Möglicher Wirkmechanismus für antientzündliche Wirkung |
22.03.2004 00:00 Uhr |
Bislang wurde ein hoher Peroxidgehalt im ätherischen Öl ausschließlich negativ bewertet, nämlich als ein Zeichen mangelnder Stabilität und gesundheitlicher Nebenwirkungen. Ein Urteil, das nach neuesten Forschungsergebnissen möglicherweise revidiert werden muss.
Ätherische Öle sind flüssige, lipophile und stark flüchtige Substanzgemische mit hauptsächlich terpenoiden Bestandteilen. Sie zeichnen sich durch ein charakteristisches Aroma aus, haben vielfältige biologische Funktionen und werden als natürliche Wirkstoffgemische vielfach für Arzneizwecke eingesetzt (1 bis 3). Erkrankungen der Atemwege, Erkältungen sowie Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes werden seit langem mit ätherischen Ölen, wie zum Beispiel Latschenkieferöl oder Teebaumöl, kuriert (4 bis 8). Die positive Wirkung auf den Verlauf einer Krankheit wird der expektorierenden und antiinflammatorischen Wirkung der ätherischen Öle zugeschrieben, wobei der Wirkmechanismus selbst weitgehend unbekannt ist.
Wie jedes ätherische Öl ist auch Latschenkieferöl Alterungsprozessen unterworfen, die seine Qualität nachteilig beeinflussen. Insbesondere Terpene mit isolierten Doppelbindungen wie D3-Caren, a- und b-Pinen und Limonen, alles Hauptbestandteile des Latschenkieferöls, reagieren unter Einwirkung von Luftsauerstoff zu Hydroperoxiden. Diese Hydroperoxide ihrerseits zerfallen unter Bildung radikalischer und damit aggressiver Intermediärprodukte, die in Anwesenheit von Sauerstoff die Bildung neuer Hydroperoxide katalysieren können. Organische Peroxide entstehen aus Terpenen mit konjugierten Doppelbindungen wie a- und b-Phellandren, a-Terpinen und b-Myrcen. Diese sind beständiger als Hydroperoxide.
Peroxide zersetzen sich mit der Zeit, wobei aldehydische Zerfallsprodukte entstehen, die zu Säuren oxidieren. Die Alterung ätherischer Öle geht also mit einem Anstieg des Peroxidgehaltes, mit Säurebildung und letztlich mit Verharzungserscheinungen einher, die mit einem Farbwechsel von Hellgelb nach Dunkelgelb und einer Veränderung der Konsistenz von flüssig nach zähflüssig begleitet wird.
Peroxide und ihre oxidativen Folgeprodukte werden auch für die hautreizende und allergene Wirkung ätherischer Öle verantwortlich gemacht (10, 11). Der Peroxidgehalt ätherischer Öle ist ein Maßstab für Stabilität. Er wird nach einem normierten, aber Zeit- und Lösungsmittelaufwendigen Verfahren im pharmazeutischen Bereich quantifiziert (Bestimmung der Peroxidzahl nach DAB).
Die Suche nach einem Alternativtest führte zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass im gealterten Latschenkieferöl nicht nur organische Peroxide, sondern auch das anorganische Wasserstoffperoxid entsteht.
Wasserstoffperoxid in ätherischen Ölen – das war neu und führte sogleich zu einer Reihe von Überlegungen. Wasserstoffperoxid ist nicht nur ein bekanntes Bleichmittel. Es wird im Organismus selbst gebildet und erfüllt dort zahlreiche Funktionen, die mit Regulation und Immunabwehr zu tun haben. Beruht die eingangs erwähnte antientzündliche Wirkung von ätherischen Ölen unter Umständen auch auf ihrem Wasserstoffperoxidgehalt?
Eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, polymorphkernige neutrophile Granulozyten (kurz Neutrophile), stellen eine der Hauptquellen für die Wasserstoffperoxidbildung in unserem Körper dar. Diese Zellen sind Bestandteile des zirkulierenden Blutes, dringen aber bei Entzündungsgeschehen in das betroffene Gewebe oder Organ ein und erfüllen dort ihre Funktionen im Rahmen der Immunabwehr. Zentrale Aufgaben sind die Phagozytose eingedrungener Pathogene sowie die Freisetzung reaktiver Verbindungen und Enzyme, die den aufgenommenen Mikroorganismus abtöten sollen. Aktivierte Neutrophile generieren während des so genannten Respiratory Burst reaktive Sauerstoffspezies wie Superoxidradikalanion und Wasserstoffperoxid. Außerdem werden Enzyme wie Lysozym, saure Hydrolasen, Elastase und Myeloperoxidase durch Degranulation in das umgebende Gewebe sezerniert. Eine besonders wichtige Reaktion ist in diesem Zusammenhang die Bildung der aggressiven, aber auch regulatorisch wirksamen Unterchlorigen Säure (HOCl) aus Wasserstoffperoxid und Chloridionen, katalysiert durch die Myeloperoxidase. Bei anhaltender (chronischer) Entzündung können diese Substanzen allerdings auch das eigene Gewebe angreifen.
In-vitro-Studien unserer Arbeitsgruppe ergaben, dass die Aktivität humaner neutrophiler Granulozyten in Anwesenheit sowohl von Latschenkieferöl als auch seiner Hauptinhaltsstoffe a-Pinen, Limonen und D3-Caren als Reinsubstanzen konzentrationsabhängig herabgesetzt wird. Die nahezu identischen Reaktivitäten des Gemisches (Latschenkieferöl) beziehungsweise jedes der getesteten Monoterpene scheint mit ihrem „Öl-Charakter“ zusammenzuhängen. Die Lipophilie der ätherischen Öle führt mit höchster Wahrscheinlichkeit dazu, dass sie sich in die Membran der neutrophilen Granulozyten einlagern oder sich an diese anlagern und dadurch die Signaltransduktion über die Membran, die essenziell für die Auslösung des Respiratory Burst und der Degranulation ist, im Sinne einer Abschwächung der entzündlichen Reaktion modifizieren. Diese Hypothese wird durch die gleichartige Wirkung anderer ätherischer Öle auf aktivierte Neutrophile untermauert (7, 12).
Dies bedeutet nun einerseits eine verminderte Bildung aggressiver Verbindungen und damit verbunden ein Schutz des benachbarten Gewebes. Andererseits fehlen diese Verbindungen möglicherweise für eine erfolgreiche Pathogenabwehr. Weitergehende Untersuchungen zeigten, dass dieser Effekt durch den Wasserstoffperoxidgehalt des ätherischen Öls kompensiert werden kann.
Experimente mit einzelnen Komponenten des Latschenkieferöls ergaben, dass alle vorkommenden Monoterpene unter den Bedingungen einer forcierten Alterung Wasserstoffperoxid bilden können, allerdings in recht unterschiedlichem Ausmaß. Hervorzuheben sind D3-Caren, g-Terpinen und Terpinolen. Doch die Wasserstoffperoxid-Bildungsraten der Einzelverbindungen gemäß ihres Anteils im Latschenkieferöl führen bei weitem nicht zu derjenigen, die das Gemisch Latschenkieferöl erreicht. Das Ganze ist hier, wie so oft in der Natur, halt doch viel mehr, als die Summe seiner Teilmengen.
Zusammenfassung
Zusammenfassend bieten unsere Ergebnisse Erklärungsmöglichkeiten für den bisher noch unbekannten Mechanismus der antiinflammatorischen Wirkung ätherischer Öle. Danach greift Latschenkieferöl in den Entzündungsprozess ein, in dem es die Überreaktion wichtiger Entzündungszellen (neutrophile Granulozyten) herunter regelt, gleichzeitig aber durch seinen Wasserstoffperoxidgehalt die Bildung mikrobizider Substanzen aufrecht erhält.
Bisher wurde ein hoher Peroxidgehalt im ätherischen Öl ausschließlich negativ bewertet, nämlich als Zeichen mangelnder Stabilität und mit gesundheitlichen Nebenwirkungen (hautreizend und allergen) – ein Urteil, das möglicherweise revidiert werden muss.
Literatur
1) IsarLabSystems, Dr. Hippeli, Birkenweg 9, 86441
Zusmarshausen, 2) Lehrstuhl für Gemüsebau, Technische Universität München
- Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Dürnast II, 85350
Freising-Weihenstephan, 3) Firma Allga-Pharma GmbH, Am Anger 8, 87538
Fischen/Allgäu, 4) Lehrstuhl für Phytopathologie, Labor für Angewandte
Biochemie, Technische Universität München - Wissenschaftszentrum
Weihenstephan, Am Hochanger 2, 85350 Freising-Weihenstephan
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