Pharmazie
Wissenschaftler finden
immer
mehr 5-HT-Rezeptoren
EUFEPS-Tagung
Themen des 3.
Kongreß der EUFEPS (European Federation for
Pharmaceutical Sciences) im schottischen Edinburgh waren
unter anderem Serotoninrezeptoren und
Proteinsuperfamilien. Mehr als 600 Teilnehmer aus 36
Staaten kamen nach Schottland, um über ein weites
Spektrum pharmazeutischer Fragen zu diskutieren.
Einen Überblick über die Klassifikation von
Serotonin(5-HT)-Rezeptoren gab Professor Dr. Manfred
Göthert von der Universität in Bonn. Serotonin kommt
vor allem im Darm und im Gehirn vor. Bis heute sind 15
verschiedene Rezeptoren bekannt, die in 7 Klassen, 5-HT1 bis 5-HT7 unterteilt werden. Die
größte Klasse bilden die 5-HT1-Rezeptoren mit sechs Rezeptorsubtypen. 5-HT2 hat drei
Rezeptorsubtypen.
Bis auf 5-HT3 sind
alle Serotonin-Rezeptoren an ein G-Protein-gekoppelt.
Bindet der Neurotransmitter Serotonin an einen dieser
Rezeptoren, löst dies noch keine direkte Antwort aus,
sondern es wird ein weiteres Protein, das G-Protein,
eingeschaltet, das ein Enzym oder einen Ionenkanal
aktiviert. Bei 5-HT3 handelt es sich um einen ligandengesteuerten
Ionenkanal, der durch Bindung eines Serotoninmoleküls
geöffnet wird.
Für die Entstehung und die Therapie von Migräne sind
die Rezeptoren 5-HT2B, 5-HT1Dalpha und 5-HT1Dß bedeutend, sagte Dr. John. R. Fozard,
Wisssenschaftler bei der britischen Zweigstelle des
Baseler Pharmaun-ternehmens Sandoz. Der 5-HT2B-Rezeptor ist
wahrscheinlich für den Beginn einer Migräneattacke
verantwortlich. Er kommt in den Endothelzellen der
Blutgefäße einschließlich der zerebralen Gefäße vor.
Es erscheint auf den ersten Blick paradox, daß eine
Migräneattacke, die nach heutigem Kenntnisstand durch
einen zu hohen Serotoninspiegel ausgelöst wird, mit dem
Serotoninagonisten Sumatriptan behandelt werden kann.
Dieser scheinbare Widerspruch löse sich auf, wenn man
bedenke, daß Sumatriptan seine Wirkung an anderen
Rezeptoren, den 5-HT1D-Rezeptoren, vermittele. Sie kommen auf den
glatten Muskelzellen der cranialen und peripheren
Blutgefäße und zum anderen auf trigeminovaskulären
Neuronen vor, wo sie die trigeminale Schmerzleitung
unterbrechen.
Bei der Behandlung mit Sumatriptan kommt es neben der
gewünschten Blockade der trigeminalen Schmerzleitung und
der Verengung der Hirngefäße auch zu einer
unerwünschten kardialen Vasokonstriktion. Diese wird
nach Fozards Untersuchungen vornehmlich durch den 5-HT1Dß vermittelt, während
die Blockade der Schmerzleitung im Trigeminus ein
Resultat gesteigerter 5-HT1Dalpha-Aktivität ist. Sumatriptan unterscheidet
zwischen den beiden Subtypen nicht. Ziel kommender
Untersuchungen müsse es deshalb sein, einen selektiven
5-HT1Dalpha-Agonisten
zu finden, der denselben Antimigräne-Effekt habe, ohne
eine Verengung der Coronararterien zu bewirken. Die
Untersuchungen nach einem solchen selektiveren Stoff sind
allerdings noch abgeschlossen.
Von der globulären Domäne zur Proteinfunktion
Durch das Human Genome Project ist es gelungen, eine
große Zahl menschlicher Gene zu sequenzieren und so den
Aufbau der von ihnen codierten Proteine aufzuklären.
Allerdings wissen die Wissenschaftler in jedem zweiten
Fall nicht, welche physiologische Aufgabe das
entschlüsselte Protein im Körper hat. Einen neuen Weg,
die Funktion sequenzierter Proteine herauszufinden,
stellte Professor Dr. Tom Blundell, Biochemiker an der
Universität von Oxford, vor.
Er verzichtet bei seiner Methode darauf, die komplette
Proteinsequenz zu berücksichtigen, sondern konzentriert
sich auf sogenannte globuläre Domänen, die kompakte
Cluster bilden. Nach seiner Überzeugung ist die Funktion
eines Proteins eng mit der Anordnung dieser Domänen
verknüpft. Mit Hilfe des automatisierten Algorithmus
DIAL errechnet er aus der Sekundärstruktur, in welchen
Bereichen des Proteins solche Domänen vorhanden sind.
Anschließend vergleicht er die Cluster des Untersuchten
Moleküls mit der von Proteinen, deren Funktion bekannt
ist.
Wenn das untersuchte Protein ähnliche Cluster aufweise
wie eines aus der Vergleichsgruppe, seien funktionelle
Übereinstimmungen zumindest wahrscheinlich, sagte
Blundell. Anhand der Cluster ordnet er sie
Protein-Superfamilien zu. Nach seinen Erfahrungenen ist
in diesem Fall unerheblich, ob sich auch die
Aminosäuresequenzen der beiden Proteine gleichen.
Für eine Reihe von Molekülen scheint Blundells Theorie
zu stimmen. Der in den siebziger Jahren entdeckte
Nervenwachstumsfaktor (NGF) weist sehr ähnliche Cluster
auf, wie TGF-ß und PDGF. Beide sind ebenfalls
Wachstumsfaktoren, allerdings in anderen Geweben. Die
drei Substanzen sind Dimere mit drei Disulfidbrücken und
weisen deshalb eine ähnliche Tertiärstruktur auf. Ihre
Aminosäuresequenz unterscheidet sich dagegen deutlich.
Eine weitere bekannte Protein-Superfamilie bestehe aus
sechs Molekülen, die allesamt Hormone oder
Wachstumsfaktoren sind. Solche Superfamilien hat Blundell
auch schon bei Pflanzen nachgewiesen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß zwei Proteine mit ähnlicher
Clusterstruktur auch ähnliche Funktionen haben, liege
bei 80 Prozent, glaubt Blundell. Da viele Proteine auch
interessante Zielorte für neue Arzneistoffe sind, sei
seine Methode auch ein wertvolles Hilfsmittel bei der
Entwicklung neuer Medikamente.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Edinburgh
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de