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Patienten wünschen sich Pharmazeutische Betreuung

12.03.2001  00:00 Uhr

BEFRAGUNG

Patienten wünschen sich Pharmazeutische Betreuung

von Marion Schaefer, Berlin

Die Pharmazeutische Betreuung wird innerhalb des Berufsstands zwar kontrovers diskutiert, der Begriff ist aber inzwischen relativ bekannt, auch wenn er noch immer mit unterschiedlichen Inhalten ausgefüllt wird. Solange die Diskussion jedoch ausschließlich berufsintern geführt wird, verfehlt sie ein wichtiges Ziel. Die öffentliche Anerkennung und eine gesellschaftliche Akzeptanz dieser Betreuungsleistung muss gleichermaßen durch Politik, Kostenträger und die Patienten beziehungsweise Apothekenkunden vollzogen werden.

Sieht man von der Imagekampagne der ABDA ab, die das Anliegen der Pharmazeutischen Betreuung zwar in eingängige Bilder umgesetzt hat, ohne sie jedoch mit dem Begriff selbst zu verbinden, ist das neue und über das bisherige Leistungsspektrum reichende Angebot der Apotheke bisher kaum öffentlichkeitswirksam vermittelt worden. Seminare, in denen die Inhalte des Konzeptes erläutert und Patienten ermutigt werden, aktiv in ihrer Apotheke nachzufragen, könnten dieses Defizit ausgleichen.

Patientenseminare

Unter der Überschrift "Pharmazeutische Betreuung - ein neues Konzept der intensivierten Beratung in der Apotheke" fand im Oktober 2000 bei der Seniorenuniversität der Berliner Humboldt-Universität ein Vortrag mit anschließender Diskussion statt. Nach einer kurzen Einleitung zu Nutzen und Risiken der Arzneimitteltherapie, erklärten Experten, wie Pharmazeutische Betreuung in Zusammenarbeit mit Patient, Apotheker und Arzt die Arzneimittelanwendung des einzelnen sicherer machen soll: Neben einer besseren Kommunikation zwischen allen Beteiligten, die auch die Anwendungserfahrungen des Patienten einbezieht, setzt die Betreuung voraus, dass fortlaufend Medikationsdaten möglichst per Computer erfasst und geprüft werden. Die einzelnen Schritte wie Arzneimittel-, Kontraindikations-, Dosierungs- und Compliancechecks wurden allgemeinverständlich erläutert und anschließend konkrete Fragen abgeleitet, die im jeweiligen Kontext zu stellen sind. Die Referenten betonten, dass sich ein solches Konzept nur umsetzen lässt, wenn alle Beteiligten bereit sind, den gewünschten Effekt therapeutischer Maßnahmen zu sichern.

Nach einer sehr offenen Diskussion wurden den knapp 300 Teilnehmern 200 Fragebögen ausgehändigt, die unmittelbar oder in den folgenden 14 Tagen zurückgegeben werden konnten. Neben den üblichen demographischen Angaben wurden auch weitere Fragen, zum Beispiel zu vorliegenden chronischen Erkrankungen gestellt. Zur Akzeptanz der Pharmazeutischen Betreuung waren Statements vorgegeben, die auf einer vierstufigen Likertskala bewertet werden sollten.

Man kann davon ausgehen, dass es sich beim überwiegenden Teil der Zuhörer um Akademiker handelte, da die Veranstaltung im Rahmen der Senioren-Universität stattfand. Diese Ausgangsbedingung hat mit Sicherheit die nachfolgenden Ergebnisse beeinflusst und die Daten werden bei ähnlichen Veranstaltungen nicht in gleicher Weise reproduzierbar sein.

Patientenbefragung zum Konzept der Pharmazeutischen Betreuung

Von den ausgegebenen 200 Fragebögen kamen 23 sofort und weitere 64 im Verlauf der nächsten 14 Tage zurück, so dass insgesamt eine Responderrate von 43,5% resultierte, die bei derartigen Befragungen als gut einzustufen ist. Die demographischen Daten der Befragten sind in Tabelle 1 (in der Druckausgabe) zusammengefasst. Wenn einzelne Fragen von weniger als 87 Personen beantwortet wurden, ist dies entsprechend vermerkt.

Bei der Auswertung der einzelnen Statements wurden der Einfachheit halber die graduierten Werte der Zustimmung beziehungsweise Ablehnung zusammengefasst. In Tabelle 2 (in der Druckausgabe) sind die entsprechenden prozentualen Anteile für eine zustimmende Bewertung ausgewiesen.

Die Angaben zu chronischen Erkrankungen konnten bei 80 Personen ausgewertet werden, weitere litten nicht unter dauerhaft zu behandelnden Krankheiten. Da keine Krankheitsbezeichnungen vorgegeben waren, musste bei der Auswertung (Tabelle 3, in der Druckausgabe) auf die jeweiligen Angaben der Patienten zurückgegriffen werden. Dabei wurden häufig auch nur die jeweils betroffenen Organe benannt. In diesem Sinne sind die Angaben auch nicht als Diagnosen zu verstehen, obwohl einzelne Patienten Formulierungen wählten, die eine bestätigte Diagnose vermuten lassen.

Soweit die Zuordnung eindeutig war, wurden die Angaben unter einem gemeinsamen Oberbegriff zusammengefasst.

Diskussion

Die relativ kleine Zahl der zur Auswertung verfügbaren Fragebögen und die Zusammensetzung der befragten Personen limitiert zwangsläufig die Aussagekraft der Ergebnisse. Immerhin spiegelt das Verhältnis von befragten Männern und Frauen eine Relation wider, die auch bei apothekenbasierten Erhebungen häufig anzutreffen ist. Im Durchschnitt wurden knapp zwei dauerhaft behandlungsbedürftige Erkrankungen pro Person angegeben, so dass mit den Teilnehmern des Seminars auch die Hauptzielgruppe der Pharmazeutischen Betreuung, die älteren multimorbiden Patienten, erreicht wurde. Dass ein überraschend hoher Anteil von 94,2 Prozent angibt, eine Stammapotheke zu haben, eröffnet den Apothekern gleichzeitig die Chance, diese Zielgruppe auch zu erreichen.

Die Statements zur Pharmazeutischen Betreuung ergaben eine unerwartet große Zustimmung, die aber einige interessante Differenzierungen aufweist. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Konzepts wird im Vergleich zu anderen Werten etwas zurückhaltender beurteilt. Wie die anschließende Diskussion nahe legte, bringen Patienten damit ihre zum Teil eingeschränkte Fähigkeit zum Ausdruck, medizinische und pharmazeutische Fachfragen auf der Basis des eigenen Wissens kompetent beurteilen zu können.

Dass 96,5 Prozent der Auffassung sind, Pharmazeutische Betreuung solle in jeder Apotheke angeboten werden und 96,6 Prozent sich eine bessere Zusammenarbeit von Arzt und Apothekern wünschen, ist ein klarer Auftrag an die Heilberufler zur Kooperation und gleichzeitig einer klaren Definition ihrer Aufgaben in dieser Zusammenarbeit.

Dass nur 75,8 Prozent bereit sind, ihre Medikationsdaten erfassen zu lassen, hat in diesem Fall weniger mit der Angst vor Datenmissbrauch zu tun, sondern mit der Art der Fragestellung, die bei einer erneuten Befragung verändert werden muss. Die in ihr enthaltenen doppelte Verneinung hat, wie auch Zwischenfragen anzeigten, zu Missverständnissen bei der Bewertung geführt.

Für diese Interpretation spricht auch die Tatsache, dass immerhin 94,3 Prozent bereit wären, in ihre Stammapotheke zu gehen, um dort ihre Medikationsdaten erfassen zu lassen. Das heißt aber auch, dass mindestens 2,3 Prozent Bedenken gegen diese Form der Erfassung haben, deren Gründe im individuellen Gespräch erkundet werden müssten.

Das als interne Kontrollfrage dienende Statement, dass man gern einen Medikations-Check in der Apotheke durchführen lassen möchte, wird allerdings nur noch von 81,7 Prozent bejaht. Davon ist bei 48,8 Prozent die Zustimmung eindeutig (+2 auf der Likertskala) und bei 32,9 Prozent mit gewissen Bedenken (+1) verbunden. 11,0 Prozent lehnen diesen aktiven Schritt zunächst ab (-2). Die Gründe dafür konnten durch den Fragebogen nicht ermittelt werden, sollten aber bei einer weiteren Befragung berücksichtigt werden.

Deutlich zurückhaltender sind die Befragten bezüglich der Hausbesuche von Apotheker, die nur 57,6 Prozent sinnvoll finden. In Verbindung mit der Frage nach der Kooperation von Arzt und Apothekern wird damit deutlich gemacht, dass die Patienten die Kompetenzen von Arzt und Apotheker relativ klar getrennt sehen und diese Trennung im wesentlichen auch beibehalten möchten.

Die drei abschließenden Fragen hatten keinen direkten, wohl aber einen indirekten Bezug zur Pharmazeutischen Betreuung. Nur drei der Befragten Personen (3,5 Prozent) gaben an, dass sie Arzneimittel auch über das Internet bestellen würden, davon zwei mit Einschränkungen. Immerhin lehnten 94,2 Prozent diesen Bezugsweg strikt ab. Dies verwundert in dieser Altersklasse nicht allzu sehr, da sicher überhaupt kein Internet-Zugang vorhanden ist.

Selbst etwas dazu beitragen zu können, die Kosten für die gesundheitliche Betreuung in vertretbaren Grenzen zu halten, wird immerhin von 82,4 Prozent bejaht. Allerdings halten 45,8 Prozent die eigenen Möglichkeiten für begrenzt. Ob sich diese Aussage auf eine gesunde Lebensweise oder auf gesundheitsfördernde Selbstmedikation oder beides bezieht, kann dabei nicht unterschieden werden.

Die im Fragebogen als diffizil angekündigte Frage nach der Bereitschaft, einen Gentest durchführen zu lassen, um vorab besser einschätzen zu können, ob und wie ein bestimmtes Arzneimittel im individuellen Falle wirkt, wurde nur von 84 Personen beantwortet. 67,8 Prozent standen dem aufgeschlossen gegenüber, 32,2 Prozent lehnten einen solchen Test ab; zum Teil aus Altersgründen, obwohl die Gründe nicht erfragt wurden. Unter Berücksichtigung der öffentlich geführten Diskussion zum Thema Gentechnik stützt dieses Ergebnis die Erfahrung, das gentechnische Verfahren im Gesundheitsbereich eine relativ hohe Akzeptanz im Vergleich zu anderen Themengebieten der Gentechnik aufweisen. Dennoch gilt auch hier, dass sich dieses relativ sinnvolle Verfahren für eine Risikoprophylaxe und stärkere Individualisierung der Therapie bei ausgewählten Risikogruppen nur dann etablieren lässt, wenn der Nutzen für den einzelnen klar begründet und für den Betreffenden ersichtlich ist.

Schlussfolgerungen

Das Seminar im Rahmen der Seniorenuniversität, die anschließende Diskussion und die Fragebögen belegen, dass das Interesse an gesundheitlichen Fragen in der Altersgruppe der Senioren erwartungsgemäß überdurchschnittlich hoch ist. Das Angebot derartiger Veranstaltungen eröffnet Apothekern deshalb die Möglichkeit, die wichtigste Zielgruppe der Pharmazeutischen Betreuung über ein Konzept zu informieren. Im Sinne einer möglichst nicht vordergründig von Interessen gesteuerten Informationsvermittlung sollte die Einladung dazu jedoch in größerem Rahmen, zum Beispiel über die Urania, den Paritätischen Wohlfahrtsverband, Selbsthilfegruppen oder ähnliches erfolgen.

Nachfrage nach dem Leistungsangebot der Pharmazeutischen Betreuung darf erst dann erzeugt werden, wenn die Apotheken prinzipiell in der Lage sind, diese Form der intensivierten Patientenbetreuung auch anzubieten. Dies ist durch die bei allen größeren Softwarehäusern verfügbaren Module generell gegeben, auch wenn in der Praxis noch die üblichen Anlauf- und Anpassungsschwierigkeiten zu beobachten sind.

Die Kassen, die der Forderung nach einer zusätzlichen Honorierung der Pharmazeutischen Betreuung bisher bekanntlich ablehnend gegenüber stehen, sehen sehr wohl den Nutzen, den ein derartiges Betreuungskonzept ihren Versicherten bei konsequenter Umsetzung bringen kann. Die Bestrebungen einzelner Kassen und Versicherungen, Elemente der Pharmazeutischen Betreuung in eigene Case-Management-Programme zu integrieren, wird aber kaum zum gewünschten Erfolg führen, weil zwar Signale generiert und Risikopatienten identifiziert werden können, aber die Betreuung selbst durch den Arzt und den Apotheker erfolgen muss.

Zunehmend wird deshalb von einzelnen Kassen gefragt, welche Apotheken bereits Pharmazeutische Betreuung anbieten. Inwieweit diese Fragen auch bei den bevorstehenden Verhandlungen zwischen den Spitzenverbänden eine Rolle spielen werden und wie die Politik sich dazu stellt, bleibt abzuwarten.

Unabhängig davon sollten Apotheker aktiver auf ihre Kunden zugehen und das Konzept der Pharmazeutischen Betreuung öffentlichkeitswirksam vermitteln. Durch Befragungen lassen sich gleichzeitig wertvolle Rückinformationen über die Akzeptanz der Pharmazeutischen Betreuung gewinnen, die für die weitere Strategie von Bedeutung sind.

Anschrift der Verfasserin:
Professor Dr. Marion Schaefer
Institut für Pharmazie
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