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Abschiednehmen ohne große Qualen

11.07.2005  00:00 Uhr

PHARMAZIE

Palliativmedizin

Abschiednehmen ohne große Qualen

von Sabine Schellerer, Augsburg

Palliativmediziner begleiten todkranke Patienten und deren Angehörige während ihrer letzten schweren Wochen und Monate. Wie schwer es sich mitunter gestaltet, dieses Ziel zu verwirklichen und eine optimale Versorgung zu garantieren, wurde auf dem vierten Augsburger Nachsorgesymposium deutlich.

»Bei allem was wir tun, liegt uns die Lebensqualität des Sterbenden am Herzen«, sagte Privatdozent Dr. Boris Zernikow von der Vestischen Kinderklinik der Universität Witten-Herdecke, Datteln, auf einem von Betapharm ausgerichteten Workshop.

Ob Groß oder Klein: Ärzte in der Palliativmedizin sehen sich in der Regel multimorbiden Patienten gegenüber, deren mannigfachen Symptome ausreichend aber maßvoll therapiert werden müssen. »Am besten geht man die Leiden eines Palliativpatienten zunächst ursachenorientiert an«, sagte Zernikow. So sei eine Diarrhö nicht selten von einer Überlaufinkontinenz infolge einer Obstipation verursacht. Aber auch Fehlernährung und bei Erwachsenen Laxantienabusus sind mögliche Gründe. Appetitlosigkeit und Kachexie gehen in vielen Fällen auf ständige Übelkeit und Erbrechen, Schmerzen, Depressionen oder ausgetrocknete Schleimhäute in Mund- und Rachenraum zurück. Hinter einer Dyspnoe stecken häufig Infektionen, ein Pleuraerguss, ein Lungenödem, eine Anämie oder eine Aszites. Unter Umständen könne Patienten mit Atemnot mit einem kleinen Taschenventilator geholfen werden.

Die Pharmakotherapie muss individuell unter Berücksichtigung aller Neben- und Wechselwirkungen auf den todkranken Patienten zurechtgeschnitten sein. Eine akute und chronische Diarrhö lässt sich mit Bismutsalicylat behandeln. Allerdings kann der Wirkstoff bei sehr jungen Patienten das Reye-Syndrom verursachen. Der Einsatz von Cholestyramin und Probiotika wird in der Literatur kontrovers beurteilt. Insgesamt sei die Datenlage für eine endgültige Aussage unzureichend.

Auch für Loperamid sei die Datenlage noch unzureichend. In der Behandlung der chronischen Diarrhö existieren lediglich Erfahrungen aus Fallbeispielen. Beachtet werden sollten in jedem Fall die Nebenwirkungen. So ist der mögliche Blähbauch für Atemnot-Patienten unerträglich. Auf Grund der möglichen Somnolenz verbietet sich Loperamid, wenn gleichzeitig das Fatigue-Syndrom vorliegt.

Manche Tumoren setzen ein Hormon frei, das die Darmpassagezeit verkürzt, mit der Folge einer sekretorischen Diarrhö. Hier kann das synthetischen Somatostatin-Analogon Octreotid eingesetzt werden. Gerade gegen Ende ihrer Leidenszeit quälen die meisten Palliativpatienten unerträgliche Schmerzen, die stundenlang anhalten. »Teilweise erreichen die Attacken bei unseren Jüngsten Spitzenwerte auf offiziellen Schmerzskalen«, sagte Zernikow. Zur Behandlung sind auch in der Pädiatrie Opioide Goldstandard. Daneben wirken sie sich auch bei einer möglichen Dyspnoe positiv aus. Weil sie nicht so rasch anfluten und dadurch besser steuerbar sind, bevorzugen Kinderpalliativmediziner anstelle von parenteralen orale Darreichungsformen. Zernikow selbst wendet bevorzugt ein retardiertes Morphingranulat an, das sich individuell dosieren lässt. Bei Bedarf ergänzt er noch Morphintropfen. Mitunter sei es sinnvoll, als Begleitmedikation auf ein Nichtopioidanalgetikum mit antientzündlicher Komponente zurückzugreifen, zum Beispiel auf Ibuprofen oder Diclofenac bei Knochenschmerzen. Auch der Wirkstoff Metamizol eigne sich.

Als ungünstig für Kinder beurteilte Zernikow hingegen Fentanylpflaster. Das transdermale System gebe über den Tag verteilt eine feste, für die untergewichtigen Kinder meist viel zu hohe Dosis Wirkstoff frei. Zudem verfüge ein Todkranker nur selten über ausreichend subcutanes Fettgewebe, in dem Fentanyl zunächst anflutet. Von Nachteil sei außerdem, dass die Obstipation, von der viele Palliativpatienten profitieren, hier praktisch wegfällt. Auch Tramadol und die Kombination aus Tilidin und Naloxon bewertete Zernikow als nicht besonders günstig. Denn hier werde das Wirkoptimum rasch erreicht. Hingegen habe sich ein »Fentanyllutscher« bei schwerem malignem Kopfweh im Rahmen ausgeprägter Hirnmetastasen, mehrfach bewährt.

Bei Appetitlosigkeit helfen das Prokinetikum Domperidon oder das Glucocorticoid Prednison. Allerdings hat eine längerfristige Corticoidbehandlung schwere psychomimetische Nebenwirkungen, Muskelschwäche oder eine Stammfettsucht zur Folge. Einige Mediziner bevorzugen delta-9-Tetrahydrocannabinol, andere ziehen Megestrolacetat vor, so auch Zernikow. Dronabinol sei schwierig zu steuern und dadurch beim multimorbiden Patienten problematisch. Beim Gestageneinsatz sollte darauf geachtet werden, dass die Elektrolytsituation des Patienten regelmäßig überwacht und bei Jungen gegebenenfalls Testosteron substituiert wird.

Bei Schlaflosigkeit kann den jungen Patienten eventuell Melatonin helfen. Das Chronobiotikum verfüge praktisch über keine Nebenwirkungen. Lediglich eine LH-Suppression sei möglich, sagte Zernikow. Da das Hormon rasch metabolisiert wird, sollte bei Durchschlafproblemen auf ein retardiertes Produkt zurückgegriffen werden. Top

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