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19.04.1999 00:00 Uhr |
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ARZNEIMITTELSTABILTÄT
Ein Indiz für die Dynamik, mit welcher der Arzneimittelmarkt dem Trend einer globalen Harmonisierung folgt, war aktuell als Zusammenschluß der multinationalen Firmen Hoechst Marion Roussel und Rhone-Poulenc Rorer der Tagespresse zu entnehmen. Diese Globalisierung des Marktes erfordert zum Schutz der Patienten die Harmonisierungen von Prüfvorschriften und Anforderungen an die Arzneimittelqualität. Die Entwicklung von Richtlinien verläuft seit einigen Jahren in mehrstufigen Verfahren, die als International Conference on Harmonization (ICH) bezeichnet werden.
ICH-Richtlinien betreffen in Bereichen der Qualitätsprüfung etwa 85 Prozent des Weltarzneimittelmarktes. Aus dem breiten Spektrum der Inhalte wurde als eine der ersten Richtlinien die "Note for Guidance" zur Arzneimittelstabilität verabschiedet. Sie besitzt bereits seit Januar dieses Jahres in den beteiligten Staaten der Europäischen Union, Nordamerikas und Japan für neue Arzneistoffe sowie neue Darreichungsformen Gültigkeit.
Stabilität bedeutet, daß während der Lagerung bis zum Ende der Laufzeit ein ausreichend hoher Arzneistoffgehalt von mehr als 90 Prozent, bezogen auf die Deklaration, zur Verfügung steht, und daß zum Beispiel Abbauprodukte, die eine Gefährdung der Patienten darstellen könnten, ein Höchstmaß nicht überschreiten. Der Nachweis der Stabilität ist vom jeweiligen Hersteller für jedes Produkt und jede Dosisstärke experimentell zu belegen. Den Lagerungsbedingungen gerecht werdend wurde die Erde in vier verschiedene "pharmazeutische" Klimazonen mit definierter Temperatur und Feuchtigkeit eingeteilt. So gelten nach der ICH-Richtlinie für Europa, Japan und die USA einheitliche Bedingungen von 25 °C und 60 Prozent relative Feuchte. Dr. Wolfgang Grimm, als die Autorität im Bereich Stabilität weltweit anerkannt, erläuterte auf einer Veranstaltung der APV Ende letzten Jahres in Amsterdam, daß "Echtzeitdaten" aus Studien nach Lagerung über mindestens 12 Monate bei 25 °C und 60 Prozent relativer Feuchte grundsätzlich im Rahmen eines Zulassungsverfahrens zu präsentieren seien.
Diese Prüfbedingungen entsprächen sicher nicht den klimatischen Bedingungen in den meisten europäischen Staaten, besäßen jedoch Gültigkeit für alle EU-Mitgliedsstaaten, berichtete Dr. Christa Wirthumer-Hoche von der Quality Working Party der EMEA, London. Sie stellte Prüfbedingungen für weitere Arzneiformen vor. So müssen kühl zu lagernde Formulierungen bei 5 +/- 3 °C gelagert werden, ohne daß eine Regulierung der Feuchte notwendig ist. Der Toleranzbereich wurde geringfügig geweitet, um mit den Lagerungsbedingungen des Europäischen Arzneibuchs Übereinstimmung herzustellen. Grundsätzlich sind bei Neuzulassungen die erforderlichen Lagerungsbedingungen auf dem Arzneimittel zu kennzeichnen. Dies betrifft auch die sogenannten "intermediate conditions" von 30 °C und 60 Prozent relativer Feuchte (siehe auch Tabelle 1). Somit besteht nun europaweit ein kohärentes System aus Prüfbedingungen, Laufzeitspezifikationen und Lagerungshinweisen (Tabellen 1 und 2).
Die ICH-Notes for Guidance zur Stabilität sind auch in den USA in nationales Recht überführt worden. Worin sich die USA aber deutlich von Europa unterscheidet, ist die Trennung der sogenannten Freigabespezifikationen von den Laufzeitspezifikationen. In den Staaten wird kein Mindestgehalt von 95 Prozent zum Zeitpunkt der Chargenfreigabe beim Hersteller gegenüber einem Mindestgehalt von 95 Prozent zum Ende der Laufzeit gefordert. Dr. Robert Seevers, der Vertreter der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA, wies auf den Empfehlungscharakter der Richtlinie hin. Ein Antragsteller sollte sie berücksichtigen, kann aber auch alternative Vorgehensweisen wählen. Das müsse im Einzelfall jedoch wissenschaftlich begründet werden. Grundsätzlich hatte man in Amsterdam den Eindruck, daß in Europa eine stärker individuelle Regelung stattfindet als im Bereich der FDA. Die amerikanische Behörde hat in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, die Anforderungen an die Prüfung der pharmazeutischen Qualität in einem einheitlichen System zusammenzuführen. Dabei dient das Biopharmaceutics Classification System (BCS) als eine wesentliche Grundlage.
Das BCS stellt eine Vereinfachung pharmakokinetischer Prozesse auf die beiden Arzneistoff-Parameter Löslichkeit und Permeabilität dar. Diese können insgesamt vierfach kombiniert werden. So sind generell immer dann deutliche Einflüsse von Änderungen der Produktqualität auf dessen Bioverfügbarkeit zu erwarten, wenn die Löslichkeit und damit die Freisetzung, und nicht die Permeabilität, die für die Resorptionsrate steht, geschwindigkeitsbestimmend ist. Demzufolge fordert die FDA bei Änderungen nach bereits erfolgter Zulassung dann ein umfangreicheres Prüfprogramm zur Stabilität, wenn sich aufgrund einer Formulierungsänderung eventuell die Arzneistoffreisetzung und folglich die Bioverfügbarkeit ändert. Für Zulassungsanträge gilt genauso wie in Europa allgemein: Stabilitätsdaten aus einer mindestens 12monatigen Lagerung bei 25 °C und 60 Prozent relativer Feuchte sind vom Antragsteller beizufügen.
Die Abschätzung der Laufzeit durch Extrapolation bereits vorliegender Meßergebnisse erfordert die Berechnung von statistischen Vertrauensbereichen, so Privatdozent Dr. Hermann Wätzig. Liegen nur wenige Daten zu parallel untersuchten Chargen vor, können diese nur dann zu einem gemeinsamen Datenpool vereinigt werden, wenn sie gleichen Verteilungsmustern unterliegen, und zudem statistisch nicht verschieden sind. Moderne präzise analytische Verfahren können jedoch paradoxerweise dazu führen, daß Werte zu einzelnen Chargen so genau bestimmt werden, daß statistisch signifikante Unterschiede resultieren. Eine vereinigte Auswertung ist dann nicht mehr möglich. Die Einzelauswertung von Chargen kann jedoch dann unter Umständen zu einer sehr kurzen Laufzeitspezifikation führen, die die weitere Bearbeitung seitens des Hersteller im regulatorischen Verfahren deutlich erschwert. Zur Schaffung statistisch nicht-unterscheidbarer Daten und damit der Voraussetzung einer gemeinsamen Datenauswertung schlug Wätzig die Einschaltung eines Unschärfegliedes vor, was jedoch sicher einer weiteren Diskussion bedarf.
Eventuell kann die exakte statistische Versuchsplanung für ein pharmazeutisches Unternehmen ein Mehr an analytischem Aufwand zur Folge haben. Erfreulicherweise läßt die ICH-Richtlinie jedoch auch Modelle zur Reduktion des Gesamtaufwandes zu. Dr. Raymund Munden präsentierte Beispiele, wie die Konzepte des Bracketing und Matrixing in seinem Unternehmen umgesetzt und erfolgreich bei Zulassungsverfahren eingesetzt wurden. Bracketing bedeutet, daß bei mehreren in der Zusammensetzung proportionalen Dosierungen auf die Untersuchung der mittleren verzichtet werden kann, wenn zur höheren und niedrigeren Stabilitätsergebnisse vorliegen. Matrixing kann dann angewendet werden, wenn mehrere Parameter in Kombination geprüft werden müssen. So können bei mehreren Chargen mehrerer Dosierungen in unterschiedlichen Primärpackmitteln gewisse Prüfzeitpunkte "übersprungen" werden. Voraussetzung ist jedoch, daß die Stabilität mit geringem Risiko für die Patienten für alle Varianten belegt werden kann.
Insgesamt ist der strategischen Planung von Stabilitätsprüfungen vom Arzneistoff bis zu den verschiedenen daraus hergestellten Darreichungsformen eine entscheidende Bedeutung beizumessen. Die ICH-Richtlinie ziele zu sehr auf den Arzneistoff und zuwenig auf das Arzneimittel ab, so Dr. John Berridge. Er gab zu bedenken, daß die ICH-Richtlinie Hilfsstoffe schlichtweg vergessen habe.
Ungelöst ist inzwischen im wesentlichen nur noch die Prüfung des Vergleichspräparates bei Klinikmustern. Der sogenannte Komparator stammt in der Regel nicht aus dem eigenen Haus, so daß auf Daten nicht unmittelbar zugegriffen werden kann. Erschwerend kommt hinzu, daß das eigene Entwicklungsprodukt auf ein Marktsegment zielt, in welchem der Komparator bereits wirtschaftlich erfolgreich ist. Man darf somit allenfalls ein geringes Interesse an einem Datenaustausch vermuten. Häufig bleibt neben der Einbeziehung externer Kompetenz nur der mühsame Weg, Analysenmethoden und Spezifikationen neu zu erstellen. Erste Anzeichen auf einen diesbezüglichen Informationsaustausch wurden aus Großbritannien gemeldet. Dort soll die forschende Pharmaindustrie bei der Pharmaceutical Science Group inzwischen eine Art Tauschbörse unterhalten, wo verschiedene Methoden wechselseitig eingesehen werden können.
Einen optimistischen Ausblick bot Anthony Cartwright. Er beschrieb die Integration von "harmonisierten" Stabilitätsreports in das Common Technical Document (CTD). CTD umfaßt alle Daten zu einem Produkt vom Level der Rohdaten für Arzneistoff und Formulierung, über die Ebene der zusammenfassenden Berichte und Tabellen bis hin zu den Expertenberichten und dem eigentlichen Zulassungsantrag. Das CDT soll in einem weltweit einheitlichen Format dann zur globalen Zulassung eingesetzt werden können. Möglicherweise wird man sich jedoch in diesem speziellen Sachverhalt an eine neue Zeitdimension gewöhnen müssen.
Tabelle 1: Kennzeichnungspflichtige Lagerungshinweise für europäische Neuzulassungen ab Juli 1998
Stabilität belegt bei Kennzeichnung ggf. zusätzliche Kennzeichnung25 + 2 °C; 60 + 5 % rel. Feuchte
Tabelle 2: Kennzeichnungspflichtige Lagerungshinweise zur Anbruchstabilität
LagerungsproblemZusätzliche Kennzeichnung* Kommentarempfindlich gegen FeuchtigkeitBehältnis dicht verschlossen haltenz.B. bei Plastikflascheempfindlich gegen Feuchtigkeit z.B. bei BlisterpackungenlichtempfindlichArzneimittel im Originalbehältnis aufbewahren lichtempfindlichArzneimittel im Umkarton aufbewahren*) Die Notwendigkeit der Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen muß in der Packungsbeilage erläutert werden. Die Angaben in den Tabellen 1 und 2 wurden vom Autor aus den englischen Originaltexten übersetzt.
Anschrift des Verfassers
Dr. Johannes Krämer
Labor- und Qualitätsservicegesellschaft mbH
Carl-Mannich-Straße 24
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