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Optimistische Stimmung bei Krebsspezialisten

14.07.2003  00:00 Uhr
Tumortherapie

Optimistische Stimmung bei Krebsspezialisten

von Gudrun Heyn, Berlin

In der Tumortherapie gehen die Behandlungsstrategien der Onkologen in eine neue Richtung. Auf einem Pressegespräch berichteten Experten der Charité von den diesjährigen Highlights der ASCO-Tagung, des größten Krebskongresses der Welt.

„Targeted Therapies“ heißt das Zauberwort, das auf der 39. Tagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago die Runde machte. Die neuen Substanzen greifen zielgerichtet in das Tumorgeschehen ein. Dabei macht man sich den großen Kenntniszuwachs der letzten Jahre zunutze.

Inzwischen kann beispielsweise das Leukämie-verursachende Prinzip im Tiermodell nachvollzogen werden. Die chronisch myeloische Leukämie entsteht durch eine einzige chromosomale Translokation, also durch die Umlagerung von Genmaterial von einem Chromosom auf ein anderes. Hierdurch verschmelzen zwei vorher getrennte Gene. Das neue Fusionsgen hat fatale Folgen: Es codiert ein dauerhaft aktiviertes Produkt, das nicht mehr reguliert werden kann. „Bei dem zellbiologischen Unglück steht die Zelle daher permanent unter Feuer“, sagte Professor Dr. Bernd Dörken. Vergleichbar sind auch die im Körper ablaufenden Prozesse bei gastrointestinalen Stromatumoren, bei denen durch eine Mutation ein Rezeptor permanent aktiv ist.

In die Signaltransduktion einzugreifen, wird daher als neues Paradigma in der Tumortherapie angesehen. Beispielsweise mit dem Wirkstoff Imatinib. Die Substanz gehört zu den so genannten „small molecules“ und wirkt als Tyrosin-Kinase-Hemmer. Und dies mit zum Teil drastischen Ergebnissen und sensationellem Erfolg, wie Dörken sagte. Bei der Therapie von Kolonkarzinomen sei teilweise nur noch die nekrotische Hülle der Tumore übrig geblieben. „Wir müssen noch sehr vorsichtig sein“, sagte Dörken. Dennoch sei er in einer sehr positiven Stimmung aus den USA nach Hause gekommen.

Hoffnungsträger

Große Erwartungen setzen die Mediziner in die neuen Angiogenesehemmer. Hierbei spielt ein anderes Prinzip der Tumorentstehung eine wichtige Rolle. So brauchen Tumore eine Umgebung, in der sie wachsen können. In vielen Tumoren ist daher der die Konzentration des VEGF (vascular endothelian growth factor) erhöht, die Angiogenese gesteigert. Der Tumor zieht somit Gefäße heran, die ihn versorgen. Inzwischen gibt es gentechnisch hergestellte Antikörper, die VEGF inhibieren können. Zu diesen Substanzen gehört Bevacizumab (Avastin®). In der Chemotherapie bei Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom wurde die Substanz zusammen mit Irinotecan/5-FU/FA (IFL) in einer Phase-III-Studie eingesetzt. Im Durchschnitt verlängerte dies die Überlebenszeit der Patienten, die in der Kombi-Therapie zusätzlich den humanisierten Antikörper bekamen, um fünf Monate. Die Überlebenszeit steigerte sich statistisch signifikant von 15,6 auf 20,3 Monate. Auch die Ansprechrate verbesserte sich in der Bevacizumab-Gruppe. Doch Dörken warnt: „Wir können noch nicht von einem Durchbruch sprechen.“ Schließlich brachte die Anwendung des Wirkstoffes in einer Studie mit Patientinnen, die an einem Mammakarzinom erkrankt waren, keinen Effekt. „Und ganz harmlos ist der Antikörper auch nicht“, sagte der Onkologe. Als Nebenwirkung wurde eine Hypertonie beobachtet. Außerdem traten bei sechs von 36 Patienten mit Kolonkarzinom Darmperforationen und bei Patienten mit Bronchialkarzinom tödliche Blutungen auf.

„Beim Gebärmutterkrebs besteht die Standardtherapie nach wie vor aus Operation und Chemotherapie“, berichtete Professor Dr. Werner Lichtenegger. „Im fortgeschrittenen Stadium wird nach der Operation eine Strahlentherapie durchgeführt.“ Die in Folge der Therapie auftretende Anämie kann mit Darbepoetin alpha (Aranesp®) behandelt werden. Bluttransfusionen werden dadurch überflüssig und die Lebensqualität der Patientinnen steigt signifikant. „Außerdem verbessert sich die Rezidivrate durch das Erythropoetin deutlich“, so Lichtenegger. Allerdings könne er dies statistisch noch nicht belegen. „Die Gynäkologen sind hier Vorreiter“, meinte Dörken, denn Tumore brauchen Sauerstoff zum Wachsen. So wird bei Sauerstoffmangel, etwa in Folge einer Anämie, VEGF in den Tumoren vermehrt produziert und damit das Wachstum angeregt.

„Beim Mammakarzinom deutet sich an, dass ein Absetzen von Tamoxifen nach fünf Jahren einen eventuellen Vorteil im Überleben der Patientinnen bringt“, berichtete Professor Dr. Jens-Uwe Blohmer. Von einer adjuvanten Chemotherapie würden ältere Frauen genauso profitieren wie jüngere. Das Alter spiele für Dosierung und Ergebnisse keine Rolle.

Auf Marker-Suche

„Zur Behandlung des Ovarialkarzinoms suchen Wissenschaftler noch immer nach einem Marker, um zwischen gut und böse und außerdem zwischen Früh- und Spätstadium unterscheiden zu können“, sagte Dr. Jalid Sehouli. Auf Operation und Chemotherapie sprechen 75 Prozent der Frauen positiv an. Allerdings zeigen 80 Prozent ein Rezidiv. Die Überlebenszeit kann verlängert werden, wenn die Chemotherapie in Kombination mit dem Zytostatikum Doxorubizin (Caelyx®) erfolgt. Als Nebenwirkung konnte eine Hauttoxizität beobachtet werden. „Sie lässt sich jedoch durch eine Halbierung der Dosis verringern“, sagte Sehouli. Auf dem Kongress in Chicago wurde darüber hinaus eine Phase-III-Studie vorgestellt, die zeigte, dass beim refraktären Ovarialkarzinom Topotecan verglichen mit Treosulfan und beim platinsensitiven Rezidiv die Kombination Paclitaxel/Carboplatin verglichen mit Platin signifikant überlegen waren.

„Durch eine Verbesserung der Chemotherapie können wir beim Darmkrebs derzeit etwa die gleichen Ergebnisse erreichen wie mit Antikörpern“, sagte Dr. Peter Reichardt. Eine höhere Ansprechrate und eine verlängerte Überlebenszeit bringt die Kombi-Therapie mit Oxaliplatin. Der Onkologe schätzt, dass durch die Anwendung dieser Therapie etwa 1500 mehr Menschen in Deutschland gerettet werden könnten.

Schlechte Aussichten haben immer noch Patienten mit einem Pankreaskarzinom. „Über die Hälfte der erkrankten Menschen in der Bundesrepublik werden nach wie vor nicht behandelt,“ sagte Professor Dr. Helmut Oettle. Gemcitabin hat sich inzwischen jedoch als Standardtherapeutikum etabliert. In der Kombination mit Cisplatin zeigte sich in einer Studie kein Vorteil im Gesamtüberleben, jedoch konnte die progressionsfreie Zeit um wenige Monate verlängert werden.

Auch wenn der Paradigmenwechsel in der Krebstherapie die Praxis noch nicht erreicht hat, sehen die Experten optimistisch in die Zukunft. Neue Therapiestrategien und neue Medikamente werden erwartet. „Die Ergebnisse der „targeted Therapies“ sind so beeindruckend, dass sogar die Börsenkurse auf die ASCO-Nachrichten reagiert haben“, sagte Dörken. Top

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