Für den Notfall schlecht gewappnet |
03.06.2002 00:00 Uhr |
Pharmacon Meran 2002
Kommt es in Deutschland zu einem größeren Not- oder Katastrophenfall, werden auch die öffentlichen Apotheken zu einer wichtigen Anlaufstelle. Das Apotheken-A sei ein Symbol für Hilfe; Betroffene würden unweigerlich in der nächstgelegenen Offizin Beistand suchen, mahnte Wolfgang Wagner, Apotheker und Experte für Katastrophenmedizin aus Düsseldorf. Leider seien die meisten Betriebe auf eine solche Situation kaum vorbereitet.
Die Apotheke müsse als "Kompetenz-Zentrum für Akuthilfe" fungieren. Das gelte für Ersthilfe, das Alarmieren des Rettungsdienstes und die Unterstützung der Rettungskräfte genauso wie für die Bereitstellung von Material und pharmazeutischen Fachinformationen.
Die Apothekenbetriebsordnung fordert neben der Mindestbevorratung mit Hilfs- und Arzneimittel, dass in öffentlichen und Krankenhausapotheken Antidota, Sera und Plasmaprodukte für den Notfall bereit liegen. Diese Regelung wird häufig kritisiert. Die relativ teuren Produkte werden ausgesprochen selten gebraucht und verfallen daher häufig. In deutschen Apotheken lagerten Antidota für circa 4,9 Millionen Euro, monierte Wagner. Seiner Meinung nach wäre es wesentlich effektiver, die Präparate in zentralen Depots der Bundesländer bereit zu halten.
Kritik übte der Experte auch am 1997 verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des Zivilschutzes. Damals schaffte der Bundestag damit die permanente Bevorratung von Arzneimitteln und Sanitätsmaterial für den Verteidigungsfall ab. Wagner: "Diese Entscheidung hat bundesweit zu einem akuten Defizit in der medizinisch-pharmazeutischen Notfallbevorratung geführt". Der Staat habe die Verantwortung auch auf die einzelnen Apotheken abgewälzt. Nur drei Bundesländer hielten derzeit minimale Mengen an Hilfsgütern für überregionale und längeranhaltende Katastrophen bereit.
Zu welchen Engpässen diese Versorgungslücke führen kann, erläuterte der Apotheker am Beispiel des Flughafenbrandes in Düsseldorf. Damals hätten Rettungskräfte im gesamten westlichen Nordrhein-Westfalen die Ambulanzen der Kliniken abgeklappert, um Dosieraerosole mit Glucocorticoiden für die Opfer mit Rauchgasvergiftung einzusammeln.
Wagner schlug daher ein kooperatives System der Notfallbevorratung vor. In den Kommunen sollten in Rettungsleitstellen zusätzliche Vorräte liegen. Auf Länderebene müssten Arznei- und Hilfsmittel dezentral in Krankenhausapotheken sowie bei Herstellern und Händlern gelagert werden. Neben der Bundeswehr müsse der Staat zudem in acht bis zehn Depots Sanitätsmaterial für den Zivilschutz bereithalten. Um schließlich auch bei längeren Katastrophen den Nachschub zu sichern, empfahl Wagner Notfall-Produktionsstätten für Arzneimittel und Antidota.
"Jeder hofft, das nichts passiert", resümierte der Experte. Aber auch die Pharmazie müsse sich in punkto Not- und Katastrophenhilfe dringend weiterentwickeln. Dies sei eine neue fachliche Dimension für den Berufsstand. In der anschließenden Diskussion war sich das Auditorium über die Versäumnisse einig. Der Inspizient Wehrpharmazie der Bundeswehr, Generalapotheker Dr. Michael Krohn, schlug vor, eine gemeinsame Arbeitsgruppe für Katastrophenmedizin und -pharmazie bei der Bundesapothekerkammer einzurichten.
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