfältigen Ursachen der Obstipation, der Diagnostizierbarkeit der verschiedenen Formen und deren spezifische Therapie. Da die Obstipation eine Domäne der Selbstdiagnose und Selbstmedikation ist, hat der Apotheker eine höchst verantwortliche Rolle bei Beratung, Aufklärung, Erkennen von Risiken und Grenzen der Selbstbehandlung.
Sind die Ursachen der Obstipation bekannt und lassen sie sich ausschalten, ist dies die adäquate Therapie. Besteht diese Möglichkeit nicht, ist im allgemeinen - neben wenigen spezifischen Behandlungsmethoden - eine medikamentöse Therapie mit Laxantien angebracht. Diese sollte dem Schweregrad der Obstipation angemessen sein. Wenn ein Laxans so dosiert wird, daß ein Stuhl mit physiologischer, das heißt weicher, nicht flüssiger Konsistenz ausgeschieden wird, besteht kein Risiko von unphysiologischen Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten oder eine Schädigung des Darmes; wahrscheinlich auch nicht bei chronischer Behandlung. Galenische Formen mit Feinabstufungsmöglichkeiten in der Dosierung (Granulat, Tropfen) verhindern individuelle Überdosierungen, wie sie bei fixen Dosen möglich sind. Bei rationaler und indikationsgerechter Anwendung sind Laxantien sichere Arzneimittel. Allerdings sollte die Notwendigkeit der Therapie immer wieder überprüft werden und unterstützende Begleitmaßnahmen im Sinne einer gesunden Lebensführung getroffen werden.
Das Expertenforum
Das Expertenforum besteht aus: Professor Dr. Gerhart Hitzenberger, Wien, Stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Pharmakologie (Moderator), Professor Dr. Eckhard Beubler, Pharmakologe und Toxikologe aus Graz, Professor Dr. Wilhelm Fleischhacker, Pharmazeutischer Chemiker aus Wien, Professor Dr. Michael Fried, Klinischer Gastroenterologe aus Zürich, Apotheker Heinz Haberfeld, Baden, Professor Dr. Günter Kreis, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, Graz, Dr. Elke Leng-Peschlow, Pharmakologin aus Köln, Dr. Ulrich Mengs, Toxikologe, Köln, Professor Dr. Stefan Müller-Lissner, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie aus Berlin und Privatdozent Dr. Dr. Gerhard Nusko, Klinischer Gastroenterologe aus Erlangen.
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