Das Antiestrogen Fulvestrant |
04.04.2005 00:00 Uhr |
von Thilo Bertsche, Heidelberg, und Martin Schulz*, Berlin
Fulvestrant (Faslodex®) ist ein neuer Estrogenrezeptor-Antagonist zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom. Im Gegensatz zum etablierten Tamoxifen muss Fulvestrant nur einmal monatlich gespritzt werden.
*) unter Mitarbeit von Hartmut Morck, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Muncke
Neben Zytostatika und chirurgischen Interventionen sind Antiestrogene eine wichtige Therapieoption in der adjuvanten Behandlung eines Mammakarzinoms. Dabei unterscheidet man zwischen Estrogenrezeptor-Antagonisten wie Tamoxifen (Novaldex®) oder Fulvestrant (Faslodex®) und Aromatasehemmern wie Anastrozol (Arimidex®), Letrozol (Femara®) oder dem steroidalen Exemestan (Aromasin®). Während Estrogenrezeptor-Antagonisten die peripheren Wirkungen der Estrogene durch Bindung an die Estrogenrezeptoren blockieren, inhibieren Aromatasehemmer das für die Estrogensynthese essenzielle Enzym Aromatase.
Weitere medikamentöse Therapieoptionen sind zum Beispiel Gonadotropinreleasinghormon-(GnRH)-Analoga, Gestagene oder der monoklonale Antikörper Trastuzumab (Herceptin®), wobei sich letzterer allerdings nur für die Therapie von Brustkrebspatientinnen eignet, deren metastasierende Tumoren das HER2-Protein überexprimieren (1, 2).
Tamoxifen als Standard
Tamoxifen gilt bislang wegen der guten Datenlage als Mittel der Wahl zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit hormonsensitivem Mammakarzinom. Der therapeutische Nutzen von Tamoxifen nimmt zwar in den ersten Einnahmejahren mit Dauer der Anwendung zu, jedoch erhöht sich unter anderem die Inzidenz für Endometriumkarzinome und Thromboembolien. Deshalb gelten fünf Jahre als optimale Behandlungsdauer.
Ob Aromatasehemmer im Vergleich zu Tamoxifen weniger Nebenwirkungen und möglicherweise eine noch bessere Wirksamkeit besitzen, wurde in aktuellen Studien untersucht. In der ATAC-Studie (3) war die Rate der überlebenden Frauen ohne lokales Rezidiv, Fernmetastasen oder zweiten Primärtumor (krankheitsfreies Überleben) unter Anastrozol geringfügig, aber statistisch signifikant höher als unter Tamoxifen. Ein Unterschied in der Gesamtsterblichkeit war jedoch nicht zu erkennen. Ein Vorteil von Anastrozol zeigte sich allerdings nur bei positivem Hormonrezeptorstatus.
Die Kombination von Anastrozol und Tamoxifen war weder in Bezug auf das krankheitsfreie Überleben noch auf die Gesamtsterblichkeit besser als Tamoxifen allein. Zum Vergleich des Aromatasehemmers Anastrozol mit Tamoxifen in der adjuvanten Therapie wurde bislang nur eine Nachbeobachtung von 33 Monaten veröffentlicht. In diesem Zeitraum verlängerte Anastrozol auch das krankheitsfreie Überleben gegenüber Tamoxifen und führte zudem zu weniger Nebenwirkungen.
Brustkrebs häufigste Krebserkrankung der Frau Brustkrebs (Mammakarzinom) ist nach aktuellen Daten in Deutschland mit circa 50.000 Neuerkrankungen pro Jahr das häufigste Krebsleiden der Frau. Das theoretische Risiko einer Frau, irgendwann in ihrem Leben an Brustkrebs zu erkranken, beträgt über 8 Prozent. Am häufigsten erkranken Frauen zwischen dem 60. bis 65. Lebensjahr. Auch Männer können allerdings sehr viel seltener betroffen sein. Risikofaktoren sind vor allem eine familiäre Prädisposition, Übergewicht, späte oder keine Schwangerschaften, Estrogentherapien und die proliferative Mastopathie.
Auf Grund der Häufigkeit und der deutlich besseren Prognose bei rechtzeitiger Diagnose ist die Früherkennung des Brustkrebses entscheidend. Deshalb ist eine intensive Selbstuntersuchung und regelmäßige Kontrolle durch den Gynäkologen sowie eine Mammographie in empfohlenen Intervallen dringend anzuraten. Neben der Mammographie sind Ultraschall, Biopsie und Magnetresonanztomographie (MRT) geeignete Maßnahmen zur Sicherung der Diagnose (12).
Ob Anastrozol gegenüber Tamoxifen auch bei einer bis zu fünfjährigen Behandlung Vorteile aufweist, lässt sich bislang noch nicht beantworten. Mittlerweile veröffentlichte Daten (4), basierend auf einen medianen Follow-up von 47 Monaten, scheinen allerdings den bisherigen positiven Trend aus der ATAC-Studie zu bestätigen. Andererseits konnte ein zusätzlicher Nutzen einer auch nach fünf Jahren noch fortgesetzten Therapie mit Tamoxifen bislang nicht belegt werden (5).
Reiner Antagonist Fulvestrant
Fulvestrant ist wie Tamoxifen ein Estrogenrezeptor-Antagonist und bindet kompetitiv an den Estrogenrezeptor mit einer dem Estradiol vergleichbaren Affinität. Im Gegensatz zu Tamoxifen blockiert Fulvestrant vollständig die Wirkungen der Estrogene, ohne selbst partiell agonistische (estrogenartige) Eigenschaften zu besitzen. Langfristig sind daraus positive Effekte im Hinblick auf die Inzidenz des Endometriumkarzinoms oder von Thromboembolien zu erwarten.
In placebokontrollierten Studien reduzierte Fulvestrant das Estrogenrezeptorprotein in Tumoren. Die Expression des Progesteronrezeptors war ebenfalls signifikant vermindert.
Fulvestrant ist als Faslodex® zugelassen zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit Estrogenrezeptor-positivem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom, weiterhin bei Rezidiv während oder nach adjuvanter Antiestrogen-Therapie oder bei Progression der Erkrankung unter der Behandlung mit einem Antiestrogen. Die empfohlene Dosis beträgt unabhängig vom Alter 250 mg intramuskulär in Abständen von einem Monat (6, 7).
Hitzewallungen und Osteoporose
Die Nebenwirkungsprofile von Fulvestrant und Anastrozol sind ähnlich. Innerhalb des klinischen Studienprogramms traten bei fast der Hälfte der Patientinnen Nebenwirkungen auf und 0,9 Prozent brachen die Therapie auf Grund einer unerwünschten Wirkung ab. Dabei wurden am häufigsten Hitzewallungen, Übelkeit und Reaktionen an der Injektionsstelle angegeben. Weiterhin wird von Gelenkbeschwerden und Thromboembolien berichtet. Auf Grund des Wirkungsmechanismus von Fulvestrant besteht ein potenzielles Osteoporoserisiko (6, 8).
Bei Patientinnen mit leichter bis mittelschwerer Einschränkung der Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance ≥ 30 ml/min) wird keine Dosisanpassung empfohlen. Es liegen keine Untersuchungen bei schwerer Einschränkung der Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min und bei Leberfunktionsstörungen vor. Auf Grund der intramuskulären Applikation ist Fulvestrant bei Patientinnen mit Blutungsneigung, Thrombozytopenie oder denjenigen, die Antikoagulanzien erhalten, nur mit Vorsicht anzuwenden. In einer Analyse von Daten aus klinischen Studien wurde im Hinblick auf das Alter (33 bis 89 Jahre), das Gewicht (40 bis 127 kg) oder die ethnische Herkunft kein Unterschied im pharmakokinetischen Profil von Fulvestrant festgestellt. Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist Fulvestrant kontraindiziert (6).
Problemlose Pharmakokinetik
Maximale Plasmakonzentrationen werden nach Injektion von Fulvestrant ungefähr nach sieben Tagen erreicht. Bei monatlichen Injektionen stellen sich Steady-state-Konzentrationen ungefähr nach sechs Dosen ein. Die terminale Halbwertszeit wird auf 50 Tage geschätzt. Das scheinbare Verteilungsvolumen im Steady-state beträgt 3 bis 5 l/kg, was für eine überwiegend extravasale Verteilung spricht. Fulvestrant wird in hohem Maße (99 Prozent) an Plasmaproteine gebunden. Der Metabolismus läuft über verschiedene, endogenen Steroiden entsprechende Biotransformationswege ab. Dabei sind die Metaboliten weniger wirksam oder zeigen eine ähnliche Aktivität wie die Muttersubstanz. Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich über den Fäzes, weniger als 1 Prozent werden über den Urin ausgeschieden. Fulvestrant hat eine hohe Clearance von 11 ± 1,7 ml/min/kg. Klinisch relevante Interaktionen mit Cytochrom-P450-Isoenzymen sind bislang nicht bekannt (6).
Vergleich mit Tamoxifen
In einer klinischen Studie wurde Fulvestrant (250 mg, i. m., einmal monatlich, n=313) mit Tamoxifen (20 mg, peroral, einmal täglich, n=274) bei fortgeschrittenem Brustkrebs an postmenopausalen Frauen mit Estrogen-/Progesteron-Rezeptor-positivem oder unbekanntem Befund verglichen (9). Interessant waren vor allem die Unterschiede je nach Hormonrezeptorstatus. So konnte im Gesamtkollektiv Tamoxifen eine zumindest tendenziell bessere Wirksamkeit als Fulvestrant unter Beweis stellen: Nach einem medianen Follow-up von 14,5 Monaten ergab sich mit 6,8 für Fulvestrant zu 8,3 Monaten für Tamoxifen (p=0,088) zwar kein signifikanter Unterschied, aber eine positive Tendenz für Tamoxifen. Bei Patientinnen mit positivem Hormonrezeptorstatus war Fulvestrant mit 8,2 Monaten hingegen ähnlich gut wirksam wie Tamoxifen mit 8,3 Monaten. Die Responseraten betrugen insgesamt 31,6 Prozent unter Fulvestrant und 33,9 Prozent unter Tamoxifen.
Höhere Responsedauer
In einer kombinierten Analyse wurden zwei Phase-III-Studien zusammengefasst, in denen jeweils Fulvestrant 250 mg monatlich (n=428) beziehungsweise Anastrozol 1 mg täglich (n=423) gegeben wurden (10). An den Studien nahmen postmenopausale Frauen teil, deren metastasiertes Mammakarzinom unter vorheriger endokriner Behandlung weiter fortschritt. Nach im Mittel 15,1 Monaten zeigten nahezu 83 Prozent der Patientinnen in jeder Behandlungsgruppe eine Progression. Die mediane Zeit bis zu dieser betrug 5,5 Monate in der Fulvestrant- und 4,1 Monate in der Anastrozol-Gruppe. Die objektiven Responseraten betrugen 19,2 Prozent für Fulvestrant beziehungsweise 16,5 Prozent für Anastrozol, ein statistisch nicht signifikanter Unterschied. Bei Patientinnen, die auf die Therapie ansprachen, wurde ein weiterer Follow-up (im Median 22,1 Monate) durchgeführt, um die Informationen in Bezug auf die Dauer des Ansprechens zu vervollständigen. Die mittlere Zeit der Response, gerechnet von der Randomisierung bis zur Krankheitsprogression bei Patientinnen mit positiver Ansprechrate, betrug 16,7 Monate in der Fulvestrant- und 13,7 Monate in der Anastrozol-Gruppe. Statistisch erwies sich Fulvestrant bezüglich der Responsedauer somit als dem Anastrozol überlegen.
Auch in der Second-line-Behandlung von fortgeschrittenem Mammakarzinom bei postmenopausalen Frauen mit viszeralen und nonviszeralen Metastasen wurde die Wirksamkeit von Fulvestrant mit der von Anastrozol verglichen (11). In dieser retrospektiven Subgruppen-Analyse einer größeren Studie zeigte sich, dass Fulves\-trant in Bezug auf die objektiven Responseraten und den klinischen Nutzen mit Anastrozol vergleichbar ist.
Fazit: Fulvestrant derzeit als Secondline-Therapie Als Antiestrogen ohne partielle estrogene Aktivität führt Fulvestrant zur Downregulation von Estrogenrezeptoren. Präklinische Daten deuten zwar darauf hin, dass es keine stimulierende Wirkung auf das postmenopausale Endometrium hat. Allerdings liegen klinische Daten zur Langzeitwirkung noch nicht vor.
Die Wirksamkeit scheint mit derjenigen von Anastrozol, das in Bezug auf das krankheitsfreie Überleben erste Anzeichen für eine Überlegenheit gegenüber dem etablierten Tamoxifen zeigen konnte, mindestens gleichwertig zu sein. In Bezug auf die Dauer einer klinischen Response zeigen sich sogar Vorteile von Fulvestrant gegenüber Anastrozol. Im direkten Vergleich hatte Tamoxifen allerdings ohne Berücksichtigung des Hormonrezeptorstatus tendenziell Vorteile gegenüber Fulvestrant.
Fulvestrant steht als Faslodex® zur intramuskulären Applikation als Fertigspritze zur Verfügung. Die Monatstherapiekosten liegen mit 528,66 Euro gegenüber 7,13 Euro für eine 30-tägige Therapie mit einem Tamoxifengenerikum erheblich höher (berechnet für Tamoxifen-Beta® 20 mg, 100 Tabletten, eine Tablette pro Tag) (13).
Fulvestrant bietet sich derzeit nur als Second-line-Therapie an. Es ist allerdings wünschenswert, in langfristig angelegten Studien die Frage einer möglichen Verbesserung der Überlebenszeit, vor allem gegenüber Tamoxifen aber auch im Vergleich zu Anastrozol, zu klären.
Literatur
Anschrift der Verfasser:
Dr. Thilo Bertsche
Universitätsklinikum Heidelberg
Medizinische Klinik (Krehl-Klinik)
Abteilung Innere Medizin VI
Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg
Dr. Martin Schulz
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
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