Mit Enzymen zu chiralen Produkten |
14.07.2003 00:00 Uhr |
Enzyme sind unverzichtbare Helfer bei der chemischen und pharmazeutischen Produktion. Mit ihrer Hilfe kann selektiv nur ein Enantiomer eines chiralen Arzneistoffs hergestellt werden. Ein interessantes Produktionsverfahren wurde am Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf entwickelt.
Besonders wichtige Enzyme sind Redox-Enzyme, die ihre Funktion als Energielieferanten jedoch nur mit Hilfe eines Co-Enzyms erfüllen können. Allerdings sind solche Co-Faktoren aufwendig und teuer in der Herstellung, so dass eine wirtschaftliche Nutzung von Redox-Enzymen bislang nicht möglich war. Den beiden Biotechnologinnen Professor Dr. Maria-Regina Kula und Dr. Martina Pohl von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität gelang es, mit Hilfe eines weiteren Enzyms, den Co-Faktor wie eine Batterie immer wieder aufzuladen und damit die enzymatische Redoxreaktion für eine industrielle Produktion nutzbar zu machen. Das innovative Konzept der beiden Wissenschaftlerinnen wurde mit dem Deutschen Zukunftspreis für Technik und Innovation 2002 ausgezeichnet.
Chirale Arzneistoffe gezielt herstellen
Interessant ist das Verfahren bei der Herstellung chiraler Arzneistoffe, denn oft passt nur eines der Enantiomere in die dreidimensional ausgeformte Andockstelle eines Enzyms oder Rezeptors und ist somit therapeutisch wirksam (Eutomer). Das andere Enantiomer (Distomer) kann den Körper teilweise belasten oder kann sogar toxisch wirken. Die Natur bevorzugt in der Regel eine Form eines chiralen Moleküls, so beispielsweise L-Aminosäuren, da nur die aus ihnen aufgebauten Proteine die räumliche Struktur einnehmen können, die für Lebensfunktionen wichtig ist.
Bei Laborsynthesen – sofern keine gezielten Vorkehrungen getroffen werden – entsteht das Racemat, das zu gleichen Teilen aus beiden Enantiomeren besteht. Eine Möglichkeit, selektiv eines der beiden Enantiomere zu erhalten, besteht in einer Racemattrennung im Anschluss an die Synthese. Dies ist jedoch ein teures und sehr aufwendigen Verfahren. Um direkt zu einer enantioselektiven Synthese zu kommen, können Enzyme eingesetzt werden, die über ihr aktives Zentrum auch chirale Strukturen erkennen.
Für Wirkstoffsynthesen sind die Oxidoreduktasen besonders interessante Enzyme, da sie Carbonylgruppen in unterschiedlichen Konfigurationen reduzieren können. Damit können ganz unterschiedliche Produktklassen erzeugt werden, beispielsweise L-Aminosäuren aus Alpha-Ketosäuren durch reduktive Aminierung.
Die biologische Batterie aufladen
Viele Enzyme brauchen jedoch, um die gewünschte Leistung zu erbringen, Co-Faktoren wie Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid (NADH), das reversibel Wasserstoff sowie Elektronen überträgt. Das Co-Enzym wird bei der Reaktion verändert und ist daher kein Katalysator im engeren Sinne, sondern einer „biologischen Batterie“ vergleichbar, die bei der Reaktion entladen wird.
Solange ein Enzym in seiner natürlichen Umgebung im Organismus arbeitet, ist das Entladen der „biologischen Batterien“ kein Problem, da andere Enzyme im Organismus dafür sorgen, dass verbrauchte Batterien wieder aufgeladen werden und erneut zur Verfügung stehen. Isoliert man jedoch ein Redox-Enzym, um es für spezielle technische Anwendungen zu nutzen, dann wird der 1:1-Verbrauch (bezogen auf die Produktmoleküle) der teuren „biologischen Batterien“ zum Problem. An eine großtechnische Verwendung der Oxidoreduktasen war deshalb nicht zu denken, bis es gelang, den Co-Faktor in einen sich kontinuierlich regenerierenden Prozess einzubauen.
Besonders elegant ist die Methode der beiden Wissenschaftlerinnen: Sie setzen Formiatdehydrogenase als Hilfsenzym ein, das Ameisensäure zu Kohlendioxid und Wasser spaltet, wobei ein Elektron frei wird, das die biologische Batterie wieder auflädt. Somit kann ein Kreislauf zwischen Hilfsenzym und Co-Enzym erzeugt werden. Als Lademoleküle werden lediglich die preiswerte Ameisensäure und nur geringe Mengen des teuren Co-Faktors benötigt. Das Reaktionsprodukt Kohlendioxid entweicht als Gas und verschiebt somit das Gleichgewicht in Richtung des erwünschten Endproduktes.
Eine Hefe stand Modell
Die Formiatdehydrogenase wird aus der Hefe Candida boidinii gewonnen, die das Enzym als Selbstschutz herstellt, um nicht an ihrer eigenen Ameisensäure zu verenden. Allerdings stellte sich heraus, dass das Enzym für großtechnische Zwecke zu empfindlich ist. Als Grund für die Instabilität im Oxidationsprozess wurde die Aminosäure Cystein entlarvt, die in der Nähe des aktiven Zentrums der Formiatdehydrogenase lokalisiert ist. Indem statt Cystein Serin in die Gensequenz eingebaut wurde, konnte die Stabilität des Enzyms um den Faktor 100 verbessert werden.
Damit war die gentechnisch veränderte Formiatdehydrogenase zwar stabil, für den großtechnischen Einsatz jedoch zu reaktionsträge. Um das Enzym für ihren Bedarf zu optimieren, wandte das Team um Kula ein besonderes Verfahren an, eine „gerichtete Evolution“, die Schritte der natürlichen Evolution nachahmt: Im Labor wurde das Gen für die Formiatdehydrogenase an verschiedenen Stellen zufällig verändert und damit eine vielfältige Bibliothek unterschiedlicher Mutanten erzeugt, aus der nach einem aufwendigen Screening vier Varianten ausgewählt wurden, die um den Faktor 1,6 bis 1,9 schneller arbeiten als das natürliche Vorbild aus der Hefe.
Die enzymatisch gesteuerte Redoxreaktion wird industriell bereits vielfach eingesetzt, um Aminosäuren wie L-tertiär-Leucin oder Vorstufen für ACE-Hemmer herzustellen, aber auch um gezielt chirale Katalysatoren zu gewinnen, die beispielsweise für die Synthese von Proteaseinhibitoren benötigt werden.
Chirale Verbindungen Dreh- und Angelpunkt dieser Verbindungen ist das so genannte chirale Zentrum, abgeleitet von dem griechischen Wort „cheir“ für „Hand“. Dabei handelt es sich um ein Kohlenstoff-Atom, das als Substituenten vier verschiedenen Atome oder Atomgruppen trägt. Moleküle, die ein solches asymmetrisches Kohlenstoff-Atom besitzen sind optisch aktiv: Sie drehen die Schwingungsebene des linear polarisierten Lichtes.
Zu jedem asymmetrischen Molekül gehört ein spiegelbildlich gleiches Molekül. Diese beiden Enantiomere lassen sich – wie die rechte und linke Hand – nicht zur Deckung bringen (Chiralität = Händigkeit). Bei einigen Arzneistoffen ist ein Enantiomer für die therapeutische Wirkung verantwortlich (Eutomer), das andere verursacht unerwünschte Wirkungen (Distomer). In der Regel entsteht bei der Arzneistoffsynthese das Razemat, das heißt das Gemisch beider Enantiomere im Verhältnis 1:1.
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