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Neue Waffen gegen Tumoren

01.11.1999  00:00 Uhr

- Pharmazie Govi-Verlag

DPHG

Neue Waffen gegen Tumoren

Brigitte M. Gensthaler, Frankfurt

Krebserkrankungen gehören nach wie vor zu den Haupttodesursachen in der westlichen Welt. Zytostatika, die gezielt den Tumor erreichen und bis ins Innere vordringen, könnten die Therapie verbessern. Erfolgversprechend erscheint auch die genetische Modifikation der Krebszellen via Gentherapie. Zwei Ansätze, die in Plenarvorträgen bei der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Frankfurt vorgestellt wurden.

"Die Entwicklung von Drug-delivery-Systemen ist langwierig und kostspielig, hat sich aber als zusätzliche Möglichkeit in der antitumoralen Therapie bewährt." So resümierte Professor Dr. Axel-Rainer Hanauske, München, den Stellenwert dieser Systeme in der Onkologie. Aufgabe ist es, ein Zytostatikum möglichst nah an seinen Wirkort, am besten in die wuchernde Zelle hinein zu bringen. Das ist angesichts der besonderen Verhältnisse im Tumorgewebe nicht leicht.

Gefäßchaos im Krebs

Jede größere Geschwulst braucht eine Blutversorgung. Hemmstoffe der Angiogenese (Bildung von Blutgefäßen) werden daher als Tumortherapeutika entwickelt. Doch die chaotische Organisation der Blutbahnen im Tumor beeinflusst auch die Arzneistoffverteilung. Die neu gebildeten Adern sind spiralisiert und vorwiegend an den Tumorrändern zu finden. Das Blut fließt langsamer; Flüssigkeit kann austreten und in das Geschwulstinnere hineinziehen. Der Gewebedruck ist daher höher als der hydrostatische Druck in den Gefäßen und fällt zum Tumorrand hin steil ab. Arzneistoffe gelangen zwar noch in die gut durchblutete Peripherie, aber nicht mehr in das wenig durchblutete Innere des Krebses.

Abhilfe sollen Drug-delivery-Systeme schaffen, bei denen das Zytostatikum an Zytokine, monoklonale Antikörper, Liposomen, Microsphären, Humanalbumin oder auch Glucose gekoppelt wird.

Zytostatika im Liposomen-Käfig

Bereits zugelassen sind Liposomen mit Doxorubicin oder Daunorubicin, berichtete der Onkologe. Durch das fehlerhafte Endothel der Tumorgefäße können die Wirkstoff-beladenen Liposomen ins Gewebe austreten. Ein Überzug mit Polyethylenglykol(PEG) schützt die Kügelchen vor zu raschem Abbau. Pegylierte Liposomen haben eine wesentlich längere Halbwertszeit und erreichen zehnfach höhere Blutspiegel.

PEG-Doxorubicin reichert sich stärker im Tumorgewebe an als das freie Anthracyclin. Haarausfall oder Übelkeit treten seltener auf, Kardio- und Myelotoxizität sind geringer. Jedoch löst die Liposomenverbindung andere unerwünschte Effekte aus: palmar-plantare Erytheme, Mucositis, Hypotension und Beklemmungsgefühl an Brust und Hals.

Albumin-Träger

Auch die Bindung an hochmolekulare Träger wie humanes Serumalbumin kann die antitumorale Aktivität erhöhen, zeigte der Arzt am Beispiel von Methotrexat-HSA. In drei Phase-I-Studien wurde dieses einmal wöchentlich, zweiwöchentlich oder alle vier Wochen gespritzt. Die Halbwertszeit des Arzneimittels war deutlich verlängert (zwei Wochen versus acht Stunden); myelotoxische Effekte traten nicht auf, dafür aber Stomatitis und Thrombopenie. Beim zweiwöchigen Intervall verzögerte sich zwar das Auftreten der kumulativ toxischen Nebenwirkungen, jedoch erreichte kein Patient eine Remission.

Ein anderer Ansatz ist die Koppelung an Glucose. Bei Glufosfamid ist Ifosfamid an den Zucker gebunden. Über spezielle Glucose-Transporter wird die Verbindung in die Zellen aufgenommen und dort gespalten. In Phase-I-Studien war die antitumorale Aktivität sichtbar; bei mehreren Dosierungen wurden Remissionen erzielt. Jedoch traten bei hohen Dosen Nephropathien auf. Es konnte allerdings eine Dosis gefunden werden, bei der in Folgestudien Nierenschäden nicht zu vermuten sind. Derzeit beginnen die Phase-II-Studien.

Mit kleinen Genfähren in die Zelle

1990 fand die erste Gentherapie in den USA statt; 1993/94 erhielten Freiburger und Berliner Mediziner erstmals in Deutschland die Genehmigung, das neue Verfahren bei Krebspatienten einzusetzen. Professor Dr. Burghardt Wittig von der TU Berlin stellte in Frankfurt eine Studie mit Patienten mit Nierenzellkarzinom vor.

Man geht heute davon aus, dass die meisten Tumorerkrankungen auf erworbenen genetischen Defekten beruhen. Diese können sowohl Qualität und Quantität als auch den Zeitpunkt der Genexpression betreffen. Die Arbeitsgruppe um Wittig beschäftigt sich vor allem mit der gentherapeutischen Beeinflussung der Immunantwort, speziell der T-Lymphozyten. Die Wissenschaftler versuchen, nicht einzelne Gene, sondern ganze Genpakete in die kranken Zellen zu schleusen.

"Das Hauptproblem der letzten Jahre war die Finanzierung", berichtete Wittig in Frankfurt. Um die Umsetzung der Ideen finanzieren zu können, gründeten die Forscher die Mologen Holding, die letztes Jahr an die Börse ging. Ihr Vorstandsvorsitzender Wittig wurde kürzlich zum "Unternehmer des Jahres" gekürt (siehe PZ 42/99, Seite 43).

"Genfähren" dienen als Schlepper, um Fremd-DNA in intakte Zellen einzubringen. Häufig werden Viren eingesetzt, die potente Vektoren für den einmaligen Transfer von Genen sind. Bisherige Plasmidvektoren für die Gentherapie sind mit etwa 10 000 Basenpaaren ziemlich groß. Für die gezielte Genexpression braucht man nur ein kleines Stück DNA, sagte Wittig. Daher entwickelte die Arbeitsgruppe das MIDGE®-Verfahren, die minimalistische, immunologisch definierte Genexpression. Diese Vektoren sind nur etwa 1000 Basenpaare lang. Signalsequenzen in den Plasmiden, die die Immunantwort stimulieren, was nicht immer erwünscht ist, können die Forscher gezielt eliminieren oder verstärken.

Wie kommen die Gene in die Zelle? Die Wissenschaftler schießen dazu DNA-und Magnetpartikel-beschichtete Goldteilchen auf die Zellena (particle gun). Dabei werden die MIDGE- und die Magnetpartikel von ihrem Träger abgestreift. Im Magnetfeld lassen sich alle Zellen abtrennen, die die neuen Genkonstrukte aufgenommen haben.

Erste Erfolge bei Nierenkrebs

Für die Gentherapie bei Nierenzellkarzinom brauchen die Ärzte etwa 108 Krebszellen; das entspricht einem Tumor von vier bis fünf Zentimetern Durchmesser. Die Zellen werden ex vivo mit einem Genpaket transfiziert, das die Botschaft für zwei Zytokine, einen Costimulator und verschiedene Oligonukleotide enthält, die vom Immunsystem als fremd erkannt werden. Anschließend werden sie mit g-Strahlen behandelt, um ihre Teilungsfähigkeit zu blockieren, und den Patienten mehrfach subcutan injiziert. In deren Körper sollen die transfizierten Tumorzellen die neuen Genkopien exprimieren und damit für das Immunsystem erkennbar werden. T-Lymphozyten, die durch die veränderten Zellen aufmerksam geworden sind, sollen dann die restlichen Tumorzellen im Körper zerstören.

Obwohl Wittig keine Details der Studie nennen wollte, zeigte er sich vorsichtig optimistisch. Von 15 Patienten hätten zwei eine komplette Remission erfahren, bei der Hälfte der Patienten sei das Nierenzellkarzinom stabil geblieben oder in Remission gegangen. Top

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