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COX-II-Hemmer kritisch hinterfragen

02.12.1996  00:00 Uhr

-Pharmazie

  Govi-Verlag

COX-II-Hemmer kritisch hinterfragen
PZ-Interview

  In diesem Jahr ist der erste Vertreter aus der Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika auf den Markt gekommen, der von sich in Anspruch nimmt, bevorzugt die Cyclooxygenase II (COX II) zu hemmen. Inwieweit dieses Konzept aufgeht, fragte die Pharmazeutische Zeitung Professor Dr. Kay Brune aus Erlangen.

PZ
: Herr Professor Brune, sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit Wirkungen und Nebenwirkungen der nichtsteroidalen antiphlogistischen Analgetika (NSA). Meloxicam soll der erste selektive COX-II-Hemmer auf dem Markt sein. Was halten Sie davon?

Brune: Die Entdeckung unterschiedlicher Cyclooxygenasen (COX I und COX II) hat neue Forschungsansätze eröffnet. Zunächst wurde angenommen, daß die COX I in allen Geweben konstitutiv vorkommt und dort das Equilibrium reguliert. Die COX II sollte nur in pathologisch verändertem Gewebe gebildet werden und dann für einen Teil der Symptome verantwortlich sein. Konsequenz: Eine selektive Hemmung der COX II würde zwar Entzündungen und Schmerzen kupieren, nicht aber zu Schäden der Magen-Darm-Schleimhaut, der Niere und zu Gerinnungsstörungen führen. Diese Hypothese hat sich leider nicht bestätigt. Die bisher entwickelten reinen COX-II-Hemmer waren entweder nicht antiphlogistisch wirksam oder toxisch. Außerdem züchteten Forscher Mäuse, die entweder keine COX I oder keine COX II hatten (sogenannte COX-I-K.O.- oder COX-II-K. O.-Mäuse). Überraschenderweise zeigten die COX-I-K.O.-Mäuse keine Auffälligkeiten. Sie waren sogar in der Lage, Entzündungen zu bekommen. Indometacin führte zu Ulcerationen. COX-II-K.O.-Mäuse hingegen starben embryonal an Nierenschäden. Dies weist darauf hin, daß die COX II auch entscheidende regulatorische Funktionen bei der Entwicklung des Organismus haben muß.

PZ: Heißt das, daß die selektive Hemmung der COX II nicht als therapeutischer Fortschritt gewertet werden kann, sondern vielleicht sogar neue Gefahren impliziert?

Brune: So apodiktisch würde ich das zur Zeit nicht sehen. Alle auf dem Markt befindlichen NSA hemmen beide Enzyme etwa gleich stark. Sucht man sich besondere Zell- oder Enzymsysteme aus, so kann eine gewisse Dominanz der COX-I- oder COX-II-Hemmung auftreten. Ob diese In-vitro-Systeme aber die In-vitro-Realität reflektieren, ist fraglich. Ich glaube, momentan haben wir noch keine abgesicherte Möglichkeit zu entscheiden, ob eine wirklich selektive Hemmung der COX II einen klinischen Vorteil mit sich bringt.

PZ: Meloxicam, Nabumeton, Nimesulid sollen sich aber nach Herstellerangaben durch relativ geringe gastrointestinale Nebenwirkungen auszeichnen. Weist das nicht doch darauf hin, daß eine geringe COX-I-Hemmung bei gleichzeitig starker COX-II-Hemmung therapeutisch nützlich ist?

Brune: Auch dieser Rückschluß ist aus meiner Sicht nicht zwingend. Nabumeton ist ein Prodrug, das bei vielen Menschen nicht in therapeutisch ausreichender Dosis in die eigentliche Wirksubstanz umgewandelt wird. Das Nimesulid wird zwar erfolgreich angewandt, seine Bioverfügbarkeit ist aber variabel. Meloxicam ist nur in Studien des Herstellers getestet. Trotzdem zeigen Gegenüberstellungen der letzten Jahre, daß möglicherweise die gastrointestinalen Wirkungen nur etwas geringer sind als zum Beispiel bei dem strukturell ähnlichen Piroxicam. Auf der anderen Seite ergeben diese Studien ein erhebliches Risikopotential von Meloxicam auf dem Gebiet der allergischen Reaktionen und der ZNS-Effekte.

PZ: Was soll der Pharmazeut seinem Arzt raten?

Brune: Der Arzt kann auf ein breites NSA-Spektrum zurückgreifen. Sie unterscheiden sich kaum in ihren Nebenwirkungen und ihrer maximalen Wirkstärke. Einige sind wenig potent (Ibuprofen), aber auch wenig toxisch. Andere sind hochpotent (Piroxicam), aber auch toxischer. Schließlich gibt es solche mit kurzer Halbwertszeit (Diclofenac) und solche mit extrem langer (Tenoxicam). Hier kann der Arzt frei wählen. Dieses Spektrum wird durch die Neueinführung Meloxicam (potent, Halbwertszeit von circa 20 h) ergänzt. Es bleibt der Klinik überlassen, die empfohlene Dosis (7,5 mg), die empfohlene Anwendung (einmal täglich) und die vermutete geringere gastrointestinale Toxizität kritisch zu hinterfragen.

PZ-Artikel von Hartmut Morck, Eschborn    

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