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Brokkoli gibt Impulse für die Chemotherapie

Datum 30.08.2004  00:00 Uhr

Brokkoli gibt Impulse für die Chemotherapie

von Georg Krampitz, Bonn

Inhaltsstoffe von Kreuzblütlern rücken zunehmend in den Fokus der Krebsforschung. Die Aufklärung ihrer Wirkmechanismen gibt Denkanstöße für die Entwicklung neuer Zytostatika.

Seit der Entdeckung des krebshemmenden Potenzials von Brokkoli, Rosenkohl und anderen Brassicaceen ist das Interesse an den Inhaltsstoffen der Kreuzblütler stark gewachsen. Ihre Wirkung wird im Wesentlichen auf die Isothiocyanate (Senföle) und Indol-Derivate zurückgeführt. Während viele synthetische Zytostatika nur auf einen Angriffspunkt abzielen und nach anfänglichen Erfolgen rasch einen Teil ihrer Wirkung verlieren, weil der Tumor Resistenzen entwickelt, greifen Senföl- und Indol-Derivate auf mehreren Ebenen in die Kanzerogenese ein. Darüber hinaus sind synthetische Zytostatika oft teuer und hoch toxisch, so dass ihrer Anwendung enge Grenzen gesetzt sind.

Spindelgift gegen Krebs

Die heimischen Kreuzblütler produzieren etwa zwanzig verschiedene Isothiocyanate, die glykosidisch gebunden sind und das charakteristische Aroma ausmachen. Beim Zerschneiden oder Kauen der Pflanze werden sie enzymatisch freigesetzt – zwei prominente Vertreter sind Sulforaphan und Allyl-Isothiocyanat.

Am gründlichsten untersucht ist ihr Einfluss auf die Biotransformation, das Entgiftungssystem des Körpers. So stimulieren sie die Glutathion-S-Transferasen, Enzyme des Phase-II-Metabolismus, die sich in der Leber und Verdauungsorganen sowie in der Lunge, den Brustdrüsen und anderen Organen befinden. Insofern fördern sie die Entgiftung und Eliminierung krebserregender Substanzen und starker Oxidantien. Erst kürzlich wurde in diesem Zusammenhang ein weiterer Aspekt des Brokkoli entdeckt. Bernhard Juurlink von der kanadischen Universität Saskatchewan wies nach, dass Brokkoli ebenfalls vor Arteriosklerose und Bluthochdruck schützt. Die aktivierten Glutathion-S-Transferasen neutralisieren in verstärktem Maße Hyperoxidanionen (O2-) und verhindern dadurch Schäden an den Gefäßinnenwänden, beziehungsweise unterbinden die Oxidation des blutdrucksenkenden Stickstoffmonoxids (NO) zu inaktiven Folgeprodukten.

Darüber hinaus hemmen sie Phase-I-Enzyme wie Cytochrom P450 und verhindern so die Bildung kanzerogener Metaboliten. In Übereinstimmung damit zeigen epidemiologische Studien, dass regelmäßige Kohlmahlzeiten praktisch jeder Krebsart vorbeugen – es besteht ein umgekehrtes Verhältnis zwischen dem Verzehr von Brassica-Gemüse und dem Risiko, an Krebs zu erkranken.

Die krebshemmende Wirkung der Isothiocyanate beruht nur zu einem Teil auf einer veränderten Biotransformation, sie greifen auch direkt in die Abläufe der Krebsentstehung ein. Ian Johnson vom britischen Institute of Food Research in Norwich fand heraus, dass Allyl-Isothiocyanat (AITC) die Proliferation entarteten Gewebes stoppt und den programmierten Zelltod einleitet. Er verabreichte Ratten mit Neoplasien in der Dickdarmschleimhaut frischen Brokkoli und konnte zeigen, dass AITC die Zellteilung blockiert, indem es im Verlauf der Mitose den korrekten Auf- und Abbau des Spindelapparats stört – eine Eigenschaft, die es mit Sulforaphan und weiteren Senfölen teilt. Derzeit verwendete Spindelgifte sind Colchicin, Vinca-Alkaloide und die Taxane.

Schutz vor Prostata- und Brustkrebs

Die zweite Gruppe der krebshemmenden Substanzen aus Kreuzblütlern bilden Indol-3-Carbinol (I3C) und sein Kondensationsprodukt 3,3’-Diindolyl-Methan (DIM), das im sauren Magenmilieu entsteht. Fütterungsversuche bei Ratten zeigen, dass I3C die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung spontaner und karzinogen-induzierter Tumoren erheblich reduziert. Darüber hinaus gibt es bereits klinische Studien wie zum Beispiel am Medical Center der Universität von Lousiana, USA: Von 30 Patientinnen mit Krebsvorstufen in der Zervix (CIN II-III) erhielten 20 Probandinnen 12 Wochen lang täglich 200 bis 400 mg I3C. Zehn Teilnehmerinnen wurden mit einem Placebopräparat behandelt. Bei der Hälfte der mit IC3-Behandelten verschwanden die Läsionen vollständig, nicht hingegen bei der Placebo-Vergleichsgruppe.

Die krebshemmende Wirkung der Indole scheint auf einer Stimulation der Phase-II- und Phase-I-Enzyme zu beruhen. Zwar fördern sie hiermit möglicherweise die Bildung kanzerogener Metaboliten, andererseits schützen sie aber dadurch zum Beispiel nachweislich vor Brustkrebs, da sie der Umwandlung von Estradiol zu genotoxischem 16a-Hydroxyestron vorbeugen. Stattdessen entsteht 2-Hydroxyestron, das antiestrogene und antiproliferierende Eigenschaften aufweist. Diese Befunde sind durch klinische Phase-I-Studien belegt.

Darüber hinaus interagieren die Indole auch direkt mit Krebszellen: DIM ist ein starker Antagonist von Dihydrotestosteron (DHT) und verhindert das Wachstum androgenabhängiger Prostatazellen, wie Leonard Bjeldanes von der kalifornischen Universität in Berkeley herausfand. In seiner Wirkstärke gleicht DIM dem synthetischen Antiandrogen Bicalutamid. Strukturuntersuchungen und Molekülberechnungen zeigen zudem, dass sich beide Substanzen auch bezüglich ihrer Konformation und Elektronendichteverteilung stark ähneln. In einem Punkt unterscheidet sich DIM jedoch von Bicalutamid: Es antagonisiert nicht nur DHT, sondern unterdrückt zusätzlich jede Signalweiterleitung, wenn DHT bereits gebunden ist, indem es die Wanderung des Ligand-Rezeptor-Komplexes in den Zellkern unterbindet. So hemmt es die Bildung von PSA, einem Wachstumsfaktor für Prostata-Tumoren, der gleichzeitig als Marker zur Diagnose dient. „Bereits 200 g Brokkoli täglich liefern die notwendige Menge für eine effektive Hemmung“, sagte Bjeldanes.

Bisher wenig Nebenwirkungen

Er entdeckte noch einen weiteren Mechanismus: I3C und DIM stören den Zellzyklus von Brust- und Prostata-Krebszellen, da sie direkt auf den Zellkern einwirken und dort die Expression verschiedener Proteine modulieren. Weil einige Prostata-Tumoren hormonunabhängig sind und sich viele Mammakarzinome einer Behandlung durch Estrogen-Antagonisten wie Tamoxifen entziehen, liefert dieser Befund möglicherweise den Schlüssel zu neuen Therapieansätzen.

Die Untersuchungen über Indole und ihre vielfältigen Mechanismen sind längst nicht abgeschlossen. Als Modellsubstanzen für das Drug-Design geben sie der Forschung neue Impulse. Verschiedene Derivate werden bereits auf ihre zytostatischen Eigenschaften geprüft. „Unerwünschte Nebenwirkungen sind bislang nicht erkennbar“, resümiert David Williams, Toxikologe an der Oregon State Universität, der ein Jahr lang Ratten mit bis zum 10-fachen der therapeutischen Dosen an I3C und DIM behandelte. Dieser Befund sei insofern bemerkenswert, da das dem DIM strukturähnliche Bicalutamid erhebliche Nebenwirkungen nach sich ziehe.

 

Kapseln statt Kohl? In den USA ist eine Nahrungsergänzung mit Brokkoli-Konzentraten bereits etabliert. Brocosprouts zur Krebsvorsorge sind ein Verkaufserfolg und mittlerweile auch in Deutschland erhältlich: Sie enthalten Senfölglykoside in bis zu 100fach höherer Konzentration als Brokkoligemüse. Befürworter favorisieren die Tabletteneinnahme sogar vor einer Ernährung mit Kohlgemüse. Dr. Clarissa Gerhäuser vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg sieht dies kritisch: „Nach heutigem Kenntnisstand ist es nicht empfehlenswert, eine obst- und gemüsereiche Ernährung durch Supplementierung mit isolierten Einzelstoffen zu ersetzen, da oft zu wenig über schädliche Nebeneffekte bekannt ist.“

Grundsätzlich ist bei der Einnahme der Einfluss auf die Biotransformation und die Interaktion mit anderen Medikamenten zu bedenken, dies gilt bereits für einen regelmäßigen, täglichen Kohlverzehr. Nicht zu vernachlässigen sind die Rhodanide (SCN-), die als Abbauprodukte der Glucosinolate entstehen und mit der Schilddrüsenhormonsynthese interferieren und damit zur Kropfbildung beitragen können. Da Isothiocyanate nicht nur Induktoren sondern auch Substrate von Glutathion-S-Transferasen sind, kann die veränderte Stoffwechsellage als eine natürliche Abwehrreaktion des Körpers interpretiert werden – physiologisch gesehen sind Senföle Fraßgifte, mit denen sich die Pflanze vor Räubern schützt.

 

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