Antidepressiva in Schwangerschaft und Stillzeit |
01.04.2002 00:00 Uhr |
Neuere Studien weisen darauf hin, dass Depressionen in der Schwangerschaft häufiger sind als im Wochenbett. Die Auswahl des passenden Antidepressivums bedarf einer sorgsamen Abwägung von Nutzen und Risiko.
Erst kürzlich untersuchten Wissenschaftler in einer Studie bei über 14.000 schwangeren Frauen das Risiko für Depressionen. Immerhin 9,1 Prozent waren in der 32. Schwangerschaftswoche betroffen. Acht Wochen nach der Geburt lag die Rate dagegen nur bei 1,6 Prozent (1). Bislang ist unklar, ob die Schwangerschaft selbst eine Depression auslöst, oder die Verstimmung bereits vorhanden bestand.
Die Behandlung der Depression in der Schwangerschaft stellt damit ein wichtiges therapeutisches Problem dar. Der Schweregrad der Depression der Mutter gilt als ein wichtiger Faktor bei der Abwägung von Nutzen und Risiko. Gewichtsverlust und Mangelernährung im Rahmen der Depression stellen ein Risiko für ein niedriges Geburtsgewicht dar.
Unbestritten ist, dass insbesondere in der Schwangerschaft alle nicht medikamentösen Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft werden sollten. Den Nutzen einer medikamentösen, antidepressiven Therapie für die Mutter gegen die potenziellen Risiken für das Kind abzuwägen, ist oft schwierig und erfordert eine intensive Beratung. Antidepressiva dürfen jedoch keinesfalls eigenständig abgesetzt werden. Nicht selten ist es notwendig, eine schwere Depression auch während der Schwangerschaft zu behandeln. Nicht alle Medikamente sind jedoch geeignet.
In einer kanadischen Studie (2) wurden Kinder untersucht, deren Mütter während der Schwangerschaft ein trizyklisches Antidepressivum erhalten hatten (n=88) oder die den Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitor (SSRI) Fluoxetin eingenommen hatten (n=55). Als Kontrollgruppe dienten 84 Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft keine Medikamente eingenommen hatten. Die Kinder wurden im Alter zwischen 16 und 86 Monaten untersucht.
Der Intelligenzquotient war in allen drei Gruppen identisch. Auch die Sprachentwicklung sowie Temperament, Stimmungslage, Aktivitätsgrad, Ablenkbarkeit oder allgemeines Verhalten unterschieden sich nicht signifikant.
Weder die trizyklischen Antidepressiva noch die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die während der Schwangerschaft zur Behandlung einer Depression eingenommen werden, scheinen damit den Intelligenzquotienten, die Sprachentwicklung oder das Verhalten der Neugeborenen zu beeinflussen.
Beide Substanzklassen erhöhen zudem nicht das Risiko einer Fehlgeburt. Das ergab zumindest eine Metaanalyse von vier Studien (3) mit etwa tausend Frauen. Obwohl alle untersuchten Antidepressiva die Plazenta passieren, traten schwere Körperfehlbildungen nicht häufiger auf als in der unbehandelten Kontrollgruppen.
Die Forscher konnten zudem keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Geburtsgewicht, die Körperlänge und den Kopfumfang des Kindes nachweisen.
Allerdings traten bei Kindern gelegentlich Entzugssymptome auf, wenn die Mütter Fluoxetin bis zur Geburt einnahmen. Die Substanz besitzt eine relativ lange Halbwertszeit und Neugeborene können den Wirkstoff möglicherweise noch nicht gut metabolisieren. Unter Umständen sollte die Fluoxetin-Dosis 10 bis 14 Tage vor dem erwarteten Geburtstermin reduziert werden, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.
Erst vor kurzem veröffentlichte die International Federation of Gynecology and Obstetrics ihre Empfehlungen zur Anwendung von Antidepressiva in der Schwangerschaft (4). Diese gelten zwar nicht als allgemeinverbindliche Leitlinie, liefern aber einen wichtigen Hinweis: Hiernach existieren die meisten Erfahrungen in der Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva. Während bisher keiner dieser Arzneistoffe mit Missbildungen oder Spätfolgen der Ungeborenen in Verbindung gebracht werden konnten, gibt es doch Probleme, wenn die Medikamente in der Zeit um die Geburt eingenommen werden. Die Säuglinge entwickeln teilweise Entzugssymptome mit vorübergehenden Bewegungsstörungen, epileptischen Anfällen, Tachypnoe, Tachykardie, Irritabilität, Fütterungsschwierigkeiten und Schweißausbrüche. Selten kommt es zu Darmträgheit oder Blasenvergrößerungen durch anfängliche Behinderung des Harnabflusses.
Mit allen genannten Effekten ist bei Nortriptylin am seltensten zu rechnen, da diese Substanz die geringsten anticholinergen Effekte dieser Gruppe hat. Die trizyklischen Antidepressiva Nortriptylin und Desipramin verursachen relativ geringe Orthostase-Beschwerden, Mundtrockenheit und Obstipation. Sie gelten als Mittel der ersten Wahl. Wegen kardiotoxischer Wirkungen nach einer Überdosis ist bei suizidalen Patientinnen Vorsicht geboten. Zudem dürfen beide Wirkstoffe wegen eines schwer behandelbaren intrauterinen Entzugssyndroms vor der Geburt nicht abgesetzt werden.
Grundsätzlich bestehen in der Schwangerschaft also keine Sicherheitsbedenken bei den SSRI. Sie wirken nicht teratogen und vermutlich besteht keine neonatale Toxizität. Auch Entwicklungsstörungen der Kinder sind nicht beschrieben worden. Unter den neueren Antidepressiva gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen vor allem zu Fluoxetin. Die meisten beziehen sich auf die Verlaufsbeobachtung von 120 bis 280 Schwangeren, die in der Schwangerschaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder durchgehend diesen Arzneistoff eingenommen haben.
Generell werden zwar SSRI derzeit eher bevorzugt, es darf allerdings nicht die geringere Erfahrung übersehen werden. Alle Antidepressiva gehen in die Muttermilch über. Kein Wirkstoff ist absolut kontraindiziert. Gegebenenfalls muss der Spiegel inklusive dem der Metaboliten im Serum oder Urin des Babys bestimmt werden, vor allem wenn diese plötzlich Zittern, sediert wirken oder unter Diarrhö leiden.
Für Bupropion, Nefazodon, Venlafaxin liegen nur wenige Informationen über die Risiken bei der Anwendung in der Schwangerschaft vor. MAO-Hemmer sind sowohl während der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit kontraindiziert.
Bei Lithium und Carbamazepin ist besondere Vorsicht geboten. Die Substanz steht im Verdacht, Herzmissbildungen zu verursachen. Aus der Epilepsiebehandlung gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Missbildungsrisiko unter Carbamazepin.
Und Johanniskraut?
Strittig und ungeklärt ist, in wie weit sich zur Behandlung von Depressionen während Schwangerschaft und Stillzeit auch pflanzliche Psychopharmaka und hier vor allem Johanniskraut eignen. Größere klinische Studien hierzu liegen nicht vor. Fallberichte über die Einnahme von Johanniskraut in der Schwangerschaft geben keine Hinweise auf Schädigungen.
In den USA darf allerdings Johanniskraut auf Grund der schlechten Datenlage nicht während Schwangerschaft und Stillperiode empfohlen werden. Zudem löste ein Johanniskrautextrakt im Tierversuch Uteruskontraktionen aus. Verwandte Hypericum-Arten wurden von Indianern als Abortiva genutzt. Ob zudem andere Inhaltsstoffe Geburtsschäden auslösen, wird kontrovers diskutiert. So konnten in einer Studie mit Johanniskrautöl mutagene Effekte bei Zellkulturen gezeigt werden. Es wird vermutet, dass Quercetin das auslösende Agens ist. In anderen In-vitro-Studien wie dem AMES-Test konnte dieser Effekt allerdings nicht nachgewiesen werden.
Johanniskraut geht in sehr geringen Mengen in die Muttermilch über. Teilweise kann es beim gestillten Säugling zur Schläfrigkeit kommen. Hypericum sollte daher nur - wenn überhaupt - sehr zurückhaltend in der Schwangerschaft eingesetzt werden.
Wegen der geringsten sedativen Effekte und gastrointestinalen, kardialen, und hypotensiven Nebenwirkungen bei der Mutter, sind also die trizyklischen Antidepressiva Nortriptylin und Desipramin zu bevorzugen. Der Plasmaspiegel sollte aber überwacht werden, um eine Über- und Unterdosierung zu vermeiden. Zwar weniger dokumentiert, aber wahrscheinlich sicher ist Fluoxetin. Es wird daher als akzeptable Alternative zu den Trizyklika angesehen. MAO-Hemmer sollten nicht eingesetzt werden. Wenige Daten liegen für Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin vor, danach liegt jedoch kein erhöhtes teratogenes Risiko vor. Wegen ungenügender Daten kann die Anwendung von Bupropion, Mirtazapin, Nefazodon, Trazodon und Venlafaxin in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht empfohlen werden.
Literatur
© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de