Blutgerinnungszeit selbst bestimmen |
07.02.2000 00:00 Uhr |
Zwischen Scilla und Charybdis segeln Patienten, die langfristig orale Antikoagulantien einnehmen. Die Verlängerung der Blutgerinnungszeit senkt das Risiko thromboembolischer Ereignisse, erhöht aber das Blutungsrisiko. Daher müssen die Gerinnungswerte regelmäßig überprüft werden. Heute ist auch die Selbstmessung etabliert. Sie senkt sogar die Komplikationsrate.
Mitte der achtziger Jahre waren Patienten wie Heike Möller-Jung eine absolute Ausnahme. Nach einer Herzklappen-Operation 1985 musste die junge Frau dauerhaft orale Antikoagulantien einnehmen, beschloss aber sehr schnell, ihre Blutgerinnungswerte selbst zu bestimmen. Ihre langjährige Erfahrung gibt sie heute an andere Patienten weiter, als Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Selbstkontrolle der Antikoagulation (ASA).
Rund eine halbe Million Menschen in Deutschland nimmt Antikoagulantien, etwa 350.000 davon dauerhaft. Gründe für die Verordnung: bei etwa 155.000 Patienten eine Thrombophilie (Thromboseneigung), bei 110.000 Menschen eine künstliche Herzklappe und bei etwa 50.000 Vorhofflimmern. Diese Zahlen nannte Privatdozent Dr. Völler, Berlin, Vorsitzender der ASA, bei den Elmauer Gesprächen der Firma Roche Diagnostics. Die Therapie soll wöchentlich kontrolliert werden, riet Völler. Zwischen 2 und 4,5 soll der INR-Wert liegen (je nach Indikation). Bei Gerinnungswerten außerhalb des therapeutischen Bereichs muss die Medikation angepasst werden.
Weniger Komplikationen
Welche Vorteile bringt die Selbstkontrolle? Nach einer Umfrage bei Patienten macht sie unabhängiger von den wöchentlichen Besuchen beim Hausarzt, gibt mehr Freiheit auf Reisen und vor allem größere medizinische Sicherheit. Außerdem schont sie die Venen. Der Hausarzt bestimmt den Wert aus dem Venenblut, bei der Selbstmessung nimmt man Kapillarblut.
Dass die Selbstmessung sicher ist, zeigte die ESCAT-Studie (Early Self Controlled Anticoagulation Trial), die 1184 Patienten mit künstlichen Herzklappen zwei Jahre lang beobachtete*). 590 davon kontrollierten ihren Gerinnungsstatus selbst, die restlichen 594 wurden konventionell vom Hausarzt betreut. Bei der Selbstkontrollgruppe lagen 79 Prozent der Messwerte im Zielbereich gegenüber 55 Prozent in der konventionell betreuten Gruppe. Das hat handfeste Vorteile: Die Selbstkontrollpatienten mussten seltener wegen thromboembolischer Komplikationen ins Krankenhaus (19 Patienten versus 33 in der konventionellen Gruppe).
Schulung ist nötig
Nach Völlers Erfahrung können Patienten mit ausreichender manueller Geschicklichkeit, Sehkraft und genügend Motivation das Selbstmanagement erlernen. Jüngere Patienten nach Herzklappenoperation seien dazu eher bereit als zum Beispiel Patienten mit Vorhofflimmern, obwohl dieses das Risiko für einen Schlaganfall um das 17fache erhöht.
Notwendig ist in jedem Fall eine Schulung. Dafür hat die ASA ein zweieinhalbstündiges Programm entwickelt. Der Apotheker kann helfen, die Scheu vor dem Messgerät abzubauen, sagte Apotheker Manfred Krüger aus Krefeld in der Diskussion. "Wir können dem Patienten klarmachen, wie einfach die Messung eigentlich ist." Weiterer Service: Apotheken können die Adressen nahe gelegener Schulungseinrichtungen weitergeben (zu erfahren unter www.roche.de/gerinnung oder der Service-Hotline Tel. 01802/000164; Fax 0621/7594463).
Die Messgeräte (zum Beispiel CoaguChek® S; Roche Diagnostics) sind in Apotheken und im Fachhandel erhältlich. Bei bestimmten Indikationen übernehmen die Krankenkassen die Kosten für das Gerät, wenn der Arzt die Notwendigkeit einer langfristigen Gerinnungshemmung bescheinigt und der Patient ein Zertifikat über die erfolgreiche Teilnahme an einer ärztlich geleiteten Schulung vorlegt.
*) zit. nach Sonderbericht Antikoagulation. MMW-Fortschr. Med. Nr. 4/2000, S. 52.
:
© 2000 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de