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Erlanger Forscher spülen Stoffe durch die Haut

12.08.2002  00:00 Uhr

MIKRODIALYSE

Erlanger Forscher spülen Stoffe durch die Haut

von Wolfgang Kappler, Homburg

Erstmals haben Wissenschaftler einen Test entwickelt, mit dem sich die Konzentration durch die Haut dringender Fremd- und Schadstoffe in vivo messen lässt, bevor die Substanzen im Blutkreislauf landen.

Die so genannte Mikrodialyse kann unter anderem der chemischen, pharmazeutischen und kosmetischen Industrie beim Unbedenklichkeitsnachweis für neue Substanzen und Wirkstoffe helfen. Sie liefert aber auch im Bereich der Arbeits- und Umweltmedizin und Toxikologie sicherere Daten als Versuche an Tieren, Gewebeproben und Hautzellkulturen.

Fremdstoffe können über den Verdauungstrakt, die Lunge oder die Haut in den Körper gelangen. Während unser Geruchssinn den Körper bei der Wahrnehmung verdächtiger Gerüche in Alarmbereitschaft versetzt und der Geschmackssinn uns vor dem Verspeisen verdorbener Nahrung bewahrt, gibt es für die Haut kein solches Frühwarnsystem. Aufgabe des bis zu zwei Quadratmeter großen Organs ist es, den Körper vor unkontrolliertem Flüssigkeitsverlust zu bewahren und vor Infektionen und Vergiftungen durch Fremdstoffe zu schützen.

Die zunehmende Zahl synthetischer Substanzen hat deutlich gemacht, wie sensibel die Haut mitunter reagiert. Die wachsende Zahl durch Hauterkrankungen berufsunfähig gewordener Menschen und Allergiker spricht Bände. Umso wichtiger ist bei der Herstellung neuer Stoffe der Nachweis einer möglichen Gesundheitsgefährdung. Ein wichtiger Teilaspekt ist dabei die Frage, in welchen Konzentrationen der Stoff die schützende Hornschicht der Haut durchdringt.

Zwar gibt es bereits Verfahren zur Abschätzung der Resorptionsquote, beispielsweise Diffusionskammern, die Bestimmung von chemischen Stoffen im Blut oder Urin und verschiedene Tierversuche, die Aussagekraft dieser Tests sei jedoch nur mit Einschränkungen zu bewerten, meint Professor Dr. Hans Drexler vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen. Er und seine Mitarbeiter suchten deshalb nach Alternativen. Drexler modifizierte dazu die seit 1991 im Bereich der Haut eingesetzte Mikrodialyse soweit, dass sie erstmals für den beschriebenen Zweck anwendbar ist. Testpersonen wird dazu auf der Unterarminnenseite eine Kanüle in die Haut eingeführt und im Bereich zwischen Nervengeflecht und Blutgefäßen circa drei Zentimeter weit durch die Haut geschoben, bis sie wieder austritt. An der Kanüle hängt ein feiner Kapillarschlauch, dessen Mantel aus einer semipermeablen Membran besteht. Durch deren Poren können über die Haut aufgenommene Stoffe eintreten.

"Beim Herausziehen der Kanüle wird die Kapillarmembran in die Haut gezogen", erklärt Drexlers Mitarbeiter Gintautas Korinth. Durch die Kapillare wird nun eine Trägerflüssigkeit gepumpt, während die Testsubstanz auf der Haut darüber aufgetragen wird. Der chemische Stoff dringt durch die Haut ein, wandert durch die Membran in die Kapillare und landet mit der Trägerflüssigkeit in einem Sammelgefäß für die anschließende Analyse.

Der Vergleich der Stoffkonzentration in der Auffangflüssigkeit mit jener auf der Haut erlaubt unter anderem Rückschlüsse darauf, wieviel Substanz in der Haut verblieben oder von ihr bereits metabolisiert worden ist. Auch Aussagen über ein mögliches Entzündungspotenzial der Substanz sind möglich, sofern man weitere Einflüsse auf und in der Haut und die Stoffeigenschaften in die Überlegungen mit einbezieht.

Erste Tests zur Wirksamkeit einer Hautschutzcreme erbrachten ein verblüffendes Resultat. Korinth: "Im Vergleich zu unbehandelter Haut drang unter Einwirkung einer Hautschutzcreme etwa fünfmal mehr Schwefelkohlenstoff durch die Haut". Das bedeutet: Der vermeintliche Schutz wurde in sein Gegenteil verkehrt. "Solche Präparate dürften eigentlich nicht behaupten, dass sie vor Aufnahme von schädlichen Stoffen durch die Haut schützen", kritisieren die Erlanger Forscher. Weil die zweite Wirkung von Hautschutzcremes aber die Förderung der Hautregeneration ist, kommt ihnen aber trotzdem eine große Bedeutung zu. Ebenso konnten die Erlanger Forscher zeigen, dass Hautpflegecremes bei intakter Haut überhaupt keine Wirkung haben: "Es gilt genau abzuwägen und zu prüfen. Techniken wie die Mikrodialyse sind daher wichtig". Das neue Verfahren hat einen weiteren Vorteil. Drexler: "Der unmittelbare Vergleich von am Menschen gewonnenen Daten mit Ergebnissen aus Tierversuchen ermöglicht es, die Übertragbarkeit zu prüfen und hilft zu klären, inwiefern solche Versuche sinnvoll und unumgänglich sind. Dies könnte darin münden, dass wir weniger Tierversuche brauchen". Top

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