Pharmazie

Apotheker und die Anfänge der Chlorgewinnung
Obgleich Chlor in den vergangenen Jahren wegen seiner gesundheits- und umweltschädigenden Wirkungen in die Kritik geraten ist, zählt es dennoch zu den wichtigsten chemischen Grundstoffen. In der Bundesrepublik werden jährlich drei Millionen Tonnen Chlor produziert. Wieviel Mühe es kostete, diesen uns heute selbstverständlichen und lästigen Stoff erstmals zu gewinnen, ist kaum noch vorstellbar. Carl Wilhelm Scheele hatte 1771 erstmals das Chlor durch die Einwirkung von Braunstein auf Salzsäure hergestellt. Salzsäure wurde zu jener Zeit meist durch die Reaktion von Schwefelsäure mit Kochsalz gewonnen. Zunächst betrachteten Wissenschaftler Chlor nicht als Element, sondern als Salzsäure in höherer Oxidationsstufe. Erst dem englischen Chemiker Humphry Davy gelang 1810 der Nachweis, daß Chlor ein eigenständiges Element ist.
Schon bald nach seiner Entdeckung wurde Chlor zum Bleichen von Textilien genutzt. Scheeles beiläufig geäußerte Beobachtung von der zerstörerischen Wirkung des Chlors auf Pflanzenfarbstoffe revulotionierte die Bleicherei innerhalb weniger Jahrzehnte so nachhaltig, daß der traditionelle Beruf des Bleichers verschwand.
Als einer der ersten suchte der französische Chemiker und Vater der chemischen Bleicherei, Claude Louis Comte Berthollet, nach möglichst einfachen Wegen, dieses Element herzustellen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten setzte er Kochsalz, Schwefelsäure und Braunstein miteinander um und entwickelte gemeinsam mit anderen Chemikern eine Apparatur, bei der das entstehende Chlorgas in einer mit Wasser gefüllten "pneumatischen Tonne" aufgefangen und gelöst wurde. Der Apotheker Friedrich Albert Carl Gren brachte das Verfahren 1790 nach Deutschland.
Auch Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770 bis 1837) interessierte sich für die Herstellung von Chlor, Chlorwasser und Chlor-Alkaliverbindungen. 1804 und im ersten Band seines "Handbuchs der Färberkunst von 1814 beschrieb er drei Vorrichtungen zur Fabrikation von Salzsäure. Eine deutliche Verbesserung der Chlorgewinnung gelang 1824 dem Augsburger Apotheker Johann Gottfried Dingler. Er verbesserte eine seit 1810 in der Kattunmanifaktur arbeitende Einrichtung zur Herstellung von Chlor und Chlorkalk dahingehend, daß größere Mengen problemlos hergestellt und aufgefangen werden konnten.
Etwa zeitgleich mit den Bemühungen um die Chlorgewinnung suchten Wissenschaftler in ganz Europa nach Wegen zur Herstellung von Soda (Natriumcarbonat). Die Verbindung war in Seifensiedereien ebenso begehrt wie in Färbereien und Glashütten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Soda zumeist in zwei Phasen nach dem Leblanc-Verfahren hergestellt, wobei Salzsäure als Nebenprodukt anfiel. Die Salzsäure entwickelte sich bald zu einem ökologischen Problem, denn sie wurde über Schornsteine an die Umwelt abgegeben und verwandelte die Umgebung einer Fabrik in eine Mondlandschaft.
Man suchte daher nach einer sinnvollen Nutzung des Abfallproduktes und verarbeitete es zu Chlor und Bleichkalk. Die englischen Chemiker Walter Weldon und Henry Deacon entwickelten 1866 und 1868 Verfahren zur großtechnischen Herstellung von Chlor aus Chlorwasserstoff. Während Weldon noch Braunstein als Oxdationsmittel einsetzte, nutzte Deacon Luftsauerstoff am Kupfer-II-Chlorid-Katalysator. Chlor wurde so zu einer preiswerten Chemikalie, die sehr bald eine wichtige Rolle bei der Entstehung der chemischen Industrie spielen sollte.
Heute erfolgt die Herstellung großtechnisch meist durch Elektrolyse von gelöstem Kochsalz (Steinsalz) oder Kaliumchlorid. Das Chlorgas wird zur Herstellung von Chlorkalk in pulvrigen gelöschten Kalk geleitet, der drei bis vier Prozent überschüssiges Wasser enthält. Chlor ist Ausgangsstoff oder Bestandteil von Hypochloriten, Chloraten, Salzsäure, Phosgen, Vinylchlorid, Lösungsmitteln, Insektiziden, Farbstoffen und Arzneimitteln. Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, die jahrzehntelang als Treibmittel in Spraydosen und Kältemittel in Klimaanlagen verwendet wurden, werden für den Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre verantwortlich gemacht. Ihr Einsatz geht daher seit Jahren zurück. Auch bei der Papierherstellung bemüht man sich um Ersatz für das Chlor.
Ausführliche Literaturangaben entnehmen Sie bitte der Druckausgabe der Pharmazeutischen Zeitung.PZ-Artikel von Christoph Schümann, Hamburg © 1996 GOVI-Verlag
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