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Ohne Analgesie keine effektive Therapie

16.06.2003  00:00 Uhr
Chronischer Rückenschmerz

Ohne Analgesie keine effektive Therapie

von Hannelore Gießen, München

Rückenschmerzen sind mit 30 Prozent die häufigste Diagnose in der Allgemeinpraxis, doch Patienten mit chronischem Bewegungsschmerz würden oft unzureichend behandelt, erklärte Dr. Marianne Koch, Präsidentin der Deutschen Schmerzliga e.V., bei einem von Mundipharma unterstütztem Pressegespräch im Juni in München.

„Bewegung statt Ruhe“ lautet inzwischen die Devise für die Therapie von Rückenschmerzen. Die Rehabilitation mit gezielter Physiotherapie ist eine entscheidende Phase, um eine Chronifizierung der Beschwerden zu verhindern. Sie kann jedoch nur optimal genutzt werden, wenn der Patient gut analgetisch vorbehandelt ist. Das war das Fazit einer aktuellen Studie, die Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums, vorstellte.

 

WHO-Stufenplan zur medikamentösen Schmerztherapie
  • Stufe 1: Nichtopioid-Analgetika wie ASS, Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac, eventuell in Kombination mit Antikonvulsiva oder Antidepressiva
  • Stufe 2: schwache Opiode wie Tramadol, Tilidin und Dihydrocodein
    (+) Nichtopioid-Analgetika
  • Stufe 3: starke Opioide wie Morphinsulfat, Fentanyl, Oxycodon und Buprenorphin
    (+) Nichtopioid-Analgetika

 

In die Multizenterstudie wurden 91 Patienten aufgenommen, die seit mindestens zwölf Wochen unter chronischen Rückenschmerzen litten, aber nicht operativ behandelt worden waren. Patienten, Ärzte und Physiotherapeuten wurden am ersten sowie nach 14 Tagen getrennt mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens befragt, inwieweit Einzelgymnastik, Gruppengymnastik und Gerätetraining durchgeführt werden konnten.

Schmerz entscheidet über Erfolg

Fast die Hälfte der Patienten profitierte auf Grund ihrer Schmerzen nur eingeschränkt von den physiotherapeutischen Maßnahmen, für ein weiteres Drittel war die Rehabilitation immerhin leicht beeinträchtigt. Dabei unterschätzten Ärzte und Therapeuten die Schmerzen ihrer Patienten sowie die dadurch verursachte Beeinträchtigung erheblich. Patienten mit sehr starken Beschwerden konnten aus Gruppen- und Einzelgymnastik sowie Gerätetraining den geringsten Nutzen ziehen. Eine effektive Schmerztherapie wertete Müller-Schwefe deshalb als eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation.

 

Wie entsteht Schmerz? Rund drei Millionen Schmerzsensoren, so genannte Nozizeptoren, sind an freien Nervenendigungen fast überall im Körper verteilt. Nozizeptoren nehmen direkte Schmerzreize, die chemischer, thermischer, mechanischer oder elektrischer Natur sein können auf und leiten sie in Form elektrischer Impulse vom peripheren an das zentrale Nervensystem und den Thalamus weiter. Hier werden alle Reize erfasst, verarbeitet und an höhere Hirnregionen gesandt, wo der Schmerz bewusst wahrgenommen, lokalisiert und bewertet wird.

 

Schmerz ist messbar

Schmerz ist ein individuelles Erleben, das in Form von objektiven Messparametern nicht fassbar ist. Um den Schmerz dennoch quantifizieren zu können, wurde eine zehnstufige visuelle Analogskala entwickelt. Mittels dieser Skala kann der Betroffene auch ohne Worte mitteilen, wie stark er seine Schmerzen empfindet. Diese Schmerzskala wurde in der bereits erwähnten Rehabilitationsstudie eingesetzt. Zu Beginn der Behandlung wurden die Patienten zum einen gefragt, auf welchem Punkt der Skala sie ihre Schmerzen einstufen, und zum anderen, welche Schmerzintensität sie noch akzeptabel fänden beziehungsweise welche Besserung sie sich von der Therapie erhofften.

Chronischer Schmerz ist anders

Die Schmerztherapie läge in Deutschland noch immer im Argen, erklärte Dr. Michael Überall, Vizepräsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums. Besonders der Bewegungsschmerz würde oft nicht adäquat behandelt. Anders als bei akuten Schmerzen wirken nicht-steroidale Antirheumatika und Nichtopioid-Analgetika bei der chronifizierten Form nur unzureichend. Das sei auch theoretisch plausibel, erläuterte der Schmerzexperte: Die Cyclooxygenasen 1, 2 und 3 spielen vor allem in der Initialphase der Schmerzentstehung eine wichtige Rolle, in einem chronifizierten Stadium sind sie von untergeordneter Bedeutung. Dagegen wirken Opioid-Analgetika besser auf das nozizeptive System, das an der Reizweiterleitung beteiligt ist. Opioid-Analgetika würden vielfach noch immer als Reserveanalgetika bei Tumorschmerzen angesehen, die sich jedoch in ihrer Pathologie durch nichts von anderen Schmerzen unterscheiden. Das WHO-Schema müsse auch nicht stufenweise durchlaufen werden. Sinnvoller sei es, eine initial ausreichende Schmerztherapie zu beginnen und später auf eine niedrigere Stufe des WHO-Schemas überzugehen.

 

Wie Schmerzen chronisch werden Durch immer wieder neue Schmerzreize kann sich ein Schmerzgedächtnis entwickeln. Neurobiologisch spielen sich dabei ähnliche Prozesse ab wie beim Lernen: Durch die häufige Aktivierung werden die betroffenen Strukturen im Gehirn reaktionsbereiter, der gleiche Reiz wird stärker empfunden. Um die gespeicherte Schmerzempfindung zu vergessen, muss die laufende Auffrischung des Gelernten verhindert, der Schmerz für eine Zeit wirksam gehemmt werden.

Akuter Schmerz kann chronisch werden, muss es aber nicht. Der Körper verfügt selbst über Mechanismen, die eine Chronifizierung verhindern. Dieser Selbstschutz kann jedoch gestört sein, so dass im Einzelfall nicht vorhersehbar ist, ob und wann sich ein Schmerzgedächtnis bildet.

 

Überall stellte eine Anwendungsbeobachtung aus dem Jahr 2002 vor, in der 559 Patienten mit starken bis sehr starken Schmerzen zusätzlich zu ihrer bereits bestehenden Schmerztherapie retardiertes Oxycodon in einer Initialdosierung von dreimal 10 mg erhielten. Durch die Zusatzbehandlung gelang es innerhalb von drei Wochen, die mittlere Schmerzintensität um etwa 60 Prozent zu reduzieren. Bei einem Teil der Patienten konnte eine analgetische Begleitmedikation verringert werden. Heute orientiere sich die Schmerzbehandlung am Patienten und an seinem individuell erlebten Schmerz, fasste Überall das Konzept des Schmerztherapeutischen Kolloquiums zusammen. Top

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