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Wenn Medikamente Fieber auslösen

10.11.2003  00:00 Uhr
Drug fever

Wenn Medikamente Fieber auslösen

von Matthias Bastigkeit, Geschendorf

Ursachen für Fieber sind meist bakterielle und virale Infektionen. Als Übeltäter kommen aber auch Arzneimittel infrage. „Drug fever“ macht etwa 3 Prozent der Erkrankungen durch Arzneimittel aus, die zu einem Klinikaufenthalt führen.

Beim Menschen liegt der Temperatur-Sollwert bei 37°C, +/- 1°C. In einigen Organen kommt es jedoch zu höheren Temperaturen. So beträgt die Temperatur in der Leber 41°C, im Herzen liegt sie mit circa 38,8°C ebenfalls deutlich höher. Dieser Sollwert unterliegt physiologischen Tagesschwankungen von 0,5 bis 1°C.

Bei einem Infekt erzeugen Makrophagen Interleukin 1, das über eine Schwachstelle in der Blut-Hirn-Schranke im präoptischen Feld in den Hypothalamus gelangt. Dort bewirkt es den Anstieg der Körpertemperatur.

Drehen Arzneimittel am Temperaturregler, so können unterschiedliche Mechanismen dafür verantwortlich sein, wie:

  • anaphylaktische Reaktionen
  • angeborene Überempfindlichkeit (Ideosynkrasie)
  • substanzbedingte Reaktionen
  • pharmakologische Reaktionen
  • Veränderung der Thermoregulation.

Wann „Drug fever“ nach der Arzneimittelgabe auftritt, ist schwer vorhersehbar. Bei allergischen Reaktionen kann das Thermometer bereits nach Stunden in die Höhe schnellen. Antibiotika und Zytostatika wirken erst nach fünf bis sechs Tagen fiebererzeugend. Besonders langsam agieren kardiovaskulär wirkende Pharmaka: Sie lassen den Patienten erst nach etwa 45 Tagen ins Schwitzen kommen.

Bei Allergie zählt jede Minute

Löst ein Arzneimittel eine Hypersensibilisierung aus, kann die erneute Gabe des Stoffes allergische Fieberreaktionen hervorrufen – auch, wenn die erste Einnahme mehrere Jahre zurückliegt. Fieberreaktionen vom Allergietyp verlaufen besonders rasch und heftig. Dabei ist die Sterblichkeitsrate bei ausgeprägter anaphylaktischer Reaktion außerordentlich hoch.

Der Patient wird allerdings primär durch die anaphylaktische Reaktion bedroht, die Temperatursteigerung ist lediglich ein Begleitsymptom, dem sich eine fulminante Kreislaufreaktion anschließt. Die Patienten klagen über Hautjucken, Übelkeit und Schwindelgefühl. Die Freisetzung von Histamin führt zu einer Erweiterung peripherer Gefäße und zum massiven Blutdruckabfall. Der Körper versucht dies durch eine drastische Steigerung der Herzfrequenz zu kompensieren – meist vergeblich.

Bei Verdacht auf eine derartige Reaktion ist unverzüglich ein Notarzt zu rufen. Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes sollte der Patient in Schocklage gebracht werden. In der Pharmakotherapie müssen Adrenalin, Antihistaminika oder Corticoide ausreichend hoch dosiert werden. Eine orale Gabe von Antihistaminika oder gar Calcium ist als gut gemeinter Therapieversuch zu werten. Denn bis H1-Blocker wirken, vergehen mehrere Stunden, die Wirkung von Calcium ist fragwürdig und nicht erwiesen.

 

Von Anfang an Eine angeborene Überempfindlichkeit, die Idiosynkrasie, ist genetisch bedingt. Diese angeborene Disposition lässt den Patienten nach Gabe einiger Arzneimittel mit Fieber reagieren. Bekannt ist dies unter anderem für Halothan, Chininsulfat, Chinidin und Sulfonamide.

 

Substanzbedingte Reaktion

Gewisse chemische Grundstrukturen reizen den Körper dazu, seine Temperatur zu erhöhen. Diese Nebenwirkung ist dosisabhängig und kann bei Amphotericin B, Bleomycinsulfat, Cephalosporinen und Vancomycin auftreten.

Erhält ein Patient bei einer Infektion ein Antibiotikum mit pyrogener Wirkung, lässt eine Steigerung der Körpertemperatur fälschlicherweise oft vermuten, dass die Infektion sich verschlimmert hat. Eine Dosissteigerung der Chemotherapeutika würde die Situation verschlimmern.

Es gibt jedoch auch erwünschte Fieberreaktionen. Davon spricht man, wenn Arzneimittel eine gewollte fiebererzeugende Wirkung haben. Hier sind die Zytostatika zu nennen.

 

„Fiebererzeugende Arzneimittel“
  • Amphotericin B
  • Ampicillin
  • Antithrombin III
  • Atropinsulfat
  • Bleomycinsulfat
  • Calciumdobesilat
  • Carbimazol
  • Carbamazepin
  • Cefalosporine (fast alle)
  • Chinidin
  • Chinin
  • Chlorpromazin
  • Colistin
  • Diltiazem
  • Diphenylhydantoin
  • Dobutamin
  • Famotidin
  • Filgrastin
  • Fludarabin
  • Halothan
  • Levothyroxin
  • Methyldopa
  • Minocyclin
  • Nifedipin
  • Nitrofurantoin
  • Oxprenolol
  • Pamidronat
  • Pegaspargase
  • Penicillin G
  • Pentazocin
  • Phenytoin
  • Procainamid
  • Procarbazin
  • Propicillin
  • Ranitidin
  • Streptomycin
  • Sulfamethizol
  • Teicoplanin
  • Ticarcillin/Clavulansäure
  • Vancomycin

 

Thermoregulation spielt verrückt

Einige Arzneistoffe verringern die Wärmeableitung, verengen die Hautgefäße oder steigern die Wärmeproduktion. Nicht nur Arzneimittel, sondern auch Rauschdrogen verursachen auf diesem Wege massive Hyperthermien. Teilweise können sie die Körpertemperatur auf über 43°C steigern – so auch das Amphetaminderivat MDMA, besser bekannt als Ecstasy. Bei derartigen Temperaturen gerinnt das körpereigene Eiweiß und die Muskulatur wird irreversibel geschädigt.

Besonders Stoffe mit parasympatholytischer oder sympathomimetischer Wirkung können die Temperatur in die Höhe treiben. Folgende Stoffe drehen gern am Temperaturregler:

  • Levothyroxin-Natrium
  • Atropin, Hyoscyamin
  • trizyklische Antidepressiva
  • Antiallergika

Das Fieber senken

Lässt ein Arzneimittel bei einem Patienten die Temperatur steigen, sollte es nach ärztlicher Rücksprache sofort abgesetzt werden. Dies ist die einfachste und effizienteste Kausaltherapie. Das Pharmakon sollte dann gegen eines aus einer anderen Stoffklasse ausgetauscht werden. Wenn jedoch ein Wechsel aus therapeutischen Gründen nicht möglich ist, muss die Temperatur mit anderen Arzneistoffen gesenkt werden.

Infrage kommen fiebersenkende Analgetika wie Paracetamol oder Acetylsalicylsäure. Das potenteste Antipyretikum Metamizol ist wegen seltener, aber schwer wiegender Nebenwirkungen erst Mittel der zweiten Wahl. Alternativ kann ein Therapieversuch mit Antihistaminika oder Corticosteroiden sinnvoll sein.

 

Literatur

  1. Bastigkeit, M., Fit für den Notfall, Reed Elsevier München 2002
  2. Bastigkeit, M., Rauschgifte, Govi Verlag Eschborn 2003
  3. Gallant, C., et al., Drug-induced fever caused by hydroxyurea. Apropos of 3 new cases, Ann Med Interne (Paris) 149(2) (1998) 59 - 61.
  4. Jeong, S.H., et al., The characteristics of clozapine-induced fever. Schizophr Res. 56(1-2) (2002) 191 - 193.
  5. Le Jeunne, C., et al., Fever caused by metapramine. Diagnosis of fever caused by psychotropic drugs, Ann Med Interne 139(1) (1988) 29 - 30
  6. Mackowiak, P.A., Drug fever: mechanisms, maxims and misconceptions. Am J Med Sci 294(4) (1987) 275 - 286.
  7. Zingman, B.S., Fever after cytotoxic therapy of chronic lymphocytic leukemia. Cancer Invest 17(4) (1999) 292 - 295.

 

Anschrift des Verfassers
Matthias Bastigkeit
Dorfstraße 83
23815 Geschendorf

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