Rheuma: Ansätze zum spezifischen Immunangriff |
10.03.1997 00:00 Uhr |
Pharmazie
75
Prozent der 55- bis 60jährigen geben an, unter
rheumatischen Beschwerden zu leiden. Arbeitsfehlzeiten,
Behandlungskosten und Pharmakotherapie verursachen starke
sozioökonomische Kosten. Wie die Rheumatherapie der
Zukunft aussehen kann, definierten Experten auf einem
Symposium der Strathmann AG in Bovenau.
Bei der Pathogenese der Erkrankung spielen
Zytokine eine Schlüsselrolle, erklärte Dr. Gernot
Keyßer von der Charité Berlin. Durch pathogene Noxen
werden sie im Körper durch Zellstimulation freigesetzt;
sie wirken chemotaktisch und aktivieren benachbarte
Zellen. Folge ist ein positiver Rückkoppelungseffekt der
Zellaktivierung, der die Immunantwort verstärkt. Der
Körper schützt sich vor überschießender
Zytokinwirkung durch die physiologische Abwehrregulation;
die kurze Halbwertszeit der Zytokine kommt diesem Effekt
zugute.
Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen werden die
Zytokine dauerhaft aktiviert. Der Grund dieser
Gleichgewichtsstörung inflammatorischer Faktoren ist
unbekannt. In der Synovialflüssigkeit findet man
erhöhte Konzentrationen des Tumornekrosefaktors TNF-a
und bestimmter Interleukine (Il-lß, Il-6). Sie wirken
proinflammatorisch. Die Konzentration des
pathophysiologisch günstigen Zytokins IL-4 und des
IL-1-Rezeptor-Antagonisten ist dagegen vergleichsweise
gering. Bei entzündlichen Gelenkerkrankungen wird durch
diesen Vorgang das Gleichgewicht von Bindegewebssynthese
und -abbau verschoben, der Abbau der Bindegewebsmatrix
dominiert. Im Mittelpunkt der Pathogenese stehen die
Zytokine TNF-a und Il-lß. Im Tierversuch löst die
intraartikuläre Injektion von TNF-a eine erosive
Arthritis aus. Antikörper gegen das Kinin und
rekombinant hergestellte
Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten haben sich in
mehreren klinischen Studien als wirksam bei rheumatoider
Arthritis erwiesen.
Spezifische Immunsuppression in der Erprobung
Während man lange Zeit unspezifisch mit
Alkylantien oder Antimetaboliten in die Immunreaktion bei
rheumatischen Erkrankungen eingegriffen hat, ist heute
eine spezifische Immunsuppression möglich, berichtete
der Rheumatologe Professor Dr. Bernhard Manger von der
Universität Erlangen. Erste offene Phase-I-Studien und
kontrollierte, doppelblinde Phase-II-Studien belegen die
wirksame Inhibition proinflammatorischer Zytokine durch
monoklonale Antikörper. Der TNF-a-Antikörper cA2
bewirkt einen drastischen Abfall des für die Pathogenese
bedeutenden C-reaktiven Proteins (CRP). Die Effizienz
steht in enger Korrelation mit dem Serumspiegel des
monoklonalen Antikörpers. Bei hoher Dosierung kommt es
zu einem lang anhaltenden Abfall des CRP. Bei
rheumatoider Arthritis ist als Indikation die
Akuttherapie vorgesehen.
Die geringe Nebenwirkungsrate und der gute
antiinflammatorische Effekt machen Hoffnung auf einen
neuen, gezielten immunsuppressiven Ansatz. Ebenfalls in
der Prüfung befindet sich ein
Interleukin-l-Rezeptorantagonist, den sich der Patient
subcutan über einen Zeitraum von sechs Monaten
applizieren soll.
Brennessel als Zytokinantagonist
Als OTC-Präparat steht der Zytokinantagonist
IDS 23 (zum Beispiel Rheuma-HEK) zur Verfügung. Die
Grundlage bildet ein Trockenextrakt aus
Brennesselblättern, der oral in Form von Kapseln
eingenommen wird. Laut Dr. Thomas Teucher, Hamburg,
verhindert IDS 23 die Synthese von Prostaglandinen und
Leukotrienen und weist zytokinantagonistische Effekte
auf. In einer Studie an Gesunden und an
Osteoarthrose-Patienten wurde die Wirkung auf die
Sekretion der Zytokine TNF-a und IL-lß basal und nach
Stimulation mit Lipopolysaccharid untersucht. Die
einwöchige orale Einnahme von IDS 23 senkte die
Freisetzung von TNF-a um 14,6 Prozent, die von IL-lß um
19,2 Prozent. Nach dreiwöchiger Gabe sanken die
Zytokinspiegel um 24 Prozent (TNF-a) beziehungsweise 39,2
Prozent (IL-lß).
PZ Artikel von Matthias Bastigkeit, Bovenau
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de