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Trotz Sonnenschutz die Erythemschwelle nicht ausreizen

31.05.1999  00:00 Uhr

- Pharmazie Govi-Verlag

PZ-INTERVIEW

Trotz Sonnenschutz die Erythemschwelle nicht ausreizen

von Brigitte M. Gensthaler, München

Kurz vor der Urlaubssaison fragen viele Kunden in der Apotheke um Rat, wie sie sich vor Sonnenbrand und anderen Hautschäden schützen können. In den letzten Jahren gab es zahlreiche neue Erkenntnisse über die Effekte ultravioletter Strahlen auf die Haut, aber auch über Infrarotstrahlen wird diskutiert. Universitätsprofessor Dr. Wolfgang Raab, Dermatologe in Wien und Mitautor des Govi-Buches "Licht und Haut", nimmt Stellung zu aktuellen Empfehlungen.

PZ: UVA-Strahlen galten lange als harmlos, zumindest bei gesunder Haut und normaler Dosierung. Welche UVA-Wirkungen sind inzwischen abgesichert?

Raab: Für den normalen Sonnenhungrigen sind nach wie vor die UVA-Strahlen viel weniger bedeutend als die UVB-Strahlen, gegen die die Haut in erster Linie geschützt werden muß. UVA-Strahlen können eine Hautrötung auslösen, allerdings erst in tausendmal höherer Stärke als UVB. Zum Vergleich: Die Erythemschwelle liegt für UVA bei 104 bis 105 mJ/cm², für UVB aber schon bei 101 bis 10² mJ/cm². Im Rahmen des chronischen Sonnenschadens verursacht UVA die degenerativen Veränderungen wie die Elastose, klinisch betrachtet eine tief gefurchte Rhombenhaut.

PZ: Sollte dann nicht jedes Sonnenschutzpräparat einen UVA-Schutz enthalten?

Raab: Nein, nur Präparate, die einen Sonnenschutzfaktor über 10 beanspruchen.

PZ: Einige Tagespflegecremes enthalten UV-Filter; manchmal werden Lichtschutzfaktoren bis 8 angegeben. Für welche Kunden sind diese Präparate empfehlenswert?

Raab: Eine Tagespflege mit Lichtschutz sollte ausschließlich von Personen mit sehr hoher, krankhafter Sonnenempfindlichkeit verwendet werden. Ansonsten sollte man der Haut die Möglichkeit geben, durch regelmäßige geringe und absolut unschädliche Strahlendosen eine schützende Basispigmentierung zu bilden. Nichts ist gefährlicher als mit völlig sonnenentwöhnter winterblasser Haut in den Urlaub nach Süden zu starten.

PZ: Manchmal wird mit dem Schutz vor Infrarotstrahlen geworben. Eine Studie aus Paris hat aber gezeigt, daß diese Wärmestrahlen UV-bedingte Zellschäden verhindern können. Ist diese Erkenntnis inzwischen gesichert?

Raab: Schutzsubstanzen gegen Infrarot gibt es gar nicht. Nur Wasser schützt; also kann man bei dünnen Emulsionen einen solchen Effekt postulieren. Ergebnisse aus Zellversuchen sind aber für klinische Belange nicht unbedingt relevant. Nach bisheriger Lehrmeinung gibt es entweder keine Wechselwirkungen zwischen Infrarot- und UV-Strahlen oder die Infrarotstrahlung verstärkt die akuten Schadwirkungen. Außerdem konnte gezeigt werden, daß Infrarot die Repair-Kapazität der Hautzellen verschlechtert, da es wichtige Enzymproteine denaturiert.

PZ: Ebenfalls neu sind Produkte mit dem Hinweis "p-53-kontrolliert". Was bedeutet das für den Verbraucher?

Raab: Im Klartext heißt dies, daß in vitro das Auftreten typischer UV-Schäden in Richtung chronischer präkanzeröser Veränderungen durch das Produkt verhindert wird. Manche Verbraucher vertrauen dann eher dem angegebenen Schutzfaktor. Viel wichtiger wäre es aber, daß sie endlich beherzigen, daß nicht erst die Sonnenbrandschwelle die erlaubte Besonnungszeit beendet. Schon wenn man sechzig Prozent der zum Sonnenbrand führenden Strahlendosis abbekommen hat, sollte man in den Schatten gehen; andernfalls spart man stetig auf einen chronischen Lichtschaden an.

PZ: Unsere Haut verfügt über wirksame Selbstschutzmechanismen, die zum Beispiel UV-bedingte Schäden der DNS-Strukturen im Zellkern beheben. Können Repairsubstanzen auf der Basis von Bakterienlysaten, wie sie in manchen After-Sun-Produkten enthalten sind, die zelleigenen Reparaturenzyme unterstützen?

Raab: Ich glaube nicht, daß exogen aufgetragene Enzyme in aktiver Form unsere lebenden Hautzellen erreichen. Ebensowenig kann ich mir vorstellen, daß bakterielle Enzyme tatsächliche humane Kernsäuren reparieren. Diese Versuche wurden an Tiermodellen und an humanen Zellen in Kultur vorgenommen. Deren Resultate sind aber kaum für die klinische Praxis relevant.

PZ: Immer häufiger fragen Kunden in der Apotheke, wie man einer "Sonnenallergie" vorbeugen kann. Sollte der Apotheker sie an einen Dermatologen verweisen? Welche Tips kann er ihnen geben?

Raab: Mit der Bezeichnung an sich habe ich als Dermatologe und Allergologe Probleme. Dahinter verbergen sich meist ein genetisch bedingt schwacher Sonnenschutz, übertriebene Einschätzung der eigenen Sonnentoleranz, Photodermatosen und nur ganz selten eine wirkliche Sonnenallergie. Im Beratungsgespräch kann der Apotheker die Pathogenese der vorliegenden Störung zumindest eingrenzen. Bei Verdacht auf eine Photodermatose oder eine Sonnenallergie muß er den Kunden an den Hautarzt verweisen. In vielen Fällen treten aber stark juckende, akneartige Effloreszenzen nach den ersten Sonnenbädern auf; diese sogenannte Mallorca-Akne kann durch Anwendung von Hydrogelen als Sonnenschutzmittel oft vermieden werden. Wichtig: keine Lipide, keine Emulgatoren auftragen.

PZ: Angeblich kann man eine polymorphe Lichtdermatose verhindern, wenn man etwa eine Woche vor der Sonnenbestrahlung die Haut mit einer Creme behandelt, die einen hohen Anteil an Radikalfängern wie Vitamin E oder Glykosylrutin enthält. Kurz vor dem Sonnenbad wird eine Creme mit UV-Filtern aufgetragen. Was halten Sie von dieser Empfehlung?

Raab: Wenig. Die perkutan einschleusbaren Mengen an Radikalfängern sind sicher zu gering, um eine polymorphe Lichtdermatose zu verhindern. Sinnvoll ist eine perorale Vorbehandlung mit Betacaroten, die Verwendung von Schutzprodukten mit hohen und höchsten Faktoren und vor allem ein vernünftiger Umgang mit der Sonne. Am sichersten schützen Textilien - es gibt bereits Stoffe mit ausgewiesenen UV-Schutzfaktoren - und dichte Sonnenschirme. Doch auch im Schatten kann man bis zu fünfzig Prozent der UV-Strahlung abbekommen.

PZ: Stichwort Betacaroten. Wie hoch sollte dosiert werden?

Raab: Die Anreicherung der Haut mit diesem Radikalfänger schützt vor allem vor chronischen Sonnenschäden. Man beginnt vier Wochen vor dem Urlaub mit einer Tagesdosis von 75 bis 100 mg. Nach zwei Wochen kann man auf 50 mg reduzieren, sollte diese Dosis aber den ganzen Urlaub lang beibehalten. Der Apotheker sollte unbedingt darauf hinweisen, daß perorales Betacaroten kaum vor akutem Sonnenbrand schützt. Sein Schutzfaktor 2 kann aber mit dem Faktor des lokal aufgetragenen Mittels multipliziert werden.

PZ: Nicht nur in der Laienpresse, sondern auch von Fachleuten wird behauptet, daß man sich mit Sonnenschutzmitteln zwar vor Sonnenbrand, nicht aber vor chronischen Schäden wie Hautalterung oder Hautkrebs schützen könne. Stimmt das?

Raab: Das hängt vom Sonnenverhalten ab. Wird die Effektivität des Produktes bis knapp unter die Sonnenbrandschwelle ausgenutzt, besteht selbstverständlich keinerlei Schutz mehr gegen chronische Schäden. Denn diese beginnen ja bereits bei etwa sechzig Prozent der Sonnenbranddosis.

PZ: Gibt es neuere Erkenntnisse über den Einfluß unkontrollierter Sonnenexposition auf das Immunsystem?

Raab: Zunehmend beschäftigen sich Ärzte mit der immunsuppressiven Wirkung von UV-Strahlen, besonders von UVB. So begünstigt die Überschreitung der Sonnenbrandschwelle bei Kindern das Auftreten von Melanomen, da bei der sonnenbedingt blockierten Immunkontrolle dysplastische Naevi stimuliert werden können. Generell sollten alle Patienten mit malignen Erkrankungen die Sonne meiden. Schließlich macht UVB die Wirksamkeit der besten Chemotherapie zunichte.  

PZ: Ist ein konsequenter Sonnenschutz auch dann zu empfehlen, wenn bereits prämaligne Läsionen des chronischen Sonnenschadens vorliegen?

Raab: Ja, dies zeigen zwei kontrollierte Studien aus Australien und Texas. Der konsequente Lichtschutz verhindert signifikant das Neuauftreten von Präkanzerosen, zum Beispiel aktinischer Keratosen, und die Konversion von präkanzerösen Läsionen zu Hautkarzinomen.

PZ: Zum Abschluß, Herr Professor Raab: Wie können Dermatologen und Apotheker auf dem Gebiet des Sonnenschutzes zusammenarbeiten? Was könnten sie für eine seriöse Aufklärung der Bevölkerung tun?

Raab: Das Problem der Sonnenschäden der Haut betrifft alle Gesundheitsberufe, also den Apotheker genauso wie den Haus- und den Facharzt. Die erste Anlaufstelle für eine kompetente Beratung ist oft die Apotheke. Hier sollten die Kunden über akute und chronische Schäden und deren Verhinderung informiert werden. Erst bei krankhaften Hautveränderungen wird der Dermatologe um Rat gefragt. Durch den ungebrochenen Sonnenhunger der Bevölkerung und die gestiegende Lebenserwartung werden wir bald die gleichen Probleme haben wie in Australien. Als Konsequenz sollten verstärkt Aufklärungskampagnen über ein vernünftiges Sonnenverhalten und den richtigen Schutz gestartet werden, an denen Ärzte und Apotheker beteiligt sind. Top

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