Pharmazie
Grapefruitkernextrakt:
natürlich gut für alles?
Seit der Veröffentlichung eines
Zweizeilers in Deutschlands beliebtestem Boulevardblatt
im März ist der bittere Grapefruitkernextrakt mit dem
breiten Anwendungsspektrum über den pharmazeutischen
Großhandel zu beziehen. Die Apothekenkunden verlangen
den Auszug aus Citrus paradisi, der aufgrund seines hohen
Vitamin-C-Gehalts derzeit immer öfter als
Nahrungsergänzungsmittel in der Selbstmedikation
vertrieben wird. Seine Wirksamkeit soll die des
Mode-Antiseptikums Teebaumöl noch bei weitem
übertreffen. Was ist dran an der wundersamen Heilkraft
der paradiesischen Frucht?
In der Laienpresse wird Grapefruitkernextrakt
als das beinahe perfekte Mittel dargestellt:
Wachstumshemmend gegenüber Pilzen, Bakterien, Viren und
Protozoen soll er sein, ohne dabei toxische oder
immunsuppressive Nebenwirkungen aufzuweisen. Es würden
pathogene Keime, aber keine physiologischen Bakterien der
Darmflora angegriffen. Langzeitnebenwirkungen seien
unbekannt.
Die Indikationen sind entsprechend dem Wirkspektrum weit
gestreut: Für die begleitende Therapie von Magen- und
Darmerkrankungen, Hefepilzinfektionen,
Erkältungskrankheiten, HNO-Infektionen, Nagel- und
Hautpilzerkrankungen, Zahnfleischentzündungen und
Vaginalinfektionen sei Grapefruitkernextrakt ebenso
anwendbar wie bei chronischer Müdigkeit, Candida und zur
Stimulation des Immunsystems bei AIDS. Ferner wird der
Extrakt zur Trinkwasseraufbereitung,
Flächendesinfektion, als Konservierungs- und
Pflanzenschutzmittel empfohlen. Indikationen und
Dosierungsempfehlungen basieren auf In-vitro-Studien
verschiedener Institute und Erfahrungsberichten von
Heilkundigen.
Entdeckt wurde die antimikrobielle Wirksamkeit des
Grapefruitkernextraktes vor sechzehn Jahren von einem
Arzt in Florida. Der Hobbygärtner beobachtete, daß
Grapefruitkerne in seinem Komposthaufen nicht
verrotteten. Anschließende In-vitro-Versuche belegten
die antimikrobielle Wirkung des Extraktes. Im Vergleich
zu den gebräuchlichen Wirkstoffen Silberoxid,
Chlorbleichmittel und Iod erwies sich der
Grapefruitkernextrakt hinsichtlich der minimalen
bakteriostatischen Hemmkonzentration als zehn- bis
hundertmal effektiver. Als Konservierungsmittel zeigte er
die gleichen Qualitäten wie Methylparaben, wirkte jedoch
schneller. In einer Studie zur Reduzierung der
Aflatoxinproduktion in ungeschälten Erdnüssen war der
Extrakt jedoch weniger wirksam als Ammoniumpropionat.
Die einzige veröffentlichte In-vivo-Studie stammt aus
dem Jahr 1990 und beschreibt die Wirkung von
Citrussamenextrakt auf die intestinale Mikroflora bei
atopischem Ekzem. Untersuchungen der Faeces von Patienten
ergaben Hinweise auf eine effektive Hemmung von Candida-
und Geotrichumarten sowie hämolysierenden Colibakterien.
Unerwünschte Wirkungen wurden bei allen 15 Patienten
nicht beobachtet.
Grapefruitkernextrakt enthält vor allem Bioflavonoide
und Glykoside sowie einige Proteine. Als
Wirkungsmechanismus der antimikrobiellen Aktivität wird
die dosisabhängige Hemmung der Zellatmung postuliert.
Biozidale Aktivitäten in höheren Konzentrationen sind
möglicherweise auf spezifische Interaktionen mit der
Zellmembran zurückzuführen. Die Aufnahme von
Aminosäuren in die Cytoplasmamembran wird gehemmt,
wodurch die Membranstruktur zerstört wird. Dies führt
zum Verlust von Zellbestandteilen mit niedrigem
Molekulargewicht. Aufgrund der Ergebnisse aus
Tierversuchen wurde in den USA die akute Toxizität eines
Grapefruitkernextraktes mit 50prozentiger
Wirkstoffkonzentration auf 5g/kg Körpergewicht
festgelegt.
Die Ergebnisse der In-vitro-Untersuchungen deuten darauf
hin, daß Grapefruitkernextrakt offenbar ein potentes
Mittel zur Oberflächendesinfektion darstellt. Zur
Behandlung von Bagatellerkrankungen der Haut und der
Schleimhäute erscheint er in ausreichender Verdünnung
(ein bis zehn Tropfen auf ein Glas Wasser) durchaus
empfehlenswert. Die Anwendung bei ernsten systemischen
Erkrankungen, insbesondere anstelle von indizierten
Arzneimitteln, entbehrt jedoch ausreichender
In-vivo-Untersuchungen.
PZ-Artikel von Susanne Uhlenbrock, Münster
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