Unter Sirolimus weniger Metastasenbildung |
23.06.2003 00:00 Uhr |
20 Jahre nach einer Organtransplantation entwickelt circa die Hälfte der Empfänger ein lebensbedrohliches Malignom. Sirolimus als erster Vertreter einer neuen Klasse von Immunsupressiva (mTOR-Hemmer) scheint das Tumorwachstum weniger zu begünstigen als Calcineurin-Hemmer.
„Sirolimus hemmt in den Konzentrationen, die in der klinischen Situation Abstoßungsreaktionen unterdrücken, sehr effektiv die Entwicklung und das Wachstum von Krebserkrankungen“, sagte Professor Dr. Edward Geissler vom Klinikum Regensburg auf dem Weltkongress für Nierenheilkunde 2003 in Berlin.
Noch in den 80er- und 90er-Jahren stand die akute Abstoßung des Transplantats im Fokus der Mediziner. Heute überleben 80 bis 85 Prozent der transplantierten Nieren die ersten drei bis fünf Jahre. Die erfolgreiche Immunsuppression wurde vor allem durch die Calcineurin-Inhibitoren Ciclosporin A und Tacrolimus eingeleitet. Seit einigen Jahren rücken daher immer mehr die Probleme der Langzeit-Immunsuppression in den Vordergrund. Denn die Therapie „hat allerdings auch ihren Preis“, sagte Professor Dr. Hans Neumayer von der Charité in Berlin.
Immer noch gilt es, den immunologischen Schutz des transplantierten Organs gegen die Risiken der langfristigen Gabe potenter Immunsuppressiva auszubalanzieren. So entwickeln 35 bis 50 Prozent aller Organtransplantierten innerhalb von 20 Jahren ein lebensbedrohliches Malignom. Bei Untersuchungen an 3000 nierentransplantierten Patienten in München konnte Professor Dr. Karl-Walter Jauch vom Klinikum Großhadern vor allem virusinduzierte Tumore feststellen. „Überwiegend werden in Europa Tumore mit viraler Ätiologie, insbesondere Hautkrebs, aber auch Genitaltumore und lymphoproliferative Erkrankungen beobachtet“, so Jauch.
Neben dem gesteigerten Tumorrisiko zeigt die Langzeit-Immunsuppression auch weitere unerwünschte Wirkungen. Die Calcineurin-Hemmer limitieren das Langzeit-Überleben der Nierentransplantate. „Wir denken, dass etwa ein Drittel der chronischen Transplantatabstoßungen auf die Medikamente zurückzuführen ist“, sagte Neumayer. Der gleichzeitig gesteigerte Blutdruck unter Calcineurin-Inhibitoren begünstigt die Nierenvernarbung oder die chronische Transplantat-Dysfunktion. Speziell die Nierentoxizität gilt als besonders problematisch, da paradoxerweise ausgerechnet das Organ geschädigt wird, zu dessen Erhaltung die Immunsuppressiva appliziert werden. Jedoch war bisher ein Verzicht auf die Calcineurin-Inhibitoren ohne einen deutlichen Anstieg der akuten Abstoßungsrate nicht möglich.
Weitere Langzeit-Studien vonnöten
Sirolimus kann sich hier auf Dauer als Alternative erweisen. In der Verhinderung einer Abstoßungsreaktion ist die Substanz ebenso effektiv wie Ciclosporin A. Die Substanz hemmt das Enzym mTOR (mammalian target of Rapamycin), wodurch die Interleukin-2-vermittelte T-Zell-Aktivierung blockiert wird. Darüber hinaus wurden antiproliferative Wirkungen im Endothel beobachtet. So blockiert Sirolimus neben Interleukin-2 auch den VEGF (vascular endothelian growth factor), der bei der Tumor-Angiogenese eine wichtige Rolle spielt. Dagegen fördert Sirolimus die Bildung von E-Cadherin. Das Adhäsionsmolekül ist ein kalziumabhängiges 120kD-Oberflächenglycoprotein, das die Zellen zusammenhält, so dass sie weniger streuen. Invasive Tumorzellen sind oft durch einen Verlust an E-Cadherin gekennzeichnet. Nach Ansicht des Regensburger Experimental-Chirurgen Geissler sind jedoch weitere klinische Langzeit-Studien notwendig, um diese Theorien zu erhärten.
In der europäischen Zulassungsstudie lag die Gesamt-Malignominzidenz nach 36 Monaten unter Sirolimus bei 5,6 Prozent gegenüber 11,2 Prozent unter Ciclosporin A. Für die Tumorentstehung unter Immunsuppression mit Calcineurin-Inhibitoren wird jedoch nicht allein die erleichterte Virusvermehrung mit onkogenen Viren verantwortlich gemacht. In experimentellen Untersuchungen förderte Ciclosporin A – im Gegensatz zu Sirolimus – das Wachstum von Adenokarzinomzellen, indem es offenbar DNA-Reparaturmechanismen hemmte. „Angesichts dieser Ergebnisse sind einige Zentren in Europa und den USA dabei, Transplantations-Patienten mit Tumoren auf ein Regime mit Sirolimus umzustellen“, sagte Jauch. Zunehmend wird auch die Frage diskutiert, ob die bisherige Kontraindikation bei Organspendern mit Tumorerkrankungen noch aufrechterhalten werden kann.
Bereits vor mehreren Jahren hat man an der Charité damit begonnen, so genannte Rescue-Therapien durchzuführen. Patienten mit Ciclosporin A- oder Tacrolimus-induzierter Schädigung des Nierentransplantats werden auf Sirolimus umgestellt. „Bei 54 Prozent der Patienten stellten wir fest, dass sich die Nierenfunktion verbesserte oder sich zumindest nicht weiter verschlechterte“, sagte Neumayer. Als Indikatoren für eine Umstellung nannte der Mediziner eine schwere Hypertonie, chronische Nephrotoxizität, hämolytisches Syndrom und Tumore.
Prinzipiell ist nach den Berliner Untersuchungen eine Calcineurin-Inhibitor-freie Immunsuppression mit Sirolimus möglich. Jedoch steht dem die besonders schlechte Wundheilung unter Sirolimus entgegen. Daher ist zu Beginn einer Langzeit-Abstoßungsprophylaxe immer noch der Calcineurin-Hemmer Ciclosporin A Mittel der Wahl, wobei in der Induktionsphase auch Mycophenolatmofetil (MMF) und Steroide gegeben werden. Eine Umstellung auf Sirolimus sollte nach sechs Wochen, spätestens aber nach drei Monaten erfolgen.
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