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Ein Gel soll chronische Wunden heilen

21.10.2002  00:00 Uhr

Ein Gel soll chronische Wunden heilen

von Christian Wetzler, Mainz

Die Aufklärung der physiologischen Grundlage von Wundheilungsmechanismen ermöglicht es neuerdings, auf molekularer Ebene gezielt in Heilungsprozesse einzugreifen. Wissenschaftler der Saint Louis University im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri haben nun ein Gel entwickelt, das Wunden deutlich schneller heilen lässt. Klinische Studien sind bereits geplant.

Insbesondere die Wunden von Diabetikern sich häufig therapieresistent. Durch pathophysiologische Veränderungen kann sich kein Granulationsgewebe bilden und die Reepithelialisierung, das heißt das Zusammenwachsen der Wundränder durch Proliferation epidermaler Zellen, unterbleibt. Folglich führt bereits ein Bagatelltrauma zu einer schlecht heilenden Wunde. Diabetiker leiden vor allem im Fußbereich an chronischen Wunden. Der Kliniker spricht vom diabetischen Fuß. Da diese Ulzerationen unter Umständen über Monate oder Jahre nicht verheilen, ist in vielen Fällen eine Amputation unumgänglich. Mediziner schätzen, dass allein in Deutschland jährlich 28.000 Fußamputationen auf diabetische Ulzerationen zurückzuführen sind.

Neben dem diabetischen Fuß spielen zwei weitere Prototypen chronischer Wunden aus klinischer Sicht eine wichtige Rolle: venöse Ulzerationen und Druckulzerationen. Bei ersteren handelt es sich um Wundheilungsstörungen infolge einer venösen Insuffizienz. Druckulzerationen, die auch als Dekubitus bezeichnet werden, sind hingegen auf trophische Störungen durch Gefäßkompression und lokale Ischämie zurückzuführen. Insbesondere bei Bettlägrigkeit kommt es an Körperstellen zu nicht heilenden Ulzerationen, an denen die Haut unmittelbar auf dem Knochen liegt.

Neue Therapiestrategien entwickelt

Weltweit leiden rund 2 Prozent der Bevölkerung an Wunden mit gestörtem Heilungsverlauf. Durch die erhöhte Lebenserwartung rechnen Epidemiologen in Zukunft mit einer deutlich steigenden Inzidenz. Auf Grund der wachsenden klinischen Bedeutung haben Kliniker in Zusammenarbeit mit der Industrie neue Therapiestrategien entwickelt, die gezielt in das Wundheilungsgeschehen eingreifen. Seit den achtziger Jahren nutzen Dermatologen das Verfahren der Hauttransplantation. Dennoch hat die Transplantation von Haut und Hautäquivalenten einige Nachteile. Allogene Transplantate neigen dazu, vom Immunsystem des Patienten abgestoßen zu werden. Hinzu kommt, dass infektiöse Erreger übertragen werden können. Autologe Transplantate hingegen sind aufwändig in der Herstellung und stets mit einer Biopsie verbunden, was bei Patienten mit Wundheilungsstörungen wiederum ein Problem darstellt.

Tiermodelle und Zellkulturstudien lieferten in den letzten Jahren zahlreiche fundamentale Erkenntnisse und revolutionierten das Verständnis von physiologischen und pathophysiologischen Wundheilungsprozessen. Wie sich herausstellte, dirigieren zahlreiche Wachstumsfaktoren komplexe Vorgänge wie Reepithelialisierung und Narbenbildung. Die Funktionen dieser Eiweißstoffe sind äußerst vielseitig: Sie locken unterschiedliche Zelltypen in das Wundgewebe, stimulieren deren Proliferation, fördern die Angiogenese und regulieren die Synthese und den Abbau des Bindegewebes. Daher testeten Forscher die Wirkung von topisch applizierten Wachstumsfaktoren auf die Wundheilung. Der seit Januar 2000 in Deutschland unter dem Handelsnamen Regranex® erhältliche humane thrombozytäre Wachstumsfaktor PDGF-BB eignet sich zur Therapie von diabetischen Ulzera am Fuß. Auch bei Dekubitalgeschwüren scheint die Behandlung mit dem Wachstumsfaktor erfolgversprechend. PDGF-BB stimuliert im Granulationsgewebe Makrophagen und Fibroblasten, die ihrerseits den Wundheilungsprozess vorantreiben.

Zudem konnten Forscher mit weiteren Wachstumsfaktoren erste Erfolge in klinischen Studien erzielen. Erfolg versprechend ist der ebenfalls topisch applizierbare Granulozyten/Makrophagen-Kolonie-stimulierende Faktor GM-CSF. Gleiches gilt für die Behandlung von Druckulzerationen und venösen Ulzerationen mit dem Fibroblastenwachstumsfaktor FGF beziehungsweise dem epidermalen Wachstumsfaktor EGF.

Smad3 bremst Heilungsverlauf

Die These, dass bestimmte im Wundmilieu freigesetzte Wachstumsfaktoren den Heilungsprozess abbremsen können, war anfangs umstritten. Im Jahr 1999 untersuchten Mediziner des staatlichen Institute of Health im US-amerikanischen Bethesda ein Protein namens Smad3. Die Forscher fanden heraus, dass die Wunden von Mäusen mit ausgeschalteten Smad3-Gen deutlich schneller verheilen: Anstatt nach fünf Tagen waren die Wunden bereits nach zwei Tagen vollständig reepithelialisiert. Das Smad3-Protein spielt eine wichtige Rolle bei der Signalweiterleitung des so genannten transformierenden Wachstumsfaktors TGF-b in das Innere der Zelle. Diesen Wachstumsfaktor sezernieren zahlreiche Zellen, die an der Wundheilung beteiligt sind.

Schaltet man TGF-b aus, hat das verschiedene Wirkungen: TGF-b hemmt die Proliferation von Keratinozyten. Fehlt dieser Wachstumsfaktor, läuft die Reepithelialisierung schneller. Verglichen mit normalen Mäusen verkleinerten sich die Wundflächen bei Smad-3-defizienten Mäusen dementsprechend schneller. Zum anderen wird der pathologisch erhöhte Einstrom von Monozyten, den Dermatologen in chronischen Wunden beobachten, abgebremst. Die Wissenschaftler vermuten, dass hierdurch die Wunde schneller in die regenerative Phase übergehen kann. Im Gegensatz zu den zahlreichen anderen Wachstumsfaktoren hemmt TGF-b also den Heilungsprozess.

Neues Gel beschleunigt Wundheilung

Diese Ergebnisse hat das Team um Jung Huang, Professor für Biochemie und Molekularbiologie an der Saint Louis University, aufgegriffen. Die Forscher entwickelten ein Gel, das einen synthetischen TGF-b-Antagonisten enthält. Mit dem Gel behandelte Wunden waren nach 26 Tagen vollständig, unbehandelte Wunden nur zu 70 Prozent abgeheilt, berichteten die Wissenschaftler in der August-Ausgabe des Fachjournals FASEB (Band 10, Seite 1269).

Der Antagonist verringert die Aktivität von TGF-b in der Wunde. Ähnlich wie durch das Ausschalten des Smad3-Gens hemmt der Antagonist die abbremsende Wirkung von TGF-b auf die Teilung von Keratinozyten: Die Wunde wächst also schneller zu. Insbesondere bei chronischen Wunden verspricht sich Huang Erfolge, da hier die Reepithelialisierung und damit die Hautregeneration unterbleibt.

Daneben entdeckten die Forscher einen weiteren Effekt: Aus den mit dem TGF-b-Antagonisten behandelten Wunden bildeten sich deutlich weniger Narben, denn vermutlich stimuliert TGF-b auch die Kollagensynthese.

Die hypertrophe Struktur von Narben kommt durch eine überschießende Synthese von extrazellulärer Matrix im Bereich des verwundeten Gewebes zu Stande. Durch die Blockade von TGF-b produzieren lokale Fibroblasten weniger Matrixproteine und das Erscheinungsbild des Narbengewebes wirkt aus kosmetischer Sicht deutlich unauffälliger. Der klinische Nutzen des neutralisierenden Antikörpers ist allerdings beschränkt: Das hohe Molekulargewicht lässt den Antikörper nur schlecht durch Gewebe penetrieren und hat einen raschen proteolytischen Abbau zur Folge. Daher entwickelten die Forscher einen niedermolekularen Peptid-Antagonisten.

Nach Meinung der Wissenschaftler lässt sich durch Blockade des TGF-b-Signals die Narbenbildung - beispielsweise nach einem Kaiserschnitt – entscheidend reduzieren. „Wir planen klinische Studien in nächster Zukunft“, berichtet Huang. Zudem forscht seine Arbeitsgruppe zurzeit an der Weiterentwicklung des TGF-b-Antagonisten.

Auch bei andere Indikationen verspricht sich Huang Erfolge. Durch Injektion des Wirkstoffs wollen die Forscher die Bildung von Gewebsfibrosen verhindern, die zum Beispiel bei Nephritiden und Zirrhosen auftreten. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist alles noch sehr hypothetisch“, betont Huang, „aber es gibt keinen Grund, warum es nicht funktionieren sollte.“

Perfekte Wundheilung

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe der Saint Louis University werden durch einen völlig anderen experimentellen Ansatz gestützt. Seit einigen Jahren erforschen Wissenschaftler um Paul Martin vom University College in London die embryonale Wundheilung. Dabei handelt es sich um ein rein artifizielles Untersuchungsobjekt, da es natürlicher Weise im Mutterleib nicht zu einer Verletzung der Haut kommt. Der Grund für derartige Untersuchungen: Die Wundheilung im Embryo verläuft perfekt, die Hautregeneration erfolgt zügig, vollständig und stets ohne Narbenbildung. Wissenschaftler suchen nun nach den molekularen Grundlagen für dieses erstaunliche Regenerationsvermögen. Huang entdeckte, dass der narbenlose Heilungsverlauf von deutlich reduzierten TGF-b-Konzentrationen im Wundgewebe begleitet ist. Top

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