Pharmazie 3 |
11.03.2002 00:00 Uhr |
INTERNATIONAL ASPIRIN AWARD
Etwa 3500 Artikel veröffentlichten Forscher im letzten Jahr zur Wirkung von Acetylsalicylsäure in renommierten Fachzeitschriften. Anfang März erhielten zwei der Autoren, Dr. Michael A. Saunders und Dr. James K. Hennan, den mit insgesamt 10.000 Euro dotierten Young Researchers´ Aspirin® Award. Mit dem Aspirin® Senior Award (25.000 Euro) zeichnete Bayer den New Yorker Hämatologen Professor Dr. Aaron Marcus für sein Lebenswerk aus.
Die kardioprotektive Wirkung von Acetylsalicylsäure ist inzwischen bis ins Detail geklärt. Warum der Wirkstoff jedoch Entzündungen hemmt und Risikopatienten vor Colonkarzinomen schützen kann, ist noch weitgehend unklar. Zumal ASS die Cyclooxygenase-2 nur in sehr hohen Konzentrationen hemmt und der Wirkstoff innerhalb sehr kurzer Zeit im Blutstrom in Salicylat umgesetzt wird.
Salicylat wiederum hemmt sowohl die COX-1- als auch die COX-2-Aktivität nur schwach. Trotzdem wirkt es in Tiermodellen genauso entzündungshemmend wie Acetylsalicylsäure. Daher gehen Wissenschaftler seit einigen Jahren davon aus, dass es neben der Hemmung der Cyclooxygenasen weitere Wirkmechanismen von ASS und Salicylat geben muss. Einen Hinweis lieferte die Arbeit einer texanischen Arbeitsgruppe über die Hemmung des entzündungsspezifischen Transkriptionsfaktors NF-kB.
Allerdings seien die ASS- und Salicylat-Konzentrationen, bei denen dieser Effekt nachweisbar ist, viel zu hoch, erklärte der Brite Saunders, der zurzeit an der Universität von Texas in Houston arbeitet. Daher sei es unwahrscheinlich, dass Acetylsalicylsäure ihre entzündungshemmende Wirkung über die Hemmung von NF-kB entfaltet.
Saunders und seine Mitarbeiter entdeckten jetzt einen anderen Mechanismus, unabhängig von dem Entzündungsmediator Tumornekrosefaktor-a und NF-kB. Sie beobachteten, dass Natriumsalicylat in therapeutischen Konzentrationen die Menge an Cyclooxygenase-2 in Zellen reduziert. Sie fanden heraus, dass der Wirkstoff die Aktivierung der DNA-Region vor dem COX-2-Gen nach einem Entzündungsreiz hemmt. In der Folge wird das Gen weniger häufig abgelesen und schließlich weniger Enzym in den Zellen synthetisiert.
Die Wissenschaftler identifizierten anhand molekularbiologischer Techniken die DNA-Region vor dem Gen, auf die Salicylat Einfluss hat. Sie fanden heraus, dass die Sequenz eine Erkennungsstelle für Proteine aus der "CCAAT/Enhancer Binding Protein"-Familie (C/EBP) ist. Anhand weiterer Untersuchungen identifizierten Saunders und seine Mitarbeiter das daran bindende Protein als C/EBPß.
Interessanterweise war die Wirkung von Natriumsalicylat abhängig vom Zellzyklus. Nur in der Ruhephase der Zellen zwischen den Zellteilungszyklen konnten die Wissenschaftler den Effekt nachweisen. Zudem ist C/EBPß bereits als Aktivator von Genen bekannt, die bei Entzündungsprozessen, der Differenzierung von Zellen und der Zellteilung eine Rolle spielen. Wahrscheinlich hemmt Acetylsalicylsäure daher nicht nur die COX-2-Expression, sondern auch andere Gene, die bei Entzündung, Tumorwachstum und Gewebeverletzungen aktiv sind, vermutet Saunders. Im Gegensatz zur inzwischen weit verbreiteten Ansicht, dass Acetylsalicylsäure und Salicylat über NF-kB entzündungshemmend wirken, ist er davon überzeugt, dass der von ihm und seinen Mitarbeitern neu entdeckte Mechanismus der Schlüssel zum Verständnis der vielfältigen Wirkungen von Acetylsalicylsäure ist.
COX-2 konstitutiv im Endothel
Hennan erhielt den Aspirin Award für seine Untersuchungen zur Wirkung von selektiven COX-2-Inhibitoren auf die Koronargefäße beim Hund. Grundlage dieser Untersuchungen war die Vermutung, dass die Langzeiteinnahme von COX-2-Hemmern mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen könnte. Einen solchen Hinweis hatte die VIGOR-Studie (Vioxx® Gastrointestinal Outcomes Research) geliefert. 8000 Patienten mit rheumatoider Arthritis erhielten entweder den selektiven COX-2-Hemmer Rofecoxib oder das nicht selektive NSAR Naproxen. In der Rofecoxib-Gruppe erlitten 0,4 Prozent der Patienten einen Herzinfarkt gegenüber 0,1 Prozent unter Naproxen. Keiner der Patienten hatte allerdings zur Infarktprävention zusätzlich ASS in niedrigen Dosen eingenommen.
Einen weiteren Hinweis lieferte die Beobachtung, dass die Cyclooxygenase-2 keineswegs ausschießlich als induzierbares Enzym bei Entzündungsprozessen eine Rolle spielt. Zum Beispiel in den Zellen des Gefäßendothels ist COX-2 konstitutiv aktiv und bildet Prostacyclin. Das Eicosanoid hat dort wichtige physiologische Funktionen, die die Bildung eines Thrombus verhindern können. So erweitert Prostacyclin die Gefäße, reduziert das Anheften der Leukozyten an die Gefäßwand und hemmt die Thrombozytenaggregation, erklärte Hennan, der an der Universität von Michigan in Ann Arbor forscht. Damit ist die Cyclooxygenase-2 in den Gefäßen ein direkter Gegenspieler zur Cyclooxygenase-1, die mit der Synthese von Thromboxan-A2 für die Aggregation von Blutplättchen und damit die Thrombusbildung sorgt.
Cyclooxygenase Die Cyclooxygenase ist das Schlüsselenzym bei der Umsetzung von Arachidonsäure in Prostaglandine, Thromboxane und Prostacyclin. Das Protein kommt in zwei verschiedenen Isoformen vor. Die Cyclooxygenase-1 (COX-1) ist in vielen Geweben konstitutiv aktiv, zum Beispiel den Blutplättchen, der Magenmukosa und dem Gefäßendothel. Das Enzym reguliert physiologische Funktionen und sorgt zum Beispiel für den Schutz der Magenschleimhaut. Bei der Cyclooxygenase-2 (COX-2) handelt es sich in vielen Geweben um ein induzierbares Enzym, das nach Gewebeschädigung und Entzündung durch immunologische Botenstoffe, Mitogene oder Wachstumsfaktoren aktiviert wird. Die klassischen nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) hemmen beide Enzyme. Lange hatte man geglaubt, dass eine selektive Hemmung von COX-2 Schmerzen und Entzündungen reduziert ohne die COX-1-abhängigen Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt, der Niere und bei der Blutgerinnung. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass auch COX-2 physiologische Funktionen erfüllt und zum Beispiel in Gehirn und Rückenmark sowie im Gefäßendothel konstitutiv aktiv ist.
Hennan und seine Mitarbeiter untersuchten die Wirkung des selektiven COX-2-Inhibitors Celcoxib im Vergleich zu Acetylsalicylsäure auf die Koronargefäße von Hunden. Sie induzierten die Bildung eines Thrombus durch einen elektrischen Reiz. Zuvor erhielten die Hunde peroral entweder Placebo, 2 mg Celecoxib pro kg Körpergewicht, 4,6 mg Acetylsalicylsäure oder Acetylsalicylsäure und Celecoxib (in denselben Dosen wie als Einzelsubstanz). Wie erwartet, verzögerte der COX-2-Hemmer die Thrombusbildung nicht. Auch Acetylsalicylsäure, zwei Stunden vor dem Thrombus auslösenden Reiz appliziert, hatte keinen Effekt auf den Zeitpunkt des Gefäßverschlusses. Hennan erklärte dies damit, dass ASS zu diesem Zeitpunkt zwar die Cyclooxygenase-1 in den Blutplättchen hemmt, gleichzeitig aber auch die Cyclooxygenase-2 im Gefäßendothel.
Warteten er und seine Mitarbeiter 17 Stunden nach der ASS-Gabe, bis sie den Reiz setzten, so verzögerte sich die Bildung des Blutpfropfs um mehr als zwei Stunden. Hennan erklärte den Effekt damit, dass zu diesem Zeitpunkt ausschließlich die Cyclooxygenase-1 in ihrer Aktivität blockiert ist. Die Cyclooxygenase-2 im Gefäßendothel hat sich dann längst wieder erholt und kann das gefäßschützende Prostacyclin produzieren. Die Hemmung der Cyclooxygenase-1 in den Blutplättchen hält im Gegensatz dazu wesentlich länger an, weil in diesen kernlosen Zellen das irreversibel gehemmte Enzym nicht nachgeliefert wird. Eine Celecoxib-Gabe kurz vor dem Thrombusreiz hob den Langzeiteffekt der Acetylsalicylsäure wieder auf. Laut Hennan zeigt dies, dass die schützende Wirkung der ASS abhängig ist von der COX-2-vermitteleten Biosynthese von Prostacyclin im Gefäßendothel. Sinnvoll ist nach seiner Interpretation daher nur eine COX-1-Hemmung, wenn dabei COX-2 aktiv bleibt.
Hennan wies zudem nach, dass bei den mit Celecoxib behandelten Tieren im Gegensatz zur Placebogruppe Arachidonsäure nicht für eine Gefäßerweiterung sorgte. Die Gefäßerweiterung als Antwort auf Acetylcholin war hingegen unverändert. Die Ergebnisse der Studie erhärteten den Verdacht, dass die selektive Hemmung der COX-2 mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht, besonders bei Patienten mit entzündlichen Veränderungen der Koronargefäße, so Hennan.
Plättchen im Focus
Marcus, Träger des Senior Awards, hat sich besonders mit der Wirkung von ASS auf die Blutplättchen beschäftigt und unter anderem herausgefunden, dass der Hemmung der Thrombozytenaggregation die Acetylierung der Cyclooxygenase (COX-1) auf den Blutplättchen zugrunde liegt. Daneben hat er sich mit den Wechselwirkungen zwischen Thrombozyten und anderen Zellen beschäftigt und ASS-abhängige und ASS-unabhängige Mechanismen bei der Bildung eines Thrombus beschrieben.
In den letzten Jahren arbeitete Marcus vor allem mit einem Molekül namens CD39/ecto-ADPase. Das Enzym baut das von aktivierten Thrombozyten freigesetzte ADP sehr rasch ab. ADP ist essenziell für die Aktivierung der Blutplättchen, deren Rekrutierung aus dem Blut und die Thrombusbildung. Lösliches CD39, kombiniert mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure ist seiner Meinung nach die Kombination der Zukunft zur Prävention und Behandlung von Schlaganfall und Herzinfarkt. In Tierversuchen war diese Strategie bereits erfolgreich, so Marcus. Das Eiweißmolekül muss alle zwei Wochen injiziert werden.
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