Pharmazeutische Zeitung online

Antibiotika nicht immer nötig

08.12.2003  00:00 Uhr
Otitis media

Antibiotika nicht immer nötig

von Brigitte M. Gensthaler, München

Die akute Mittelohrentzündung ist eine der häufigsten Infektionen bei kleinen Kindern. Obwohl sie oft spontan abheilt, bekommen fast alle Kinder Antibiotika, um den gefürchteten Komplikationen vorzubeugen. Hier bahnt sich ein Umdenken an.

Meist werden Kinder zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 4. Lebensjahr von der akuten Entzündung des Mittelohrs (Otitis media acuta) geplagt, Erwachsene erkranken nur selten. Dabei ist das Trommelfell gerötet, oft auch der umgebende Gehörgang. Sekret sammelt sich im Mittelohrraum an, infiziert sich und drückt auf das Trommelfell, das sich vorwölbt. Der Sekretstau verursacht stechende, bohrende Schmerzen, die nachts oft stärker werden. Dies ist für Kinder und Eltern so dramatisch, dass die Otitis media einer der häufigsten Gründe für den Besuch beim Kinderarzt ist, berichtete der Münchner HNO-Arzt Professor Dr. Hans Eichner bei einer Pressekonferenz der Firma Weber und Weber in München.

Die Krankheit entsteht auf Grund aufsteigender Infekte in der Eustachischen Röhre (Tuba auditiva), die als „Ohrtrompete“ das Mittelohr mit dem Nasen-Rachen-Raum verbindet und für den Druckausgleich zwischen Paukenhöhle und Außenluft sorgt. Unter den Erregern dominieren Streptokokken, Haemophilus und Moraxella (siehe Kasten). Zudem findet man bei vier von zehn Kindern Viren im Mittelohr, die die Mucosabarriere schädigen und die Adhäsion von Bakterien erleichtern. Dies kann zu viral-bakteriellen Mischinfektionen führen. Deutlich seltener lösen allergische Reaktionen eine Mittelohrentzündung aus.

 

Häufigste Erreger der Otitis media Bakterien
  • Streptococcus pneumoniae
  • Haemophilus influenzae
  • Moraxella catarrhalis
  • Streptococcus pyogenes (Gruppe-A-Streptokokken)
  • Staphylococcus aureus
  • Escherichia coli
  • Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus (bei Neugeborenen, immundefizienten Kindern und Erwachsenen)

Viren

  • Respiratory-syncytial-(RS)-Virus
  • Influenza- und Parainfluenzaviren
  • Adenoviren
  • Enteroviren

nach Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, 2002

 

Typische Symptome sind Ohrenschmerzen und Hörminderung, aber auch Fieber, Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen. Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall plagen vor allem die ganz Kleinen. Die Diagnose muss unbedingt ein Arzt stellen, mahnte Eichner und warnte vor einer Selbstmedikation. Neben der Anamnese sei eine Otoskopie nötig, darüber hinaus empfahl er die Ohrmikroskopie.

Für die Kleinen immer Antibiotika

Ist die Diagnose sicher, greifen die meisten Ärzte in Deutschland sofort zu Antibiotika. Die niederländischen Kollegen verordnen diese nur jedem dritten Kind, die US-amerikanischen hingegen 98 Prozent der kleinen Patienten. Mittel der Wahl ist Amoxicillin (außer bei Staphylococcus aureus), eingesetzt werden zudem Ampicillin, Erythromycin und Cephalosporine. Die Fachgesellschaften der HNO- und Kinderärzte empfehlen, initial Antibiotika einzusetzen, um Komplikationen zu vermeiden. Gefürchtet sind Entzündungen in den lufthaltigen Zellen des Warzenfortsatzes (Mastoiditis) und im Ohrlabyrinth (Labyrinthitis), Hirnabszess, Meningitis und Innenohrschwerhörigkeit.

Allerdings haben Metaanalysen und Studien gezeigt, dass die Antibiose Symptomdauer und Rezidivraten nicht beeinflusst und Komplikationen nicht signifikant zurückgehen, berichtete Eichner. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bezeichnet den routinemäßigen Einsatz von Antibiotika als „nicht zweckmäßig“, fordert aber, Kinder unter vier Jahren bei bakteriell bedingter Otitis media in jedem Fall antibiotisch zu behandeln.

Angesichts der zunehmenden Resistenzentwicklung und der hohen Zahl viraler Auslöser rät Eichner zu einem abgestuften Vorgehen. Bei unkomplizierter Otitis media könne man zunächst symptomatisch behandeln und das Kind engmaschig überwachen. Analgetika wie Ibuprofen und Paracetamol, Sekretolytika und abschwellende Nasentropfen können hilfreich sein. Auch homöopathisch seien die Schmerzen gut behandelbar, sagte der Arzt, der überdies den Einsatz von Hausmitteln wie Zwiebelsäckchen, warmen Umschlägen oder Wickeln befürwortete (siehe Titelbeitrag in PZ 37/03). Werden die Beschwerden nach zwei bis drei Tagen nicht besser, seien jedoch Antibiotika angebracht.

Naturheilkunde hilft vielen

Dass eine abwartende Therapie per se nicht schlechter abschneidet als die initiale Antibiose, zeigte eine prospektive, offene, kontrollierte Kohortenstudie. 390 Kinder mit unkomplizierter, akuter Otitis media wurden von konventionell oder naturheilkundlich orientierten Ärzten betreut, erklärte Professor Dr. Thomas Wustrow aus München. Als Zielparameter galten die Häufigkeit von Krankheitstagen, Ohrenschmerzen sowie Fehltagen in Schule oder Kindergarten. Erlaubt war der Einsatz von Antibiotika, Analgetika, Sekretolytika und Nasentropfen. Die naturheilkundlich orientierten Ärzte verordneten zudem aus pflanzlichen Urtinkturen und homöopathischen Tiefpotenzen zusammengesetzte Tropfen (Otovowen®).

Bei den Kindern, die konventionell behandelt wurden, waren Ohrenschmerzen und Otoskopie-Befund zu Beginn signifikant schwerer. Nach einer adjustierten Analyse wurden Krankheitsdauer, Fehlzeiten und Heilungsverlauf jedoch in beiden Gruppen vergleichbar gut beeinflusst. Nach zehn Tagen waren alle Kinder gesund. Erwartungsgemäß erhielten die konventionell behandelten Patienten häufiger Antibiotika (81 versus 14 Prozent) und Analgetika (67 versus 53 Prozent). Ärzte und Eltern bewerteten die auf der Naturheilkunde basierenden Therapie als signifikant besser verträglich.

Der Allergologe und HNO-Arzt resümierte: Bei unkomplizierter Otitis media könne man naturheilkundlich behandeln und müsse erst bei mangelndem Effekt oder Komplikationen ein Antibiotikum zugeben. Das in der Studie eingesetzte homöopathische Medikament befindet sich laut Firmenangaben derzeit in der Nachzulassung. Top

© 2003 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa