Pharmazie
Als alarmierend bezeichnete Ann
Furedi, London, bei einer Pressekonferenz der Organon
GmbH am 6. Februar 1997 in der Hansestadt die
Langzeitfolgen der Pillenpanik. Die Direktorin des Birth
Control Trust beklagte das sinkende Image der oralen
Kontrazeptiva. Die Zahl der Frauen, die die Pille als
Verhütungsmittel nicht in Erwägung ziehen, sei in
England von 25 Prozent im Jahr 1993 auf über 30 Prozent
im Jahr 1996 angestiegen.
Furedi sprach nicht nur von negativen
Auswirkungen auf das Vertrauen der Frauen durch unnötige
Panikmache, sondern auch von unwillkommenen Auswirkungen
auf die medizinische Berufsausübung. Viele englische
Ärzte praktizierten heute bereits eine defensive Medizin
als Folge von Erfahrungen aus den USA, wo medizinische
Probleme immer häufiger im Gerichtssaal entschieden
werden. Die Angst vor einem Rechtsstreit habe zur Folge,
daß es für Frauen praktisch unmöglich sei, ein
Intrauterinpessar zu erhalten. Sie müssen ein 30seitiges
Formular unterzeichnen, in dem sie auf Strafverfolgung
verzichten.
Es sei festzustellen, daß die Wahlmöglichkeiten bei der
Empfängnisverhütung immer geringer werden, monierte
Furedi. Während es vor zehn Jahren weltweit neun Firmen
gab, die Verhütungsmittel herstellten, erforschten und
entwickelten, seien es heute nur noch vier. Dies sei
hauptsächlich auf die Haftungsproblematik in den
Vereinigten Staaten zurückzuführen.
Verunsicherung durch Fehlinterpretationen?
Die Verunsicherung junger Frauen und Mädchen
und die Zunahme der Abtreibungen als Folge der Diskussion
um das erhöhte Thromboserisiko durch orale Kontrazeptiva
der dritten Generation mit den Wirkstoffen Desogestrel
beklagte auch Dr. Iris Grützmacher, Bielefeld. Ihre
Erfahrung sei, daß Frauen und Mädchen, die eingehend
über die Entscheidung ihres Arztes für ein
Kontrazeptivum der dritten Generation informiert waren,
nicht zu vorschnellen Reaktionen neigten.
Wichtigste Voraussetzung für die Empfehlung eines
Verhütungsmittels sei die Anamnese und das Ausschließen
von Risikofaktoren, zum Beispiel Rauchen oder
thromboembolische Ereignisse in der Familie. Es müsse
selbstverständliche Aufgabe des Frauenarztes sein, die
Patientin umfassend zu informieren. Auf dieser Grundlage
könne diese dann ihre Entscheidung treffen.
Die Daten der epidemiologischen Studien, die das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in
Berlin bewogen haben, an den Anwendungsbeschränkungen
für orale Kontrazeptiva der dritten Generation
festzuhalten, seien "mit äußerster Vorsicht zu
behandeln", so Dr. Kenn MacRae, London. Man habe es
mit einem klassischen Beispiel dafür zu tun, wie
epidemiologische Daten fehlinterpretiert werden können.
MacRae kritisierte systematische Fehler, Zufalls- und
Störfaktoren. Es gebe keine Kausalzusammenhänge, die
die Schlüsse rechtfertigten. Unter anderem sei zu
registrieren, daß orale Kontrazeptiva der dritten
Generation vorrangig an Frauen verordnet worden seien,
die für Thrombosen anfälliger erschienen. Die Zahl der
Fälle, in denen eine Thrombose beobachtet wurde, habe
ganz offensichtlich zunehmen müssen. Der Beweis für
eine Verzerrung durch das Verordnungsverhalten der Ärzte
liege vor.
PZ-Artikel von Christiane Berg, Hamburg
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