Interferone bei MS vorbeugend einsetzen |
14.04.1997 00:00 Uhr |
Pharmazie
Seit 1960 bildet Cortison die Basistherapie von Multipler Sklerose (MS). Im akuten Schub sind auch heute noch Glucocorticoide die Mittel der Wahl. Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es aber zwischen den Schüben, kann man sie mildern oder gar ganz unterdrücken? Seit kurzem behandelt man in Dauertherapie und prophylaktisch mit Interferonen. Hat sich die Immuntherapie durchgesetzt? Einen Überblick gab ein von Schering ausgerichtetes Symposium.
Die MS ist ein meist schubförmig verlaufender entzündlicher Prozeß. Charakteristisch sind Entmarkungsherde, die verstreut im Gehirn und Rückenmark liegen. Die Schutzfunktion der T-Suppressorzellen ist eingeschränkt. Warum sie sich gegen das eigene Immunsystem richten, ist unbekannt. Autoreaktive T-Zellen durchbrechen die Blut-Hirn-Schranke. Das löst in einem Dominoeffekt die Aktivierung von Cytokinen aus, die myelinhaltige Markscheiden attackieren. Diese schlagen leck, Bindegewebe dringt mehr und mehr ein. Das Myelin vernarbt und ruft die charakteristischen Symptome hervor.
Mit Interferon beta-1b (Betaferon) ist in Deutschland seit gut einem Jahr erstmalig ein Medikament verfügbar, das speziell für die Indikation MS zugelassen ist. Die bisherigen therapeutischen Möglichkeiten ließen dagegen zu wünschen übrig, so Professorin Dr. Judith Haas, Jüdisches Krankenhaus, Berlin. Sie können die Krankheitsaktivität nicht bremsen. Interferon beta-1b wird gentechnisch hergestellt und unterscheidet sich vom Human-Interferon beta in zwei Positionen der Aminosäuresequenz.
Der Botenstoff greift an verschiedenen Stellen in die Entzündungskaskade ein und fährt den Entzündungsprozeß herunter. "Prophylaktisch, so früh wie möglich eingesetzt, reduziert es die Zahl der Schübe, verlängert damit die schubfreie Zeit und dämpft die Schubschwere", erläuterte Haas. Außerdem beeinflußt es das Ausmaß der im Gehirn mittels Kernspintomographie sichtbar gemachten Herde. Dieses Resultat wurde durch eine fünfjährige nordamerikanische Anwendungsbeobachtung an 372 Patienten unterstrichen. Wie auf dem Symposium vorgetragen, war dies die längste Untersuchung, die es bisher zu einer Interferonbehandlung der MS gegeben hat. Die positiven Ergebnisse führten bereits nach zwei Jahren zur Zulassung in den USA.
Im Vergleich zu Placebo senkt Interferon beta-1b dosisabhängig die Schubfrequenz. Es wird jeden zweiten Tag subkutan gespritzt. Mit der im Handel befindlichen Dosierung von 8 Millionen IE senkten sich die Schübe im ersten Behandlungsjahr um 33 Prozent, dieses Niveau blieb über einen Zeitraum von 5 Jahren erhalten. Schwere und mittelschwere Schübe traten signifikant weniger auf (um 49 Prozent).
Derzeit prüft Schering, inwieweit der Botenstoff in der Lage ist, die Progredienz von MS günstig zu beeinflussen. Vielleicht sei es sogar möglich, mit einer früh beginnenden Therapie die MS definitiv zu stoppen. Im Herbst diesen Jahres werden Zwischenergebnisse erwartet. Bisher nur für die schubförmige Verlaufsform im Anfangsstadium zugelassen, plant die Firma die Indikationserweiterung auf die sekundärprogrediente MS.
Kurz vor der Zulassung in Deutschland steht das Aminosäuregemisch Copolymer. Diese Substanz greift in die Antigenpräsentation ein, und die autoaggressiven Zellen können ihr Ziel nicht mehr erkennen. Doch auch diese maßgeschneiderte Therapie der MS sei am wirksamsten in der frühen Phase der Erkrankung, wie Haas ausführte. Ist bereits eine deutliche Behinderung eingetreten, sind die Therapiemöglichkeiten gering. Eine zugelassene Therapie gibt es nicht.
Hoffnungen habe man in den synthetischen Immunmodulator Linomide und in Lenercept gesetzt, erläuterte Haas. Haas brachte jedoch brandaktuelle Daten mit, die die Erwartungen zerstörten: "Die Linomide-Studie wurde vor zwei Tagen wegen Nebenwirkungen weltweit abgebrochen. Auch das Lenercept-Projekt wurde abgeblasen, weil die Pilotstudie mangelnde Wirksamkeit bescheinigte." Die Ergebnisse zu Studien mit T-Zellrezeptorimpfung, Immunglobulinen und zur Immunisierung mit Rindermyelinkapseln stünden noch aus. Gerade das letzte Projekt brächte erstaunlich gute Ergebnisse, sagte Haas.
Haas glaubt, daß sich in den Frühstadien der Erkrankung Copolymer und Interferon beta etablieren werden. In den späteren Stadien könne man momentan nur auf Zytostatika zurückgreifen.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Frankfurt
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