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Therapieerfolg auf dünnem Eis

03.06.2002  00:00 Uhr

Pharmacon Meran 2002

Therapieerfolg auf dünnem Eis

Die Verordnungszahlen für CSE-Hemmer steigen seit Mitte der 90er-Jahre exponentiell an. Die Wirksamkeit der Substanzen ist gut dokumentiert; inzwischen sind die Nebenwirkungen ebenso bekannt. Cerivastatin verursachte, teils in Kombination mit Gemfibrozil, Rhabdomyolysen. Diese plötzliche Auflösung von Skelettmuskulatur führte bei acht Patienten in Deutschland zum Tod. Angesichts der Marktrücknahme von Lipobay® hatte der Vortrag von Professor Dr. Heyo Kroemer aus Greifswald über das Interaktionspotenzial der CSE-Hemmer hohe Aktualität.

Wechselwirkungen sind grundsätzlich möglich, wenn zwei Stoffe über das selbe Cytochrom-P450-Isoenzym (CYP) verstoffwechselt oder über die selben Transporterproteine durch Zellmembranen geschleust werden, berichtete der Pharmakologe. Die meisten Statine werden über CYP3A4 metabolisiert; eine Ausnahme bildet Fluvastatin, das über CYP2C9 umgewandelt wird. Wird 3A4 blockiert, steigt der bioverfügbare Anteil von Substanzen mit hohem First-pass-Metabolismus über dieses Isoenzym stark an. So nimmt der verfügbare Anteil von Simvastatin um den Faktor 16 zu, während die Blockade keine gravierenden Konsequenzen für Pravastatin hat.

Da Gemfibrozil in vitro das CYP3A4-Enzym nicht blockiert, kann dies nicht die erhebliche Steigerung der Plasmakonzentration und Halbwertszeit von Simvastatin und seiner Säure in vivo erklären. Auch eine Wechselwirkung mit Transportproteinen schloss Kroemer aus. Zum genauen Mechanismus der Interaktion und den prädisponierenden Faktoren beim Patienten seien derzeit viele Fragen offen.

Im Vergleich zu den Cytochromen ist die Bedeutung der Transportproteine für Arzneistoffwirkungen und -nebenwirkungen noch wenig erforscht. Diese Proteinfamilie sorgt für die Aufnahme und Ausschleusung vieler Fremdstoffe in und aus Körperzellen. Ein bekannter Vertreter ist P-Glykoprotein (P-gp), ein Produkt des Multi-drug-resistance-(MDR)-1-Gens. An verschiedenen Organen, zum Beispiel in Darmmukosa und Hepatozyten, kommen Cytochrom 3A4 und P-gp benachbart vor. Die Coexpression ist höchst sinnvoll für die Entgiftung. Ist ein Fremdmolekül in eine Zelle eingedrungen, wird es metabolisiert und sofort wieder nach außen befördert. Viele häufig eingesetzte Arzneistoffe werden von P-gp transportiert, bei gleichzeitiger Gabe konkurrieren diese Stoffe um ihr "Taxi" in und aus der Zelle: Wechselwirkungen sind vorprogrammiert.

Gibt es Statine ohne Nebenwirkungen? Die Frage beantwortete Kroemer mit einem "vorsichtigen Nein". Fluvastatin wird über CYP2C9 verstoffwechselt und kann somit zu einem Konzentrationsanstieg von Stoffe führen, die über das gleiche Enzym umgebaut werden. Pravastatin wird über den Transporter OATP in die Zelle aufgenommen und kann mit Stoffen interagieren, die den gleichen Weg benützen. Das in der Zulassung befindliche "Superstatin" Rosuvastatin ist ein eher hydrophiler, potenter CSE-Hemmer, der nicht über CYP3A4 metabolisiert wird und von der Firma deshalb bereits als "nebenwirkungsfrei" gelobt wird. Laut Kroemer eine gewagte Behauptung. Der Stoff sei "hepatoselektiv" durch einen hochaffinen Aufnahmetransport in Leberzellen. Gerade hier können Interaktionen entstehen.

Der unkritische Wechsel innerhalb der Substanzgruppe kann ebenso Probleme verursachen wie das abrupte Absetzen. Dies kann auf pleiotropen Effekten der Statine beruhen, beispielsweise der Hochregulation der endothelialen NO-Synthase. Fehlt der Stimulus plötzlich, wird weniger vasodilatierendes NO gebildet. Eine Analyse einer kleinen Patientengruppe aus der PRISM-Studie brachte interessante Resultate. Von 1616 Patienten mit akutem Koronarsyndrom erhielten 379 ein Statin, das bei 86 dann abgesetzt wurde. In dieser Gruppe traten innerhalb von 30 Tagen vermehrt tödliche und nicht tödliche Herzattacken auf.

Kroemer mahnte dringend, bei der Einführung neuer Statine und einem Therapiewechsel sehr vorsichtig vorzugehen. Sein Plädoyer: Bei der Erforschung von Interaktionen sollten Apotheker, die Pharmaindustrie und die Hochschule noch viel enger zusammenarbeiten.

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