Pharmazie
Die auf Tierversuchen
basierende Hoffnung, man könne einen körpereigenen
Schlafstoff und damit auch ein ideales Schlafmittel
finden, hat sich nicht bewahrheitet. Weder die am Markt
befindlichen synthetischen Hypnotika noch Phytopharmaka
erfüllen die Kriterien eines idealen Präparates gegen
Schlafstörungen. So lautete das Fazit der Vorträge von
Dr. Ulrich Voderholzer, Mediziner aus Freiburg, und
Professor Dr. Adolf Nahrstedt, Pharmazeutischer Biologe
aus Münster, anläßlich des 25. Fortbildungsseminars
der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg Ende März
in St. Blasien-Menzenschwand.
Ein ideales Schlafmittel sollte eine rasche
Wirkung haben, das Schlafprofil nicht beeinträchtigen,
keine Toleranz entwickeln. nicht kumulieren, keinen
Hangover-Effekt und nur minimale Nebenwirkungen zeigen.
Doch "ein solches Präparat gibt es nicht und wird
es auch nicht geben", so die Analyse von
Voderholzer.
Man mußte erkennen, daß nicht nur ein endogener Stoff
für den Schlaf zuständig ist, sondern rund 100,
darunter Serotonin, Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und
das Zirbeldrüsenhormon Melatonin. Außerdem weiß man
inzwischen, daß der Schlaf-Wach-Rhythmus einer komplexen
Steuerung unterliegt. So sind serotonerge Neurone für
den Tiefschlaf und adrenerge für den REM-(Rapid Eye
Movement-)Schlaf verantwortlich.
Diese Erkenntnisse führten unter anderem dazu, daß die
Serotonin-Vorstufe L-Tryptophan als
"natürliches" Schlafmittel eingesetzt wurde,
da man ein Defizit an Tiefschlaf mit Serotonin-Mangel
korrelieren konnte. Die klinischen Studien verliefen
allerdings enttäuschend. Auch Melatonin konnte bisher
nicht seine Wirksamkeit bei gestörtem Schlaf beweisen.
Zur Zeit werden neben pflanzlichen Sedativa
hauptsächlich Benzodiazepine, Zopiclon und Zolpidem,
Antihistaminika und sedierende Antidepressiva eingesetzt.
Ebenso wie die Barbiturate binden auch die Benzodiaz
epine sowie Zolpidem und Zopiclon an dem
GABA-Ionenkanal-Komplex, allerdings an unterschiedlichen
Bindungsstellen. Hauptvorteil der Benzodiazepine
gegenüber den Barbituraten ist nach Voderholzer, daß
sich bei ersteren im Falle einer Dosissteigerung ein
Wirkungsplateau entwickelt, während bei den Barbituraten
die Wirkung parallel zur Dosierung steigt.
Als Hauptproblem der Benzodiazepine sieht Voderholzer die
Gefahr der Toleranzentwicklung und der Abhängigkeit.
Weil REM-Schlaf und Tiefschlaf unterdrückt werden, kommt
es häufig zur Rebound-Insomnie, das heißt zur
Verschlechterung des Schlafes unter das Ausgangsniveau.
Nach Voderholzer sollten bei den Benzodiazepinen nur
schnell anflutende und schnell eliminierbare Vertreter
wie Midazolam und Triazolam verwendet werden.
Für Zolpidem und Zopiclon ist nach Meinung des
Referenten die Toleranzentwicklung noch nicht abgeklärt.
Daher ist auch bei diesen Substanzen vor dem unkritischen
Einsatz zu warnen, zumal bei höheren Dosen auch
Schlafprofiländerungen erwartet werden müssen. Als
ungeeignet stufte Voderholzer die Antihistaminika ein, da
sie bei rascher Toleranzentwicklung nur geringe
Wirksamkeit zeigten.
Als wichtige Alternativen zu den Benzodiazepin-Hypnotika
nannte Voderholzer die sedierenden Antidepressiva. In
klinischen Studien zeigten diese Substanzen gute
Erfolge bei primärer Insomnie. Sie haben weder ei
n Abhängigkeitspotential noch einen
Hangover-Effekt. Allerdings müssen EKG, Blutbild und
Leberwerte regelmäßig kontrolliert werden.
Phytopharmaka: schlafanstoßend und -fördernd
Nach Nahrstedts Auffassung sind die von der
Kommission E positiv monographierten Drogen
Baldrianwurzel, Hopfenzapfen, Melisse, Passionsblumen,
Johanniskraut und Kawa-Rhizom durchaus als Mittel gegen
Einschlafstörungen zu nutzen, da sie beruhigend,
schlafanstoßend und -fördernd wirken. In
pharmakologischen Modellen, wie bei der Messung der
Spontanmotilität der Maus, hätten sie ihre sedierende
Wirkung belegt.
Auch bezüglich der Wirkstoffe habe man inzwischen
weitere Erkenntnisse erhalten. So sind die unbeständigen
Valepotriate des Baldrians als Prodrugs zu werten,
während die aus Valtrat entstehenden Aldehyde, wie zum
Beispiel das Baldrinal, für die Wirkung verantwortlich
gemacht werden können, da sie mit Amino-, Hydroxyl- und
Thiol-Gruppen biogener Substanzen interagieren können.
Wichtig für die Beurteilung der Fertigarzneimittel ist
nach Nahrstedt, inwieweit aus den Packungsangaben der
Gehalt der jeweiligen Darreichungsform abgeleitet werden
kann, und ob die Dosierungsangaben mit der Empfehlung der
Kommission E übereinstimmen. Insbesondere bei
Kombinationspräparaten entsprächen die Dosierungen in
der Regel nicht den Empfehlungen.
Während bei Baldrianprodukten inzwischen valide
klinische Studien vorliegen, ist nach Meinung von
Nahrstedt die Datenlage für Hopfen, auch bezogen auf das
Wirkungsprinzip, sehr dürftig. Trotzdem habe die
Kommission E eine positive Monographie verabschiedet. Bei
Melisse ist die Datenlage deutlich besser. Das
ätherische Öl, über die Atemluft inhaliert, zeigte bei
Mäusen eine deutliche Reduktion der Spontanmotilität.
Auch hier wird die Wirkung den ungesättigten
Aldehydfraktionen zugeordnet. Bei der über Jahre als
Alkaloiddroge bezeichneten Passiflora wird das
Wirkprinzip inzwischen dem Chrysin zugeordnet. Es soll
die Benzodiazepinrezeptoren besetzen.
Das Wirkprinzip des Kawa-Rhizoms von Piper methysticum
ist dagegen zur Zeit noch nicht abgeklärt, obwohl in
mehreren klinischen Untersuchungen die Wirksamkeit auch
im Vergleich zu Benzodiazepinen belegt werden konnte.
Kawapyrone wirken antikonvulsiv muskelrelaxierend,
lokalanästhesierend, negativ inotrop, chronotrop und
bathmotrop, spasmolytisch und antiinflammatorisch sowie
antinocizeptiv. Vorteil des Kawa-Rhizoms: Es wirkt nicht
euphorisierend. Außerdem ist nachgewiesen, daß die
Bioverfügbarkeit der wahrscheinlich für die Wirkung
verantwortlichen Kawapyrone aus dem pflanzlichen Extrakt
besser ist als bei der Applikation der Reinsubstanzen.
PZ-Artikel von Brigite M. Gensthaler und Hartmut Morck,
Sankt Blasien
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