Pharmazie

Ca-Antagonisten: Rufmord war unberechtigt
Die im vergangenen Jahr ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Calcium (Ca)-Antagonisten wurden zu Unrecht als "nicht heilsam und gefährlich" verrissen. Diese Überzeugung vertraten Experten auf diesem Gebiet, die sich unter Leitung von PZ-Chefredakteur Dr. Hartmut Morck in Frankfurt zu einer Talkrunde trafen. Aufhänger der seit 1995 schwelenden Diskussion: Veröffentlichungen zu ihrem Standard-Vertreter Nifedipin. Ihm war unter anderem eine Erhöhung des Mortalitätrisikos bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorgeworfen worden.
Was ist dran an diesen Bedenken? Welche Rolle spielen Indikationsfehler? Und: Unter welchen Bedingungen treten die positiven Wirkungen uneingeschränkt ein? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des von Bayer initiierten Expertengesprächs. Daß Ca-Antagonisten in der akuten Phase eines Herzinfarkts oder bei schwerer Herzinsuffizienz nicht gegeben werden dürfen, ist seit langem bekannt und belegt, betonte Professor Dr. Wolf Rafflenbeul von der Abteilung Innere Medizin und Kardiologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Genau die Studien, die dies beweisen, habe man jetzt zur Diskussion herangezogen und in die 1995 veröffentlichte Metaanalyse eingebracht. "Es wurden Studien ausgewählt, die gezielt dahin gingen, die Ca-Antagonisten in Verruf zu bringen".
Dieselbe Ansicht vertrat auch Professorin Dr. Gisa Fleckenstein-Grün: "Das ganze war ein Wirtschaftskrieg mit dem Ziel, den Markt der führenden Substanz auf diesem Gebiet einzubrechen." Daß Nifedipin als hochwirksame Substanz auch Nebenwirkungen besitze, sei unbestritten, räumte sie ein. Sie ließen sich jedoch alle aus dem Wirkmechanismus, der starken Vasodilatation, ableiten. Das Herstellerunternehmen inverstiere derzeit in zwei große, weltweit angelegte Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Nifedipin erneut bestätigen sollen, eröffente Dr. Volker Peinke, Projektleiter klinische Forschung bei Bayer. "Eine Maßnahme, die vom finanziellen Aufwand in der Größenordnung einer Neuentwicklung liegt, und die wir wohl kaum ergreifen würden, wenn wir nicht volles Vertauen in den seit über 20 Jahren im Markt befindlichen Wirkstoff hätten."
Daß nicht alle Ca-Antagonisten nicht alle gleich sind, rief Fleckenstein-Grün in Erinnerung. Während die ersten eingeführten Substanzen wie Isoptin und Diltiazem neben den vasodilatierenden auch noch Schrittmacher-Effekte am Herzen gezeigt hätten, wirke Nifedipin fast nur noch vasodilatierend, seine Auswirkungen auf das Herz seien minimal. Die Tendenz der neuen Ca-Antagonisten gehe eindeutig in Richtung von Substanzen mit möglichst spezifischer Gefäßwirkung und darüber hinaus langer Wirkdauer.
Als Beispiel für einen langwirksamen Ca-Antagonisten nannte sie Amlodipin, der Langzeiteffekt sei hier eine substanzspezifische Größe (Halbwertszeit > 36 h). Bei Nifedipin mit einer Halbwertszeit von nur 1,7 Stunden habe man inzwischen durch galenische Modifizierung ebenfalls eine Langzeitwirkung erreicht, die eine einmal tägliche Gabe möglich macht.
Bald auch gegen Atherosklerose? In Tierversuchen an Kaninchen, bei denen man durch Cholesterolgabe künstlich eine Atherosklerose induziert hatte, habe man durch die anschließende Behandlung mit Ca-Antagonisten antiatherosklerotische Effekte erzielen können, berichtete Rafflenbeul. Inwischen habe man solche Effekte auch am Menschen zeigen können, Voraussetzung für einen Erfolg sei allerdings die Anwendung über einen langen Zeitraum. Für einen breiten Einsatz sei es jedoch noch zu früh, betonte er.
Was ist dran an dieser möglichen Indikation der Ca-Antagonisten? Gibt es eine rationale Begründung? Fleckenstein-Grün verwies auf Untersuchungen an exzidierten menschlichen Koronarplaques bei denen sich gezeigt habe, daß diese zu über 50 Gewichtsprozent aus Ca-Salzen und nur zu rund 2 Prozent aus Cholesterolablagerungen bestehen. "Ca-Ionen sind an vielen Vorgängen in der Zellwand beteiligt." In In vitro-Experimenten hätten sie sich durch Ca-Antagonisten hemmen lassen. Von der Atherosklerose als zugelassener Indikation für diese Wirkstoffgruppe sei man jedoch noch weit entfernt, betonte auch sie.
Kein Hinweis auf Zusammenhang mit Krebsrisiko
"Ca-Antagonisten unter Krebsverdacht? Beeinträchtigung der Apoptose durch Ca-Antagonisten?" Diese Schlagzeile war vor nicht langer Zeit in einer großen deutschen Tageszeitung zu lesen. Ist die nächste Katastrophe für die Substanzgruppe bereits in Sicht? "Die These ist falsch", betonte Fleckenstein-Grün. Auch bei diesem Vorwurf handele es sich um eine völlig willkürliche Studienauswahl und eine hypothetische Interpretation. Richtig sei lediglich, das Ca-Ionen bei der Apoptose eine Rolle spielen - "aber nicht diese". Und Peinke bekräftigte: "Nifedipin ist der am besten dokumentierte Ca-Antagonist, die Datenlage ist eindeutig." Eine Therapie mit Nifedipin gebe bis heute keinerlei Hinweise auf eine karzinogene Wirkung.
PZ-Artikel von Bettina Schwarz, Frankfurt © 1996 GOVI-Verlag
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