Pharmazeutische Zeitung online

Neues Antipsychotikum soll dopaminerge Dysbalance ausgleichen

24.11.2003  00:00 Uhr
Aripiprazol

Neues Antipsychotikum soll dopaminerge Dysbalance ausgleichen

von Patrick Hollstein, Berlin

Seit der Entdeckung des Chlorpromazins vor etwa 50 Jahren zielten die nachfolgenden Antipsychotika auf einen Dopamin-Antagonismus an D2-Rezeptoren ab. Als erster Vertreter einer neuen Klasse von atypischen Neuroleptika verspricht der partielle Dopaminagonist Aripiprazol eine bessere Verträglichkeit. Das Medikament wird voraussichtlich Ende des Jahres auf den Markt kommen.

Bei schizophrenen Patienten ist der Dopamin-Stoffwechsel im Gehirn gestört. Der Überschuss des Neurotransmitters im mesolimbischen System gilt als Ursache für die so genannten Plussymptome der Erkrankung. Dazu zählen Wahn, Halluzinationen und Desorganisation. Die so genannten Minussymptome wie Affektverarmung, Antriebsverlust, Aufmerksamkeitsstörungen und sozialer Rückzug lassen sich demgegenüber wahrscheinlich auf eine Erniedrigung des Dopamin-Spiegels im mesocorticalen System zurückführen. Sie ließen sich mit den antidopaminergen Antipsychotika, vor allem mit den klassischen Neuroleptika, bislang kaum positiv beeinflussen. So reduzieren die klassischen Antipsychotika zwar effektiv die Plussymptomatik der Schizophrenie. Auf die Minussymptome haben sie jedoch nur eine minimale Wirkung oder tragen sogar zu einer Verschlimmerung bei.

Da Dopamin darüber hinaus in weitere Systeme als Neurotransmitter involviert ist, treten bei einer rein antagonistischen Medikation unterschiedliche dosisabhängige Nebenwirkungen auf. Im Vordergrund stehen dabei extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen (nigrostriatal bedingt), kognitive und affektive Störungen (mesolimbisch bedingt) sowie eine Erhöhung des Prolaktin-Spiegels (hypophysär bedingt).

Die klinischen Vorteile der atypischen Neuroleptika (Besserung der negativen und kognitiven Symptome, bessere antidepressive und stimmungsstabilisierende Wirkung, bessere Wirksamkeit bei ansonsten therapierefraktären Patienten, geringeres Risiko für Nebenwirkungen wie Parkinson und Spätdyskinesie) ließen sich bislang nicht hinreichend erklären. Möglicherweise wirkt eine anticholinerge Komponente ausgleichend. Darüber hinaus blockieren Atypika selektiver die Dopaminrezeptoren im mesolimbischen System als die klassischen Antidepressiva. Die ausgeprägte antagonistische Wirkung einiger atypischer Neuroleptika soll ebenfalls vor extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen schützen.

Partieller Agonist stabilisiert System

Partielle Dopaminagonisten verhalten sich an postsynaptischen Rezeptoren zwar eher wie Antagonisten, entfalten jedoch eine gewisse intrinsische Aktivität. Unter hyperdopaminergen Bedingungen schwächen sie daher die Wirkung des Neurotransmitters ab, während sie bei Dopaminmangel eine agonistische Wirkung entfalten. Auf diese Weise sinkt die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen, die auf einen reinen Rezeptor-Antagonismus zurückzuführen sind.

Mit Aripiprazol stellten Otsuka Pharma und Bristol-Myers Squibb nun den ersten partiellen Dopaminrezeptor-Agonisten vor, der mit sehr hoher Affinität an D2-Rezeptoren bindet und dessen antipsychotische Wirksamkeit belegt ist. In überaktiven dopaminergen Bahnen (mesolimbisches System) bessert die Substanz die Positivsymptomatik der Schizophrenie, ohne nigrostriatales System und Hypophyse negativ zu beeinflussen. Aripiprazol führt laut Hersteller weder zu ausgeprägten extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen noch zu einer Hyperprolaktinämie. Durch ihre partiell agonistische Wirkung in den mesocorticalen Bahnen soll die Substanz sogar die Negativsymptomatik der Schizophrenie erfolgreich beeinflussen.

Darüber hinaus wirkt die Substanz als Antagonist an serotonergen 5-HT2A-Rezeptoren. Der partiell agonistische Effekt an 5-HT1A-Rezeptoren wird mit einer anxiolytischen und antidepressiven Wirkung in Zusammenhang gebracht. Auf histaminerge H1-Rezeptoren sowie auf a- und b-adrenerge und cholinerge Rezeptoren wirkt Aripiprazol kaum.

Besseres Nebenwirkungsprofil

In verschiedenen klinischen Kurz- und Langzeitstudien wurde Aripiprazol mit Placebo beziehungsweise der konservativen Arzneimitteltherapie verglichen. Bei Tagesdosen ab 15 Milligramm (vergleichbare Wirksamkeit für 15 mg, 20 mg, 30 mg) konnte innerhalb von sechs Wochen gegenüber Placebo eine statistisch bessere antipsychotische Wirksamkeit nachgewiesen werden. Die Besserung gegenüber Placebo war der Wirkung vergleichbar, die unter therapeutischen Dosen mit Haloperidol oder Risperidon erreicht wird. Bereits nach einer Therapiewoche wurde eine signifikante Besserung der Positiv- und der Negativsymptomatik beobachtet.

Die bei der Behandlung mit einer Reihe anderer Antipsychotika beobachteten Stoffwechselveränderungen fielen bei Aripiprazol günstiger aus. So nahmen in Kurzzeitstudien die Patienten nur minimal zu. In der Langzeitbeobachtung entsprach das Ausmaß der Gewichtsveränderung der unter Haloperidol. Die Wirkung von Aripiprazol auf die Plasmalipide war neutral oder günstig. Es ergab sich kein Hinweis auf eine Beeinflussung des Glukosestoffwechsels. Weder nach einer Kurzzeittherapie noch nach einer Langzeitbehandlung wurde eine signifikante QTc-Verlängerung beobachtet. Die Inzidenz von Somnolenzen war gering. Die Therapie mit Aripiprazol führt zu keiner Hyperprolaktinämie. Extrapyramidalmotorischen Störungen traten nicht öfter auf als unter Placebo.

Einsatz im klinischen Alltag geprüft

In einer weltweiten multizentrischen, offenen Studie wurde die Wirksamkeit von Aripiprazol im klinischen Alltag an einer breiten Patientenpopulation untersucht. In den USA nahmen über einen Zeitraum von acht Wochen 1600 Patienten mit Schizophrenie oder schizoaffektiven Störungen an der so genannten BETA-Studie (Broad Effectiveness Trial on Aripiprazol) teil. Für die Patienten war im Vorfeld eine Umstellung der antipsychotischen Therapie oder eine Neueinstellung notwendig geworden. 1300 Patienten erhielten zunächst täglich 15 mg Aripiprazol, wobei die Dosis im Laufe der Studie angepasst werden konnte. 300 Patienten wurden von ihrem Arzt mit anderen Antipsychotika behandelt, die als Kontrollsubstanz dienten. 55 Prozent der Probanden sprachen auf die Therapie mit Aripiprazol an, wohingegen der Durchschnitt in der Kontrollgruppe nur etwa 35 Prozent betrug. 65 Prozent der Patienten der Aripiprazol-Gruppe gegenüber 57 Prozent der Kontroll-Gruppe beendeten die Studie. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren Übelkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerz und Angstgefühl, wobei deren Ausmaß im Verlauf der Behandlung abnahm. Studienabbrüche auf Grund von Nebenwirkungen waren selten und vergleichbar mit Placebo.

Die Ergebnisse eines deutschen Arms der BETA-Studie sollen im nächsten Jahr vorgestellt werden. In den USA ist Aripiprazol unter dem Markennamen Abilify (Otsuka Pharma, Bristol-Myers Squibb) bereits seit einem Jahr zugelassen. Die europäische Zulassung wurde bei der EMEA beantragt. Top

© 2003 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa