Pharmazie
Alglucerase zur Behandlung des
Morbus Gaucher
Serie Neue Arzneistoffe
Morbus Gaucher oder
Glycosylcerebrosidlipidose ist eine seltene familiäre
Lipidspeicherkrankheit mit einer Akkumulation von
abnormen Glucocorebrosiden im retikuloendothelialen
System (RES). Von den in Deutschland vermuteten 4000
Patienten sind weniger als 200 bekannt. Als Symptome
stehen Hepatosplenomegalie (Leber- und
Milzvergrößerung) mit Thrombozytopenie, Verfärbung der
Haut, Knochenläsionen und Anämie im Vordergrund.
Als Ursache der Erkrankung wird ein Defekt des
lysosomalen Enzyms Glucocerebrosidase angenommen, das
normalerweise Glucocerebroside zu Glucose und Ceramid
abbaut. Die Erkrankung wird autosomal rezessiv vererbt
und führt meist schon in der frühen Kindheit zu
klinischen Symptomen. Als charakteristische Befunde
lassen sich Anhäufungen von Glucocerebrosiden in den
Retikuloendothelzellen von Milz, Leber, Lymphknoten und
dem Knochenmark nachweisen. Die Zellen weisen eine
unterschiedliche Form auf und besitzen einen oder mehrere
exzentrisch angeordnete Kerne (Gaucher-Zellen).
Die bisherigen Therapieansätze beim Morbus Gaucher
beschränkten sich auf eine symptomatische Behandlung wie
die Splenektomie zur Besserung der Symptome eines
Hypersplenismus sowie bei schwer betroffenen Patienten
auf Leber- und Knochenmarkstransplantationen. Seit Januar
1995 steht Alglucerase, eine modifizierte Form der
nativen Glucocerebrosidase, zur
Dauersubstitutionsbehandlung bei Patienten mit
gesicherter Diagnose des Morbus Gaucher Typ I zur
Verfügung. Die neurologischen Komplikationen bei den
sehr seltenen Typen II und III können durch Alglucerase
kaum beeinflußt werden, da das Enzym die
Blut-Hirn-Schranke nur unzureichend passiert.
Die Dosierung erfolgt nach der klinischen Symptomatik mit
Einstiegsdosen bis zu 60 E/kg KG alle zwei Wochen
(entspricht 120 E/kg KG pro Monat). Klinische Studien
belegen eine gute Verträglichkeit und Wirksamkeit der
Alglucerase mit einer deutlichen Verbesserung der
Lebensqualität der Patienten. Da allerdings bei
hochdosierter Gabe (60 E/kg KG alle zwei Wochen) die
Mannoserezeptoren für Alglucerase auf den Makrophagen
schnell gesättigt sind und das Enzym eine Halbwertzeit
von maximal zehn Minuten besitzt, wird alternativ zur
Hochdosistherapie je nach Schweregrad der Erkrankung und
Ansprechen des Patienten eine
Hochfrequenz-Niedrigdosistherapie (2,3 E/kg dreimal
wöchentlich, entspricht 28 E/kg KG pro Monat) empfohlen.
Alglucerase stellt als Kausaltherapie des Morbus Gaucher
eine echte Innovation dar. Aufgrund des extrem hohen
Bedarfs an Placenta zur Gewinnung der Substanz wurde die
Expression des Glucocerebrosidase-Gens in Ovarzellen des
chinesischen Hamsters forciert. Das rekombinante Produkt
Imiglucerase ist äquipotent zur Alglucerase, HCG-frei
und wird aufgrund seiner besseren Verfügbarkeit
zunehmend das Placentapräparat ersetzen. Imiglucerase
von der Firma Genzyme ist derzeit nur in den USA
zugelassen und verkehrsfähig. Die europäische Zulassung
im zentralen Verfahren (EMEA) soll noch in diesem Jahr
beantragt werden.
Für einen 60 kg schweren Patienten entstehen beim
Einsatz der geringsten Einstiegsdosis von 30 IU
Alglucerase/kg KG alle zwei Wochen jährliche
Therapiekosten von etwa 500 000 DM (circa 11 DM/IU bei 60
kg KG). Da das Präparat das bisher einzige
kausaltherapeutische Konzept zur Behandlung des Morbus
Gaucher ist, kann der Einsatz bei gesicherter Diagnose
nicht kontrovers diskutiert werden, wohl aber die Kosten
aufgrund der Arzneimittelpreisverordnung.
PZ-Artikel von Barbara Peruche und Martin Schulz,
Eschborn
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