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Levonorgestrel bald als OTC-Arzneimittel

15.12.2003  00:00 Uhr

PHARMAZIE

Pille danach

Levonorgestrel bald als OTC-Arzneimittel

 

von Patrick Hollstein, Berlin

Auf Grund ihres effektiven und nebenwirkungsarmen Wirkprofils sind in vielen europäischen Ländern reine Levonorgestrel-Präparate zur Notfallkontrazeption bereits nicht mehr verschreibungspflichtig. Dies könnte auch bald in Deutschland der Fall sein.

Zu einer Schwangerschaft kann es kommen, wenn der Geschlechtsverkehr bis zu fünf Tage vor (Überlebenszeit der Samenzellen) und einen Tag nach (Überlebensfähigkeit der Eizelle) dem Eisprung stattfindet. Nach einmaligem ungeschützten Geschlechtsverkehr ein bis zwei Tage vor der Ovulation liegt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft für eine Frau im gebärfähigen Alter bei durchschnittlich 8 Prozent. Bei jungen Frauen im Alter zwischen 19 und 26 Jahren (größte Fertilität) beträgt die Schwangerschaftsrate bis zu 50 Prozent.

Notfallkontrazeptiva sind – die rechtzeitige Anwendung vorausgesetzt – eine Möglichkeit, postkoital zu verhüten und jenseits einer Abtreibung eine unerwünschte Schwangerschaft zu verhindern. Im August 2000 wurde das erste reine Gestagen-Präparat als Notfallkontrazeptivum auf dem deutschen Markt eingeführt. Mittlerweile in 28 Ländern aus der Verschreibungspflicht entlassen, gilt die so genannte Nachverhütung mit zweimal 750 µg Levonorgestrel (LNG) im Abstand von zwölf Stunden, beginnend spätestens 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr, als sicher und effektiv. Ein im Juli ausgesprochenes positives Votum des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) könnte nun auch in Deutschland bald eine Entlassung der entsprechenden Präparate (duofem®, Levogynon®) aus der Verschreibungspflicht ermöglichen.

 

Notfallkontrazeption Zusammensetzung Anwendung Schwanger-schaftsrate (%)* Nebenwirkungen keine, alle Altersgruppen - - 8 - keine, Alter: 19 bis26 Jahre     bis 50   Tetragynon®
(Yuzpe-Methode; in Deutschland nicht mehr hergestellt) Ethinylestradiol 50 µg, Levonorgestrel 250 µg 2 x 2 im Abstand von 12 Stunden, Beginn spätestens 72 Stunden nach GV 3,2 Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Kopfschmerz Duofem®, Levogynon® Levonorgestrel 750 µg 2 x 1 im Abstand von 12 Stunden, Beginn spätestens 72 Stunden nach GV 1,8 Blutungen 1 x 2, spätestens 72 Stunden nach GV 1,5   Mifegyne®
(in Deutschland nicht für diese Indikation zugelassen) Mifepriston >10 mg 1 x 1, spätestens 120 Stunden nach GV 1,5 Verzögerung der Regelblutung Multiload, Nova-T, Kupfer-T kupferhaltige Intrauterinpressare (IUD) spätestens 120 Stunden nach GV 0,1 Anwendungsprobleme, Hypermenorrhoe, Schmerzen, Unterleibsentzündung

* Anzahl Schwangerschaften nach einmaligem ungeschützten Geschlechtsverkehr (GV) kurz vor der Ovulation

 

Reine Gestagen-Präparate sind sicher

Der genaue Wirkmechanismus von LNG ist nach wie vor ungeklärt. Neuere Untersuchungen machen eine Verzögerung oder Unterdrückung der Entwicklung des Follikels sowie der Ovulation wahrscheinlich. Im Tierversuch konnte eine komplette oder teilweise Hemmung der Ovulation durch LNG in Abhängigkeit von der Dosis und vom Abstand zum Eisprung nachgewiesen werden. LNG zeigte demgegenüber keine Wirkung auf die Fertilisation oder Implantation nach Verabreichung kurz vor oder nach der Paarung oder vor der Implantation. Auch auf das Endometrium scheint das Gestagen keinen Einfluss zu haben. Die postovulatorische kontrazeptive Effektivität von LNG ist daher fraglich. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Verkleinerung des therapeutischen Fensters, in dem LNG seine Wirkung entfaltet, für die statistisch gesicherte Wirksamkeit vernachlässigbar ist.

LNG schädigt eine bereits bestehende Schwangerschaft nicht und wirkt nicht abortiv. Zwar war keine Studie bislang groß genug, um ein mögliches teratogenes Risiko zu untersuchen, allerdings ist auch nach der täglichen Verabreichung oraler Kontrazeptiva, die Ethinylestradiol und ein Progestagen enthalten, keine erhöhte Inzidenz von Geburtsdefekten zu beobachten.

In vielen Ländern ist LNG mittlerweile Standard für die hormonelle Notfallverhütung. Die wiederholte Gabe ist bei Bedarf möglich. Im Rahmen der breiten Anwendung von 750 µg LNG zur Notfallkontrazeption wurden keine medizinischen Kontraindikationen und keine gravierenden Nebenwirkungen festgestellt. Im Vordergrund der unerwünschten Wirkungen stehen unregelmäßige Blutungen.

Vergleichbarer Effekt bei Einmalgabe

Eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie in zehn Ländern wies hinsichtlich Effektivität und Nebenwirkungsrate keine Überlegenheit der Gabe von zweimal 750 µg LNG im Abstand von zwölf Stunden gegenüber der Einmalgabe der Gesamtdosis nach.

Bedeutsam für die Effektivität der Notfallkontrazeption ist vielmehr eine möglichst frühe Anwendung der Präparate. Eine Multicenterstudie aus dem Jahr 1998 belegte nicht nur die Überlegenheit von LNG-Notfallkontrazeptiva gegenüber der Yuzpe-Methode (siehe Kasten sowie PZ 50/2002).

 

Kombi-Pille und Mifepriston Die Notfallkontrazeption nach Albert Yuzpe ist die am besten untersuchte Form der "Pille danach". Sie wurde bereits in den 70er-Jahren entwickelt und sieht die Einnahme einer Kombination aus 100 µg Ethinylestradiol und 500 µg Levonorgestrel innerhalb der ersten 72 Stunden nach dem ungeschützten Verkehr vor. Zwölf Stunden später erfolgt die Einnahme eine Wiederholungsdosis. Mit der als Yuzpe-Regime bezeichneten Methode kann die Schwangerschaftsrate auf 3,2 Prozent gesenkt werden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Schwäche. 1985 wurde mit Tetragynon® ein entsprechendes Präparat in der Bundesrepublik eingeführt. Der Hersteller hat mittlerweile die Produktion eingestellt und rechnet damit, dass bis Januar 2004 alle noch vorhandenen Bestände abverkauft sind.

Die so genannte Abtreibungspille Mifegyne® 200 mg (früher RU 468) mit dem Wirkstoff Mifepriston wurde 1999 in Deutschland als Abortivum zugelassen. Wie eine WHO-Studie aus dem Jahr 1999 zeigte, reichen zur postkoitalen Verhütung schon wesentlich geringere Dosierungen aus. So verhindert das Norethisteron-Derivat in einer Dosis von 10 mg zuverlässig und nebenwirkungsarm bis zu fünf Tage nach dem ungeschützten Verkehr den Eintritt einer Schwangerschaft. Zugelassen ist Mifepriston in dieser Indikation bislang aber nur in China.

Eine nicht hormonelle Möglichkeit der Notfallkontrazeption stellen kupferhaltige Intrauterinpessare (IUD) dar. Bei der Anwendung bis zu fünf Tage nach dem ungeschützten Verkehr beträgt die Schwangerschaftsrate für das Verfahren 0,1 Prozent. Außerdem kann die eingesetzte Spirale für die weiterführende Kontrazeption intrauterin belassen werden. Unerwünschte Wirkungen wie Schmerzen, Blutungen und Entzündungen sowie die erforderliche Erfahrung bei der Applikation grenzen die Anwendungsmöglichkeiten oft ein. Hormonspiralen sind zur Notfallkontrazeption nicht geeignet.

 

Sie konnte außerdem für beide Regime eine Abhängigkeit der Schwangerschaftsraten vom Zeitpunkt der Einnahme nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr nachweisen. So sinkt die kontrazeptive Wirksamkeit der beiden untersuchten Nachverhütungsmethoden innerhalb von 72 Stunden drastisch (siehe Tabelle). Einige Wissenschaftler und Ärzte gehen jedoch davon aus, dass auf Grund der großen Sicherheit eine Anwendung von LNG auch noch bis zu fünf Tage nach dem Verkehr möglich ist.

 

  Yuzpe LNG < 24 Stunden 2,0 0,4 25 – 48 Stunden 4,1 1,2 49 – 72 Stunden 4,7 2,7 Gesamt 3,2 1,1

Schwangerschaftsraten (in Prozent) unter Levonorgestrel (LNG) beziehungsweise unter Anwendung der Yuzpe-Methode
in Abhängigkeit von der Zeit nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr

 

 

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