Methylphenidat nie solo |
10.02.2003 00:00 Uhr |
von Brigitte M. Gensthaler, Frankfurt am Main
Die medikamentöse Therapie von Kindern mit ADHS kann nur erfolgreich sein, wenn sie in ein umfassendes Therapiekonzept eingebettet ist und die Patienten kontinuierlich betreut werden. Psychosoziale Maßnahmen haben eindeutig Vorrang.
Methylphenidat gilt als Medikament der Wahl zur Behandlung von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Allerdings ist es keine „Pille für den Schulerfolg“, sondern soll ein stabiles Umfeld für die Entwicklung und Selbstorganisation des Kindes gewährleisten. Grundlage jeder Therapie ist eine exakte Diagnose. Diese Ansichten vertraten übereinstimmend die Experten bei einer Pressekonferenz der Janssen Cilag GmbH in Frankfurt.
Der Zappelphilipp gilt als Paradebeispiel eines Kindes mit ADHS. Kernsymptome sind das Aufmerksamkeitsdefizit, die mangelnde Impulskontrolle und die Hyperaktivität. Da diese Störungen nicht spezifisch sind, werden Zusatzkriterien für die Diagnose herangezogen, erklärte der Diplompsychologe und Psychiater Dr. Michael Huss aus Berlin. Typischerweise benimmt sich das hyperkinetische Kind in verschiedenen Situationen auffällig, zum Beispiel in der Familie, der Schule oder der Praxis. Die Störungen beginnen vor dem siebten Lebensjahr und prägen die ganze Biographie bis ins Erwachsenenalter hinein, wobei dann die Hyperaktivität meist in den Hintergrund tritt. Begleiterkrankungen wie Angst, Depression, Ticks oder gestörtes Sozialverhalten sind schon bei Kindern häufig.
Für einen direkten Nachweis einer ADHS gibt es bislang weder Laborparameter noch einen „objektiven“ Test oder gar „Schnelltest“, wie ihn manche Elternzeitschriften versprechen. Bekannt ist jedoch, dass die Erkrankung in einigen Familien häufiger vorkommt. Zudem konnten Forscher Veränderungen an Dopaminrezeptor- und -transportergenen identifizieren. Möglicherweise löst ein Mangel an Dopamin und Noradrenalin im synpatischen Spalt die Symptome aus. Methylphenidat hemmt vermutlich die Wiederaufnahme von Dopamin aus dem Spalt über eine Hemmung von Transporterproteinen, berichtete die Ottobrunner Psychiaterin Dr. Johanna Krause. Allerdings sei ein Therapieversuch mit dem Stimulans bei nicht bewiesener ADHS wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.
Therapie setzt multimodal an
Spätestens seit den Konsensusgesprächen im Bundesgesundheitsministerium Anfang des Jahres ist klar: Eine alleinige Medikamentengabe reicht nicht aus. Die Behandlung muss auf vielen Ebenen ansetzen („multimodales Therapiekonzept“). Dies beginnt mit der Information der Eltern, des Kindes oder Jugendlichen und des Umfeldes, zum Beispiel der Lehrer.
Wenn Elterntraining, schulische und ergotherapeutische Förderung sowie die Verhaltenstherapie nicht ausreichend wirksam sind, bieten Medikamente eine weitere Option. Die amerikanische MTA-Studie habe gezeigt, dass eine „problembasierte, lösungsorientierte Beratung und Betreuung kombiniert mit einer Arzneitherapie die besten Erfolge“ bringt, sagte der Kinder- und Jugendpsychiater Professor Dr. Götz-Erik Trott aus Aschaffenburg.
Heute stehen viele Eltern den Stimulantien höchst kritisch gegenüber. Ihre Sorge, dass die Medikation eine spätere Suchtkarriere des Kindes anbahne, hat sich nicht bewahrheitet. Vielmehr ergab eine Studie des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM), dass bei adäquat behandelten Kindern das Suchtrisiko langfristig abnimmt.
Die Therapie sollte laut Krause nicht vor Schulbeginn einsetzen und muss bei bestehender Symptomatik bis ins Erwachsenenalter beibehalten werden. Die Medikation in den Ferien abzusetzen, ist zwar möglich, birgt aber auch emotionale Gefahren. Auf diese Weise lerne das Kind, dass Tabletten seine Schwierigkeiten in der Schule beheben könnten, warnte Huss: „Eine Pille ist aber kein Problemlöser.“
OROS mit 12-Stunden-Wirkung
Seit kurzem ist Methylphenidat auch in einer lang wirksamen Arzneiform erhältlich (Concerta®). Es handelt sich um ein orales osmotisches System, kurz OROS. Die Tablette setzt den Wirkstoff in zwei Phasen frei. Nach der morgendlichen Einnahme wird der wirkstoffhaltige „Mantel“ sofort abgebaut; rund 22 Prozent der Gesamtdosis gelangen innerhalb einer Stunde ins Blut. Durch eine jetzt freiliegende semipermeable Membran strömt Wasser ein und lässt die Gelmatrix quellen. Der osmotische Druck sorgt für eine kontinuierliche Freigabe des Arzneistoffs über mehrere Stunden. Die unverdauliche Tablettenhülle wird mit dem Stuhl ausgeschieden.
In Studien war die einmal tägliche Gabe des Systems vergleichbar gut wirksam wie die dreimal tägliche Einnahme einer schnell freisetzenden Tablette (zum Beispiel Ritalin®). Als häufigste Nebenwirkungen gaben die Kinder Kopf- und Bauschschmerzen, Schlaf- und Appetitlosigkeit an. Da das System unabhängig von der Nahrungsaufnahme zu relativ gleichmäßigen Plasmaspiegeln führt, ist es laut Trott vor allem für Patienten geeignet, die stark schwankende Wirkspiegel nicht gut vertragen.
Das Arzneimittel wird mit 18 und 36 mg Methylphenidat angeboten und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Die Verschreibungshöchstmenge wurde 1998 von 400 auf 1500 mg erhöht.
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