Pharmazie
Arzneimittelpreis für Clozapin
Der Arzneimittelpreis der
Münchner Medizinischen Wochenschrift (MMW) ging in
diesem Jahr an das atypische Neuroleptikum Clozapin. Die
vor über dreißig Jahren gefundene Substanz hat eine
wechselhafte Geschichte hinter sich: In ihrer Bedeutung
nur von wenigen Psychiatern erkannt, wäre sie beinahe
ganz vom Markt verschwunden, nachdem schwere
Nebenwirkungen aufgetreten waren. In den vergangenen
Jahren hat sie jedoch vor allem in den USA eine
regelrechte Renaissance erlebt und ist damit zu einem
Klassiker geworden.
Clozapin fiel Ende der 50er Jahre aus dem
Rahmen, als das Herstellerunternehmen (Wander)
ursprünglich neue trizyklische Antidepressiva auf der
Basis von Benzodiazepinen synthetisieren wollte: Clozapin
war antipsychotisch wirksam, zeigte aber im Gegensatz zu
den anderen bis dato bekannten Neuroleptika keine
extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen. Klinische
Studien in Europa bestätigten dies, konnten der Substanz
aber noch nicht zum Durchbruch verhelfen: Zu tief war das
Dogma verwurzelt, daß bei Neuroleptika die
antipsychotische Wirkung obligat mit einer
extrapyramidal-motorischen gekoppelt sein müsse.
Wirksam auch Minussymptomatik
Vielleicht hätte sich das Präparat dennoch
durchgesetzt, wären nicht Mitte der siebziger Jahre in
Finnland in Verbindung mit einer Clozapinbehandlung 16
Fälle von Agranulozytose aufgetreten, die Hälfte davon
mit letalem Ausgang. Der Hersteller erwog daraufhin, das
Medikament völlig vom Markt zu nehmen, wurde aber von
einigen Wissenschaftlern vom Gegenteil überzeugt. Sie
konnten nachweisen, daß Clozapin eine Sonderstellung in
der Behandlung schizophrener Psychosen einnimmt.
Es wirkt auch bei ungefähr 50 Prozent der Fälle, die
gegen herkömmliche Neuroleptika resistent sind. Im
Gegensatz zu diesen beeinflußt es nicht nur die
schizophrene Plussymptomatik wie Wahn und
Halluzinationen, sondern auch die Minussymptome mit
Affektverarmung, Antriebsmangel und Kontaktstörung.
Gleichzeitig induziert der Wirkstoff keine
Parkinson-artigen, extrapyramidal-motorischen Störungen.
Infolge des Fehlens dieser wichtigsten Nebenwirkungen ist
die Compliance - bei psychotischen Patienten im
ambulanten Bereich ohnehin ein Problem - unter
Clozapinbehandlung besser als bei den übrigen
Neuroleptika, was sich wiederum in einer Reduktion der
Gesamtbehandlungskosten niederschlägt. Aufgrund
erheblich reduzierter Kosten für stationäre Behandlung
ergaben sich in zwei US-Studien Einsparungen zwischen 20
000 und über 40 000 Dollar pro Patient und Jahr.
Das Agranulozytose-Risiko ist zwar, wie sich
herausgestellt hat, nicht größer als bei anderen
trizyklischen Verbindungen; eine regelmäßige
Blutbildkontrolle ist dennoch zwingend vorgeschrieben
(anfangs wöchentlich, später alle vier Wochen).
Clozapin ist deshalb in Deutschland nur für eine
"kontrollierte Anwendung", ausschließlich bei
therapieresistenter Schizophrenie, zugelassen. Das
Medikament wird an die Apotheke nur ausgeliefert, wenn
der behandelnde Arzt gegenüber der Herstellerfirma sein
Einverständnis mit der Anwendung der entsprechenden
Richtlinien schriftlich niedergelegt hat.
Angesichts der positiven Erfahrungen der letzten Jahre,
vor allem in den USA, fordern Professor Dr. Hanns
Hippius, München, zufolge immer mehr Psychiater, die
zugelassene Indikation zu erweitern. Schweizer Psychiater
haben laut Professor Dr. Franz Müller-Spahn aus Basel
eine Initiative gestartet, um Clozapin künftig auch als
Mittel der ersten Wahl vor allem bei paranoider
Schizophrenie, bei überwiegender Negativsymptomatik
sowie bei Suizidrisiko einsetzen zu können.
PZ-Artikel von Josef Gulden, Ingolstadt
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