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Dissoziationsverhalten von schnell wirksamen Insulinmutanten

25.07.2005  00:00 Uhr
Molekülsimulation

Dissoziationsverhalten von schnell wirksamen Insulinmutanten

von Bernd Rupp, Birte Brandt und Hans-Dieter Höltje, Düsseldorf

Schnell wirksame Insuline wie Insulin Lispro, Aspart und Glulisin weisen verglichen mit Humaninsulin ein verändertes Dissoziationsverhalten auf. Eine Computersimulation eröffnet nun einen neuen Erklärungsansatz für dieses unterschiedliche Verhalten.

Insulinmutanten mit schnellem Wirkungseintritt wie Insulin Lispro, Aspart und Glulisin haben eine große Bedeutung in der Therapie des Diabetes mellitus erlangt. Ihre strukturellen Änderungen im Vergleich zum Humaninsulin, dem so genannten Wildtyp, sind nur marginal. Beim Insulin Lispro sind lediglich die Positionen der Aminosäuren Lysin und Prolin miteinander vertauscht worden. Im Humaninsulin befinden sich beide Aminosäuren in der B-Kette mit den Sequenznummern 28 (Prolin) und 29 (Lysin), im Insulin Lispro dementsprechend mit den Sequenznummern Lysin-28 beziehungsweise Prolin-29. Im Insulin Aspart ist das Prolin-28 gegen die saure Aminosäure Asparaginsäure ausgetauscht worden. Bei Insulin Glulisin findet sich statt der basischen Aminosäure Lysin-29 die saure Aminosäure Glutaminsäure, während nun an der Sequenznummer 3B anstatt eines Asparaginsäureamids ein Lysin ist.

Alle Änderungen haben keinen Einfluss auf die räumliche Gestalt des Insulinmoleküls, da es sonst zur Beeinträchtigung der Bindung an den Insulinrezeptor und damit zu einer Wirkungsabnahme käme. Insofern ist der schnellere Wirkeintritt ein rein pharmakokinetisches Phänomen. Insulin wird in Form eines Hexamers aus den Speichervesikeln freigesetzt. Diese müssen zunächst in Dimere und anschließend in die Monomere dissoziieren, da ausschließlich das monomere Insulinmolekül an den Rezeptor binden kann. Bei den schnell wirksamen Insulinmutanten ist die Stabilität der oligomeren Formen des Insulins deutlich verringert, weshalb die Wirkform Insulinmonomer rascher im Blut auftritt.

Um genauere Erkenntnisse über das gegenüber Humaninsulin geänderte Auflösungsverhalten zu gewinnen, wurde die Dissoziation der Dimere von Humaninsulin und der Mutanten in einer Computersimulation untersucht. Dabei wurden die Proteinmoleküle bei 37°C in einer Kochsalzlösung betrachtet, um möglichst reale Bedingungen zu schaffen. Da selbst bei den schnellsten heute verfügbaren Rechnern die Kapazitäten bei weitem nicht für eine Betrachtung der Dissoziation der Dimere in Realzeit ausreichen, muss in das System eingegriffen werden. Um die Verhältnisse nicht zu unrealistisch werden zu lassen, wurde den Wassermolekülen ein kinetischer Impuls zugeordnet und gleichzeitig das Proteinrückgrat eines der beiden Insulinmonomere fixiert, während sich das andere Monomer unter dem »Beschuss« der Wassermoleküle aus dem Dimer entfernen kann. Damit Platz für die Bewegung des flexiblen Monomers vorhanden ist, wurde das Insulin-Dimer in einen langgestreckten Quader (Maße: 5 x 5 x 15 nm) platziert. Das fixierte Monomer wird an einer Wand »befestigt«, der Kasten wird dann mit physiologischer Kochsalzlösung aufgefüllt und die Wassermoleküle in Richtung der längeren Achse beschleunigt. Die Temperatur des Systems wird auf 310 K (37°C) eingestellt, der Druck beträgt 1 Atmosphäre. Die Dauer der Moleküldynamiksimulation beträgt maximal vier Nanosekunden, da alle untersuchten Insulinmutanten bis dahin in Monomere zerfallen sind. Wie erwartet, ist die Dissoziationszeit beim Wildtyp-Humaninsulin am längsten. Die Unterschiede sind signifikant (Tabelle).

 

Tabelle: Vergleich der Insulinmutanten

Insulinmutanten Wirkungseintritt (Min) Dissoziationszeit in den Simulationen (ps) Lispro 5-15 2360 Aspart 5-15 2460 Glulisin 10-20 2800 Humaninsulin 30-60 3170

  

Alle drei Mutanten sind entweder vollständig oder fast vollständig dissoziiert, während beim Humaninsulin das Dimer noch ziemlich intakt ist. Eine exakte Bestimmung des Dissoziationszeitpunktes kann durch die Betrachtung der die Dimere stabilisierenden Wasserstoffbrücken erfolgen. Wenn keine Wasserstoffbrücken mehr existieren, gelten die Dimere als getrennt. Die in der Tabelle genannten Zeitpunkte sind auf diese Weise bestimmt worden und sind im Einklang mit den experimentellen Fakten.

Zwar ist mit der durchgeführten Simulation keine weitergehende Information generiert worden, dennoch bietet sie eine Erklärung für das gegenüber dem Wildtyp veränderte Verhalten der Insulinmutanten. Wie bereits erwähnt, ist die dreidimensionale Faltung der Mutanten verglichen mit Humaninsulin nicht verändert. Die Stabilität der Dimere wird daher vor allem durch die antiparallele Anordnung der α-Helix und des β-Faltblattstranges der B-Ketten beider Monomere sowie der zusätzlichen Verknüpfung der Faltblattstränge durch vier Wasserstoffbrücken bestimmt.

Die Verschiebung des Prolins vom C-terminalen Ende weg ­ auch wenn es nur eine Position ist ­ hat eine Versteifung des Peptidrückgrates zur Folge. Diese beruht auf den besonderen Helix- und Betastrang-brechenden Eigenschaften des Prolins. Der Verlust an Flexibilität macht das Lispro-Dimer anfälliger für Scherkräfte wie sie im Blutplasma durch die Fließbewegung des Blutes auftreten. Humaninsulin kann diesen Kräften flexibel ausweichen, sodass die Lebensdauer des Dimers verlängert wird.

Die Insulinmutante Aspart ist dadurch gekennzeichnet, dass Prolin durch die saure Aminosäure Asparaginsäure ersetzt wurde. Mit dem unmittelbar benachbarten Lysin-B29 bildet sich ein neutrales Ionenpaar aus. Im Humaninsulin-Dimer ist Lys-B29 an einer Salzbrücke mit Glu-B21 des anderen Monomers beteiligt, die bei Aspart nicht mehr auftritt. Der Verlust dieser das Dimer stabilisierenden Interaktion hat eine schnellere Umwandlung der R- in die T-Konformation des Dimers und damit eine schnellere Löslichkeit des Insulins Aspart zur Folge. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden.

Die geringste Löslichkeit besitzt das R6-Hexamer des Humaninsulins. Die lange α-Helix am N-Terminus der B-Kette (B1-B19) behindert den Zutritt von Wassermolekülen zur zinkhaltigen zentralen Achse des Hexamers. In der T-Konformation ist das Endstück dieser Helix (B1-B9) entfaltet. So kann Wasser leichter eindringen, die Zinkkationen hydratisieren und damit den Auflösungsprozess in Gang setzen. In den Speichervesikeln liegt Humaninsulin wahrscheinlich als R6-Hexamer vor. Erst nach Umwandlung in das T6-Hexamer erfolgt der Zerfall in die Dimere und anschließend in die Monomere. Da Aspart-Insulin kein R6- sondern ein T6-Hexamer ausbildet und die Dimere zusätzlich nicht durch die Glu-Lys-Salzbrücke stabilisiert werden, erklärt sich das schnelle Auflösungsverhalten.

Bei der Glulisin-Insulinmutante verursacht die Verschiebung der basischen Aminosäure Lysin und die Einführung einer zusätzlichen Glutaminsäure eine signifikante Verstärkung der Dipoleigenschaften, sodass Wassermoleküle vermehrt Wechselwirkungsmöglichkeiten finden. Auch die Anzahl der das Dimer stabilisierenden Wasserstoffbrücken ist zu Beginn der Simulation erhöht. Allerdings sind diese nur wenig beständig und lösen sich rascher auf. Insgesamt gesehen ist die Dissoziationszeit aber signifikant länger als bei Lispro oder Aspart, was mit dem eher moderaten Einfluss der Veränderung von Dipoleigenschaften auf die Dimer-Dissoziation gut korreliert.

Fazit

Die Molekülsimulationen bieten eine Erklärung für das gegenüber Humaninsulin veränderte Auflösungsverhalten der drei Insulinmutanten. Dies ist allerdings nur mittels eines »Tricks«, der laminaren Beschleunigung der Wassermoleküle, möglich. Auf reale Verhältnisse übertragen entspricht dieses Szenario den im fließenden Blut auftretenden Scherkräften, sodass die Ergebnisse des Simulationsprotokolls durchaus auf In-vivo-Abläufe übertragbar sind.

 

Herrn Professor Dr. Hartmut Morck zum 60. Geburtstag gewidmet.

 

Dank: Ein Teil der Ergebnisse wurde im Rahmen des Wahlpflichtpraktikums WS 2004/2005 von den Studierenden Devid El-Wahsch und Suayip Aslan erarbeitet. Top

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