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Erfolgreicher Auftakt in sächsischen Apotheken

12.08.2002  00:00 Uhr
PHARMAZEUTISCHE BETREUUNG VON SCHMERZPATIENTEN

Erfolgreicher Auftakt in sächsischen Apotheken

von Christine Uferer, Leipzig, Jutta Grappweis, Dresden, und Ingrid Schubert, Köln

Es kostet zwar einiges an Aufwand, aber Schmerzpatienten nehmen das Angebot einer intensiven Betreuung durch ihre Apotheke gerne an, so das Ergebnis eines zweijährigen Projekts in 16 sächsischen Apotheken.

"Pharmazeutische Betreuung ist wichtig für die Patienten; sie kostet Zeit, benötigt ständige Fortbildung des pharmazeutischen Personals, aber macht Spaß", resümierte ein Teilnehmer der Qualitätszirkelsitzung im April 2002 in Dresden. Das Treffen bildete den Abschluss des im Oktober 2000 begonnenen sächsischen Schmerzprojekts.

Intention war es herauszufinden, inwieweit sich Schmerzpatienten als Zielgruppe für die Pharmazeutische Betreuung eignen. Dazu sollte die Praktikabilität des zu entwickelnden Betreuungsdesigns im Apothekenalltag untersucht und damit geprüft werden, ob Apotheken Schmerzpatienten diesen Service anbieten können.

Wichtigste Instrumente des Projekts waren eine Basis- und Evaluationsdokumentation sowie die Befragung von Patienten und Apothekern. Anhand eines Fragebogens dokumentierte man zunächst die Patientenstammdaten, Angaben zum Schmerzgeschehen und zur medikamentösen Schmerztherapie. Anschließend wurde der Nutzen der Betreuung in der Evaluationsdokumentation bewertet. Hierzu erfasste man in einem vergleichbaren Fragebogen die Patientendaten vor und nach der Betreuung.

Am Projekt beteiligten sich anfangs 22 Apothekerinnen und Apotheker aus 19 Apotheken. Alle Pharmazeuten nahmen bereits an den seit 1998 laufenden Qualitätszirkeln zur Beratung von Schmerzpatienten teil. In die Auswertung gingen schließlich die Daten von 17 Apothekern aus 14 Apotheken ein. Dr. Ingrid Schubert von der Universität Köln und Dr. Jutta Krappweis, Technische Universität Dresden, übernahmen die wissenschaftliche Begleitung. Zur Kommunikation bediente man sich wieder der Qualitätszirkel, die sich bereits im Vorfeld als effektiv erwiesen hatten. Die elektronische Dokumentation erfolgte mit Soft- und Hardware der Firma Dr. Ing. Stahl.

Der Projektablauf

Das Projekt wurde bewusst als Interventionsstudie ohne Kontrollgruppe angelegt, da Schwierigkeiten mit Kontrollgruppen aus anderen Projekten bekannt waren. Aussagekräftige Ergebnisse erhoffte man sich dennoch aus dem „Vorher-Nachher-Vergleich“.

Mit den für die Betreuung gewonnenen Patienten wurden in den Apotheken zunächst Termine für ein Erstgespräch vereinbart. Der im Vorfeld erarbeitete Fragebogen diente als Gesprächsleitfaden zur Basiserhebung und -dokumentation aller relevanten Daten. In den weiteren Konsultationen wurden in Abhängigkeit vom Krankheitsprozess individuelle Aktivitäten sowohl für den Apotheker als auch für den Patienten als Aufgabe bis zum nächsten Zusammentreffen diskutiert und festgelegt. Die Auswertung der Ergebnisse fand dann in Folgegesprächen statt. Diese waren in der Regel so konstruktiv, dass sich ein Dialog an mehreren Terminen ergab. Auch hier diente ein Fragebogen als Gesprächsleitfaden und zur Dokumentation.

Der Leitfaden für das Abschlussgespräch bildete die Grundlage für die Evaluation der Studienergebnisse. Vorgesehen war ein Betreuungszeitraum von sechs Monaten. Bei Projektende waren 28 Beratungen abgeschlossen. Aus unterschiedlichen Gründen ließ sich mit den restlichen zehn Patienten während der Projektlaufzeit kein abschließendes Evaluationsgespräch vereinbaren. Bei fünf Patienten war der Betreuungsprozess noch nicht beendet, und drei Teilnehmer brachen die Betreuung vorzeitig ab. Bei zwei Patienten war bei Projektende noch unklar, ob die Betreuung abgeschlossen werden kann.

Während der Projektlaufzeit trafen sich die teilnehmenden Apotheker zu fünf Qualitätszirkelsitzungen. In der ersten Sitzung informierten sich die Teilnehmer über die für die Betreuung notwendigen Erhebungsinstrumente. In den weiteren Sitzungen wurden Rekrutierungsprobleme und Möglichkeiten der Arztansprache diskutiert sowie anhand von Fallbeispielen Ansatzpunkte für die Pharmazeutische Betreuung besprochen. In der abschließenden Zirkelsitzung diskutierten die Teilnehmer die vorliegenden Evaluationsergebnisse. Die Qualitätszirkel motivierten zum Weitermachen, regten zum Erfahrungsaustausch an und lieferten im Miteinander Lösungen für die bei der Umsetzung der Betreuung aufgetretenen Probleme.

Rekrutierung schwierig

Zu Beginn der Studie mussten geeignete und interessierte Patienten gewonnen werden. Es stellte sich schnell heraus, dass dies bei Schmerzpatienten nicht so einfach ist. Die Patienten waren es gewohnt, ihre Schmerzen selbst zu kontrollieren und gegebenenfalls zu therapieren. Einige Schmerzpatienten waren zwar interessiert, lehnten aber die Speicherung ihrer persönlichen Daten ab. Eingangs hatten die meisten Apotheker das Gefühl, mit ihrem Angebot die Patienten nicht ausreichend motivieren und überzeugen zu können. Viele Patienten standen dem Projekt auch wegen des unbestimmten Zeitaufwandes sehr zurückhaltend gegenüber. Bei der Rekrutierung bewährten sich schließlich folgende Maßnahmen: das Einbeziehen von Stammpatienten, längere Beratungsgespräche mit einem neuen Patienten, eine ansprechende Schaufenstergestaltung und flexible Terminvereinbarungen.

Schließlich gelang es, 34 weibliche und 4 männliche Patienten in 14 Apotheken pharmazeutisch zu betreuen. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 54 Jahren (21 bis 80 Jahre). Wie erwartet, waren Frauen überrepräsentiert. Folgende Beratungsanlässe wurden in der Basiserhebung dokumentiert: Schmerzen des Bewegungsapparates inklusive Rückenschmerzen (14 Nennungen) sowie Spannungskopfschmerz und Migräne (12 Nennungen).

Nahezu 60 Prozent der Patienten mit Betreuungsbedarf litten bereits mehr als zehn Jahre an den Beschwerden. 28 Prozent gaben an, schon seit ein bis neun Jahren unter ihren Schmerzen zu leiden. Lediglich 10 Prozent hatten die Beschwerden kürzer als ein Jahr.

Die Patienten wurden im Verlauf des Erstgesprächs nach der Schmerzstärke befragt. Diese sollte mit Hilfe einer Schmerzskala von 0 (kein Schmerz) bis 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz) bewertet werden. Ein Drittel der Patienten hatte am Tag des Erstgesprächs keine Schmerzen - vor allem Migräne- und Kopfschmerzpatienten. 21 Prozent klagten über leichte Schmerzen, 26 Prozent stuften ihre Beschwerden als mittelstark und 18 Prozent als stark ein. Die Frage nach dem allgemeinen Gesundheitszustand wurde von 40 Prozent mit sehr gut bis gut beurteilt. 42 Prozent beurteilten ihren Gesundheitszustand als mittelmäßig und 13 Prozent als schlecht.

Alle Probanden ließen sich bereits ärztlich behandeln. 26 Prozent hatten einen Mediziner konsultiert und 53 Prozent nahmen zwei oder drei Ärzte in Anspruch. Immerhin 18,5 Prozent der Befragten hatten bereits vier oder mehr Ärzte auf Grund ihrer Beschwerden aufgesucht. Fast ein Viertel der Patienten (n = 9) hatte schon mindestens einmal einen speziellen Schmerztherapeuten konsultiert.

Alle Patienten nahmen zum Zeitpunkt der Betreuung Schmerzmittel ein. 79 Prozent hatten darüber hinaus eine oder mehrere nicht medikamentöse Maßnahmen erprobt. Nur die Hälfte der Patienten besaß einen Einnahmeplan.

Zurückhaltung bei EDV-Modulen

Für die Studie wurden folgende projektspezifische Dokumentationshilfen erarbeitet und getestet: Ein Leitfaden für das Erstgespräch (Basiserhebung sowie Auswertungshilfe) und die Folgegespräche (Monitoring), ein Leitfaden für das Evaluationsgespräch, themenspezifische Schmerztagebücher (Kopfschmerz und Migräne, Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen und Opioidtherapie) sowie diverse Organisations-, Beratungs- und Informationsmaterialien wie Einwilligungsprotokolle, Adresslisten et cetera.

Die Teilnehmer bewerteten diese Materialien insgesamt als hilfreich und gut handhabbar, denn sie ließen sich bei Bedarf problemlos an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Eher zurückhaltend schätzte man den Nutzen der EDV-Module ein. Als limitierender Faktor erwies sich vor allem die teilweise komplizierte Handhabung und damit längere Einarbeitungszeit. Die Teilnehmer wünschten sich als Beratungshilfe zudem Internetseiten mit medizinischen und pharmazeutischen Inhalten zum Thema chronischer Schmerz.

Betreuung im Apothekenalltag

Pharmazeutische Betreuung ist nur dann möglich, wenn es die Personalsituation in der Apotheke erlaubt und das Apothekenteam in den Prozess mit einbezogen wird. Zur Kommunikation mit den Studienteilnehmern muss - auch unplanmäßig - immer ein Mitarbeiter abkömmlich sein. Das pharmazeutische Personal muss die betreuten Patienten kennen, entsprechendes Fachwissen vermitteln und auch organisatorische Dinge wie Terminvereinbarungen oder die Rekrutierung neuer Probanden übernehmen. Neun Teilnehmer des Schmerzzirkels hatten damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Zwei Teilnehmern war die Integration schlecht gelungen - vor allem aus Personal- und Zeitgründen.

Die dokumentierten Betreuungsgespräche im Rahmen der Studie wurden von Apothekern geführt. Die Gesprächsdauer für die Basiserhebung betrug durchschnittlich 52 Minuten. Das Evaluationsgespräch nahm im Schnitt 24 Minuten in Anspruch.

Die Teilnehmer investierten im Verlauf der Studie pro Patient durchschnittlich fünf bis sechs Stunden (inklusive Recherchen, Arztgespräche). Fast alle Zirkelteilnehmer sahen noch Reserven zur Betreuung weiterer Patienten.

Bei den Studienpatienten wurden 45 arzneimittelbezogene Probleme dokumentiert. Einige Beispiel, die Ansatzpunkte für Patientengespräche bildeten, sind im unten stehenden Kasten aufgeführt.

 

Ansatzpunkte für die Beratung

  • ASS, Paracetamol oder Ibuprofen in der Akuttherapie der Migräne unterdosiert
  • fehlender zeitlicher Abstand der Einnahme von Prokinetikum und Analgetikum
  • kein konsequenter Ausschluss der Kombination Triptan/Ergotamin
  • kein korrekter Einnahmeplan
  • Analgetika-Abhängigkeit/keine adäquate Schmerztherapie
  • Angst vor Betäubungsmitteln
  • mangelndes Therapieverständnis und Selbstmanagement
  • zu wenig Information über Handhabung, Applikation und Anwendungsintervalle von transdermalen therapeutischen Systemen
  • Ergotamine verordnet
  • bei chronischen Schmerzen Kombinationsanalgetika statt Retardpräparate
  • fehlende Migräneprophylaxe
  • Obstipation oder Übelkeit nicht behandelt

 

Die Befürchtung bestätigte sich nicht, dass es bei Patienten mit langer Krankheitskarriere kaum noch Ansatzpunkte für die Betreuung gibt. Laut Evaluationsdokumentation konnten in 78 Prozent der Fälle neue Möglichkeiten zur Schmerzlinderung gefunden werden. Bei 62 Prozent änderte man die Arzneimitteltherapie, häufig durch Anpassung der Einnahmezeiten, Dosierungen und Umstellung auf andere Analgetika. Dies geschah in der Regel in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt.

Informativ und nützlich

Nach dem Evaluationsgespräch verteilten die betreuenden Apotheker 28 Fragebögen. Alle Bögen gingen an die Projektleitung zurück. Fazit der Befragung: Die Patienten waren insgesamt sehr zufrieden und würden bis auf einen die Betreuung wieder in Anspruch nehmen. Zudem stuften die Teilnehmer ihre Gespräche als informativ und nützlich ein. 82 Prozent der Patienten (19 von 23) waren der Meinung, den richtigen Ansprechpartner gefunden zu haben und 68 Prozent konnten sich in der Folge besser mit ihrem Therapeuten abstimmen. 23 Patienten informierten ihren Arzt über die Pharmazeutische Betreuung. Nur in zwei Fällen reagierten die Ärzte "eher ablehnend". Lediglich ein Patient gab an, dass das Vertrauensverhältnis zum Arzt gestört wurde.

27 Patienten führten ein Schmerztagebuch und besprachen die Medikation mit dem Apotheker, die Hälfte zusätzlich mit ihrem Arzt. Für zehn Patienten war das Schmerztagebuch für die Vorbereitung auf das Arztgespräch hilfreich und neun Patienten beurteilten die Reaktion des Arztes auf das Schmerztagebuch als positiv. 22 Patienten würden dieses Angebot der Apotheke auch anderen empfehlen. Nur ein Teilnehmer hielt die ärztliche Behandlung für ausreichend. Einige Patienten bedankten sich im Rahmen der Patientenbefragung explizit für das Engagement der Apotheker.

In ihrer letzten Sitzung diskutierten die Zirkelapotheker Möglichkeiten und Grenzen der Betreuung sowie den Nutzen der Sitzungen. Für den Einstieg in die Pharmazeutische Betreuung hatten sich die Studienteilnehmer mit der Auswahl der Klientel eine durchaus schwierige Aufgabe gestellt. Schließlich blickten alle Patienten bereits auf einen langen Krankheitsverlauf sowie diverse medikamentöse und nicht medikamentöse Behandlungen zurück. Einen Sonderfall bildeten Tumorpatienten: Sie sollten nach Meinung der Zirkelapotheker möglichst von Anfang an pharmazeutisch betreut werden.

Die Pharmazeutische Betreuung scheitert nicht am Widerstand der Ärzte. 14 der 33 angesprochenen Mediziner waren dem Projekt gegenüber - nach Wahrnehmung der Apotheker - positiv eingestellt, 14 verhielten sich neutral.

Hausaufgaben für Patienten

Schmerztagebücher, die visuelle Schmerzanalogskala, Arzneimittelchecks und Medikationsdateien haben sich nach Meinung der Zirkelapotheker während des Projekts bewährt. Zudem sollten die Patienten in der Apotheke mit "Hausaufgaben" versorgt werden. Parallel muss der Apotheker möglichst frühzeitig Kontakt mit den behandelnden Ärzten aufnehmen. 13 der 16 teilnehmenden Apothekern stuften die Pharmazeutische Betreuung in Bezug auf Therapieoptimierung und Imagegewinn positiv ein.

Alle Teilnehmer hatten hohe Erwartungen an das Projekt. Natürlich gab es auch Enttäuschungen, dass Ziele nur teilweise und nicht dauerhaft erreicht werden konnten. Als besonders schwierig erlebten die Pharmazeuten Beratungssituationen, in denen dem Patienten zu vermitteln war, dass eine Besserung vor allem mit einer aktiven Veränderung der Lebensgewohnheiten einhergehen muss. Ebenso schwierig war es, Patienten mit unterschiedlichen Schmerzarten zu betreuen und solche, die ihr Problem eher „abgeben wollten", ohne selbst aktiv zu werden.

In jeder Offizin machbar

Insgesamt gelang es, mit dem Projekt den Nutzen einer intensiven Beratung für Schmerzpatienten zu dokumentieren. Die Organisation in der Apotheke ist möglich und die erarbeiteten Instrumente lassen sich gut handhaben. Eine Herausforderung ist allerdings die Rekrutierung der Patienten.

Letztlich stärkt Pharmazeutische Betreuung das Selbstwertgefühl und die Berufszufriedenheit des Apothekers. Im Gegenzug nutzen die Patienten das Angebot ihrer Apotheke und bewerten es durchweg positiv. Der von den beteiligten Apotheken beschrittene Weg ist in jeder Offizin machbar. Die Erkenntnisse und erarbeiteten Instrumentarien werden in das Manual zur Pharmazeutischen Betreuung von Schmerzpatienten (Govi-Verlag) einfließen und stehen dann allen Apotheken zur Verfügung. Im Anschluss an die Studie werden in Sachsen regionale Qualitätszirkel angeboten. Aus der Überzeugung heraus, dass zum Nachweis der Fachkompetenz in Apotheken qualitative Kriterien nicht mehr wegzudenken sind, haben die sächsischen Apotheken seit 1998 ihren Beitrag zur Etablierung der Pharmazeutischen Betreuung in Apotheken konzipiert und konsequent zum Abschluss gebracht. Ein Dank geht an die Teilnehmer des Projektes, die Sächsische Landesapothekerkammer und an die Förderinitiative Pharmazeutische Betreuung.

Projektleitung:

Dr. Ingrid Schubert, Forschungsgruppe primärmedizinische Versorgung an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität Köln

Dr. Jutta Krappweis, Institut für Klinische Pharmakologie der Technischen Universität Dresden  Top

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