Pharmazie
Makrolide eröffnen neue Perspektiven
Die Wirkstoffgruppe ist nicht neu: Bereits seit über 40 Jahren werden
Makrolid-Antibiotika mit ihrem Standardvertreter Erythromycin zur
Behandlung bakterieller Atemwegsinfektionen eingesetzt; heute spielt der
Prototyp hauptsächlich noch als Saft in der Pädiatrie eine Rolle. In vielen
anderen Bereichen wurde er durch die seit Anfang der 90er Jahre verfügbaren
Makrolide der zweiten Generation zurückgedrängt: Azithro-, Clarithro- und
Roxithromycin.
Neben besserer Bioverfügbarkeit und Magen-Darmverträglichkeit sowie höherer
Stabilität zeichnet sich bei den Substanzen der zweiten Generation ein erweitertes
Einsatzspektrum ab. Zur Erinnerung: Makrolide wirken in erster Linie auf grampositive
Erreger wie Strepto- und Pneumokokken, auf die meisten Anaerobier sowie auf
bestimmte gramnegative Keime. So erfassen Vertreter wie Roxithromycin beispielsweise
Haemophilus influenzae und Bordetella pertussis; bakteriostatische Wirkung ist sowohl
gegen die Leitkeime ambulant erworbener Atemwegsinfektionen als auch gegen die
Haupterreger von Haut- und Urogenitalinfektionen (bestimmte Staphylokokken,
Chlamydien, Ureaplasmen) vorhanden, in vitro und in Tierexperimenten auch gegen
Cryptosporidien, Treponema pallidum und andere.
Gängige Indikationen sind: Tonsillopharyngitis, Otitis media, Bronchitis, Pneumonie oder
Pertussis. Zunehmend zeige sich auch eine Bedeutung bei Resistenz gegen
ß-Lactam-Antibiotika, betonte Professor Dr. Wolfgang Stille, Frankfurt, bei einer von
Albert-Roussel (inzwischen Hoechst Marion Roussel) initiierten Pressekonferenz Ende
vergangenen Jahres in Frankfurt.
Indikationen der Zukunft
Bei den 2.-Generations-Makroliden deute sich eine Reihe noch nicht ausgenutzter
Therapiemöglichkeiten an, so der optimistische Ausblick von Dr. Horst Scholz, Chefarzt
am Institut für Infektiologie, Mikrobiologie und Hygiene des Klinikums Berlin-Buch. Er
machte dies am Beispiel von Roxithromycin deutlich.
Die Forschung konzentriert sich hier unter anderem auf den Einsatz bei Helicobacter
pylori-Infektionen (Azithromycin gehört bereits zur Triple-Standardtherapie), bei Lyme
Borreliose und bei Chlamydieninfektionen; Versuche laufen auch zu HIV-assoziierten
Infektionen durch Mycobacterium avium, Toxoplasma gondii oder Pneumocystis carinii.
In-vitro-Studien und Tiermodelle wie auch die bisherigen klinischen Prüfungen seien
vielversprechend.
Eine "noch sehr vage Zukunftsperspektive" könnte laut Scholz darüber hinaus der
Einsatz bei Herz- und Gefäßerkrankungen werden. Denn: Vertreter der neueren
Generation wirken gegen die Erreger, die immer öfter mit der Entstehung von
Atherosklerose und damit von Herzinfarkten in Verbindung gebracht werden -
Chlamydien.
Als "wesentlichen Vorteil" wertete Professor Dr. Horst Köditz vom Zentrum für
Kinderheilkunde der Universitätsklinik Magdeburg die gegenüber Erythromycin
erheblich verbesserten pharmakokinetischen Eigenschaften der
2.-Generations-Makrolide. Das magensäurestabile Roxithromycin wird schnell
resorbiert und ist durch rasche Diffusion in die Phagozyten des Immunsystems
intrazellulär etwa 22mal höher konzentriert als außerhalb der Zellen; man erreiche
praktisch eine lokale Wirkung am Infektionsherd, so Köditz.
Die bei Erythromycin relativ ausgeprägten gastrointestinalen Nebenwirkungen seien bei
den neueren Makroliden erheblich reduziert. Bei Roxithromycin lägen sie nur bei rund 4
Prozent. Im Gegensatz zu anderen Makroliden bildet es darüber hinaus keine Komplexe
mit Cytochrom P450-Enzymen, wodurch man sich weniger Wechselwirkungen mit
Substanzen erhofft, die über dieses System metabolisiert werden. Ein weiterer
Pluspunkt, insbesondere im Hinblick auf die Patienten-Compliance: Aufgrund der langen
Halbwertszeit von 12 Stunden reicht die einmal tägliche Applikation von 300 mg,
beziehungsweise die zweimal tägliche Gabe von jeweils 150 mg.
PZ-Artikel von Bettina Schwarz, Frankfurt
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de