Booster für Statine |
07.03.2005 00:00 Uhr |
Nach über zehn Jahren Stagnation gibt es einen innovativen Ansatz in der Lipidtherapie. Der Cholesterol-Resorptionshemmer Ezetimib hemmt die intestinale Resorption von endogen synthetisiertem und exogen zugeführtem Cholesterol. In Kombination mit Statinen können nun auch Patienten mit sehr hohem Ausgangs-LDL-Cholesterol die in der Lipidtherapie geltenden Zielwerte erreichen.
Während der Cholesterol-Resorptionshemmer Ezetimib (Ezetrol®) die intestinale Resorption von endogen synthetisiertem sowie auch von exogen zugeführtem Cholesterol hemmt, reduzieren Statine die Cholesterolsynthese in der Leber. Gemeinsam führen diese unterschiedlichen Wirkmechanismen zu einer synergistischen Cholesterolsenkung.
Dies ist besonders wichtig, da Patienten mit erhöhtem Ausgangs-LDL-Cholesterol unter Monotherapie mit einem Statin nur selten die in der Lipidtherapie geltenden Zielwerte erreichen. Aus der EUROASPIRE-Studie ist bekannt, dass von den Myokardinfarkt-Patienten, die einen Lipidsenker erhalten, nur 51 Prozent den Zielwert LDL 100 mg/dL erreichen. Ruof et al. untersuchten 2856 nicht stationäre Patienten mit Koronarer Herzkrankheit (KHK) unter »real life conditions« (1). Der LDL-Mittelwert dieser Patienten lag bei 173,4 ± 42,5 mg/dL. Nur 176 (6,2 Prozent) der 2856 Patienten erreichten das in dieser Studie festgelegte Ziel-LDL von 115 mg/dL. Hauptursache für diese unter ethischen wie auch unter pharmakoökonomischen Gesichtspunkten beklagenswerte Situation ist neben der Budget-Problematik die Tatsache, dass jede Verdoppelung einer Statin-Dosis nur eine zusätzliche LDL-Absenkung von 6 Prozent erbringt. Daher erreichen Patienten mit KHK und häufig hohen LDL-Ausgangswerten ihre Ziel-LDL von 100 mg/dL trotz mehrfacher Dosissteigerung meistens nicht.
Eigenschaften
Ezetimib ist ein Wirkstoff, der selektiv die intestinale Resorption von Cholesterol hemmt (2). Nach oraler Einnahme lagert er sich an die Bürstensaummembran der Enterozyten des Dünndarms an und verhindert die Aufnahme von Cholesterol in die Enterozyten. Über den molekularen Mechanismus der Sterin-Aufnahme aus dem Dünndarmlumen liegen erste Erkenntnisse vor. Nach Altmann et al. spielt das Niemann-Pick C1 Like 1 (NPC1L1)-Protein für die Cholesterolresorption aus dem Darm eine entscheidende Rolle (3). Ezetimib hatte bei NPC1L1-Knockout-Mäusen keine Wirkung, was darauf hinweist, dass NPC1L1 in einem Ezetimib-empfindlichen Stoffwechselweg eine Rolle spielt, der für die intestinale Cholesterolresorption verantwortlich ist.
Durch die Resorptionshemmung von endogenem und exogenem Cholesterol wird dessen Transport aus dem Darm in die Leber vermindert. Als Folge wird weniger Cholesterol in der Leber gespeichert, wodurch sich wiederum die Cholesterolclearance aus dem Blut erhöht. Der Wirkmechanismus von Ezetimib unterscheidet sich grundlegend von demjenigen der Anionenaustauscherharze, die saure Substanzen wie Gallensäuren, die Oxidationsprodukte des Cholesterols, unspezifisch binden und mit den Fäzes ausscheiden.
Durch die selektive Hemmung der Cholesterolresorption wird die Resorption anderer Nahrungsbestandteile wie von Fettsäuren oder fettlöslichen Vitaminen nicht beeinflusst. In einer zweiwöchigen klinischen Studie an 18 Patienten mit Hypercholesterolämie hemmte Ezetimib im Vergleich zu Placebo die intestinale Cholesterolresorption um circa 54 Prozent (4). Durch Kombination mit Statinen wird eine Erhöhung der endogenen Cholesterolsynthese als Reaktion auf die Resorptionshemmung verhindert. Die beiden verschiedenen Wirkweisen ergänzen sich zu einer synergistischen Cholesterolsenkung. Der additive Effekt von Ezetimib auf die Wirkung von Statinen im Sinne einer verstärkten LDL-Senkung konnte in klinischen Studien zweifelsfrei nachgewiesen werden (5).
Pharmakologie
Ezetimib wird nach oraler Gabe rasch resorbiert und vor allem in Dünndarm und Leber über Glucuronid-Konjugation (Phase-II-Reaktion) metabolisiert und anschließend über die Galle ausgeschieden. Oxidative Phase-I-Reaktionen sind nur von minimaler Bedeutung. Im Plasma finden sich 10 bis 20 Prozent Ezetimib und 80 bis 90 Prozent (der Gesamtkonzentration) Glucuronid. Ezetimib und sein Glucuronid unterliegen einem enterohepatischen Kreislauf und werden daher aus dem Plasma nur langsam eliminiert. Die lange Halbwertszeit von etwa 22 Stunden erlaubt eine einmal tägliche Gabe.
Die mittlere Plasmaspitzenkonzentration Cmax wird für das Glucuronid nach 1 bis 2 Stunden, für Ezetimib nach 4 bis 12 Stunden erreicht. Ezetimib ist zu 99,7 Prozent, sein Glucuronid zu 88 bis 92 Prozent an Plasmaproteine gebunden. Etwa 78 Prozent werden mit den Fäzes, circa 11 Prozent renal eliminiert.
Sicherheitsprofil
Die Sicherheit wurde in klinischen Studien an über 4700 Patienten und weiteren 11.000 Patienten in Studien nach Markteinführung untersucht. Klinische Studien zu Ezetimib in Monotherapie oder in Kombination mit einem Statin haben gezeigt, dass der Wirkstoff gut vertragen wird. Die Inzidenz berichteter klinischer unerwünschter Ereignisse insgesamt sowie der berichteten Behandlungsabbrüche auf Grund von klinischen unerwünschten Ereignissen war unter Ezetimib ähnlich wie bei Placebo. Nach Zulassung wurden allein in Deutschland in Anwendungsbeobachtungen Erfahrungen zu Ezetimib bei über 150.000 Patienten erfasst. Hier wurde eine Erhöhung der CK in 0,02 Prozent der Fälle berichtet, eine Rhabdomyolyse wurde in Deutschland nicht berichtet.
Nach Markteinführung jedes neuen Produktes werden vor allem zur Vermeidung späterer Regressansprüche auf Grund von Informationen aus Pharmakovigilanzberichten von Zeit zu Zeit Aktualisierungen von Fach- und Gebrauchsinformationen vorgenommen, auch wenn kein direkter Kausalzusammenhang zwischen Arzneimittel und unerwünschten Ereignissen nachgewiesen wurde. So wurden zu Jahresbeginn 2005 auch die Fach- und Gebrauchsinformation für Ezetimib in Kanada aktualisiert und dabei folgende unerwünschte Ereignisse aufgenommen: Thrombozytopenie, akute Pankreatitis, Hepatitis, Myalgie und Rhabdomyolyse (6). In Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt bereits vorher Übelkeit, Pankreatitis und erhöhte Transaminasen in die Fach- und Gebrauchsinformation aufgenommen worden. Es ist davon auszugehen, dass bei der nächsten Anpassung der deutschen Fach- und Gebrauchsinformation die oben genannten Daten Eingang finden.
Dabei ist es möglich, dass Myalgie (mit oder ohne CK-Erhöhung) bei Patienten, die zuvor unter Statinen über fortdauernde Muskelschmerzen geklagt hatten, aufgenommen wird, obwohl ein kausaler Zusammenhang nicht nachgewiesen wurde. In diesen Fällen sollten die Patienten entsprechend kontrolliert werden.
Das Gleiche gilt für die sehr seltenen Fälle von Rhabdomyolyse bei der Monotherapie mit Ezetrol®, wobei ein kausaler Zusammenhang ebenfalls nicht nachgewiesen wurde. Rhabdomyolyse (7) ist ein schwerwiegendes klinisches Symptom mit ganz unterschiedlicher Ätiologie. Dabei spielen sowohl exogene Faktoren (zum Beispiel Traumata) als auch endogene Störungen des Intermediärstoffwechsels sowie genetisch bedingte Störungen eine auslösende Rolle. Die häufigsten Ursachen für eine Rhabdomyolyse sind extreme körperliche Belastung (zum Beispiel Marathonläufe) und Hitzeeinwirkung. Traumatische Schäden (zum Beispiel Verbrennung, Elektroschock) führen zu einer direkten Muskelschädigung. Daneben kann Rhabdomyolyse auch durch Infektionen, chronischen Alkoholmissbrauch, Hypokaliämie sowie durch Medikamente (Statine, Fibrate, Zidovudin, Vincristin et cetera) und verschiedene Toxine ausgelöst werden.
Anwendungsbeschränkungen
Ezetimib erfordert bei Patienten mit leichter Leberinsuffizienz keine Dosisanpassung. Patienten mit mäßiger oder schwerer Leberinsuffizienz sollten mit Ezetimib nicht behandelt werden. Auch bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen ist für Ezetimib keine Dosisanpassung erforderlich. Wenn Ezetimib zusammen mit einem Statin verordnet wird, sollten entsprechend der Fachinformation des betreffenden Statins vor allem die Transaminasen (Leberfunktion) sowie die Kreatinkinase (CK) (Myopathierisiko) kontrolliert werden. Sollten die Transaminasen bis zum Dreifachen, die Kreatinkinase bis zum Fünffachen der oberen Normgrenze ansteigen und persistieren, sollte die Therapie abgesetzt werden.
Unerwünschte Wirkungen
In klinischen Studien über 8 bis 14 Wochen wurden 3366 Patienten mit Ezetimib allein (n = 1691) oder zusammen mit einem Statin (n = 1675) behandelt. Die unerwünschten Wirkungen waren normalerweise leicht ausgeprägt und von vorübergehender Natur. Die Gesamtinzidenz und die Abbruchrate auf Grund von Nebenwirkungen waren vergleichbar mit Placebo. Folgende Nebenwirkungen wurden 1/100 bis 1/10 beobachtet: Ezetimib allein: Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Diarrhö; zusammen mit einem Statin traten zusätzlich Müdigkeit, Obstipation, Übelkeit und Myalgie auf.
Wechselwirkungen
Ezetimib bewirkt keine Induktion der Enzyme des Cytochrom-P450-Metabolismus. Es wurden keine klinisch bedeutenden pharmakokinetischen Wechselwirkungen zwischen Ezetimib und Arzneimitteln beobachtet, die über CYP-Isoenzyme oder N-Acetyltransferase metabolisiert werden. Bei gleichzeitiger Anwendung von Colestyramin und Ezetimib wird die Bioverfügbarkeit von Ezetimib verringert. Daher sollte die Einnahme des Resorptionshemmers mindestens 2 Stunden vor oder mindestens 4 Stunden nach Einnahme eines Anionenaustauschers erfolgen. Die gemeinsame Gabe von Ezetimib und Fibraten wird wegen fehlenden klinischen Erfahrungen nicht empfohlen.
Bei gleichzeitiger Anwendung von Ezetimib mit Simvastatin, Atorvastatin, Pravastatin, Lovastatin oder Fluvastatin wurden keine klinisch signifikanten pharmakokinetischen Interaktionen festgestellt. Eine Therapie mit Ezetimib ist bei Patienten, die mit Ciclosporin behandelt werden, mit Vorsicht einzuleiten, da das Gesamt-Ezetimib gegenüber einer gesunden Kontrollpopulation je nach Kreatinin-Clearance des Patienten unterschiedlich erhöht sein kann.
Diskutiert wird, dass bei Patienten, die begleitend Warfarin bekommen, die International Normalized Ratio (INR) routinemäßig überwacht werden sollte.
Stellenwert
Der Cholesterol-Resorptionshemmer Ezetimib ist der erste Arzneistoff, der selektiv die intestinale Resorption von Cholesterol hemmt. Unter Ezetemib-Monotherapie werden die wichtigsten Lipidparameter (Gesamtcholesterol, LDL, Apolipoprotein B, HDL und Triglyceride) verbessert (8).
Durch die Kombination von 10 mg Ezetimib mit 10 mg Simvastatin konnte eine circa 50-prozentige LDL-Senkung erzielt werden, wie mit 80 mg Simvastatin allein. Das bedeutet, dass durch die Kombination eine Verachtfachung der Statindosis durch dreimalige Dosisverdoppelung erspart werden kann, was sich vor dem Hintergrund des dosisabhängigen Anstiegs von Transaminasen und CK als Vorteil erweist.
Die schrittweise Erhöhung der Statindosis führt in kombinierter Anwendung zu einer relativ geringen zusätzlichen Senkung des LDL-Cholesterols, erhöht aber das Risiko für dosisabhängige Nebenwirkungen des Statins. Das muss in die Nutzen-Risiko-Abwägung einbezogen werden. Durch die Kombination von Ezetimib 10 mg mit Simvastatin 80 mg ist eine maximale LDL-Senkung von etwa 60 Prozent erreichbar (9, 10).
Fazit Ezetimib ist ein innovativer Cholesterol-Resorptionshemmer. Die Kombination aus 10 mg Ezetimib und 20 mg Simvastatin senkt das LDL-Cholesterol um 50 Prozent. Bei höheren Simvastatindosen können LDL-Senkungen bis zu 61 Prozent erwartet werden. Dadurch können auch Patienten mit sehr hohem Ausgangs-LDL-Cholesterol die in der Lipidtherapie geltenden Zielwerte erreichen. Kontrollierte Langzeitstudien wurden begonnen, um den Effekt von Ezetimib auf klinische Endpunkte zu untersuchen (ENHANCE, SEAS, SHARP, IMPROVE IT). Dabei werden unabhängige Sicherheitsgremien das Sicherheitsprofil von über 20.000 geplanten Teilnehmern kontinuierlich prüfen.
Die Sicherheit von Ezetimib wurde in klinischen Studien an über 4700 Patienten und weiteren 11.000 Patienten in Studien nach Markteinführung untersucht. Die klinischen Studien zu Ezetimib in Monotherapie oder in Kombination mit einem Statin haben gezeigt, dass Ezetimib im Allgemeinen gut vertragen wird. Nach Zulassung wurden allein in Deutschland in Anwendungsbeobachtungen Erfahrungen zu Ezetimib bei über 150.000 Patienten erfasst. Hier wurde eine Erhöhung der CK in 0,02 Prozent der Fälle berichtet, eine Rhabdomyolyse wurde in Deutschland nicht berichtet.
Literatur
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. Dr. Dr. h. c. Walter Schunack
Freie Universität Berlin
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