Pharmazeutische Zeitung online

Einfache Strukturen mit hohem Potenzial

17.04.2000  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-VerlagPOLYPHENOLE

Einfache Strukturen mit
hohem Potenzial

von Gunter Metz, Blaubeuren

Polyphenole kommen in allen Pflanzen vor. Ihr Molekülspektrum reicht von einfachen Phenolderivaten und Phenolsäuren bis hin zu hochmolekularen Strukturen. Als Antioxidantien sind sie auch mengenmäßig in unserer Nahrung die größte Phytaminklasse.

Polyphenole ist der Sammelbegriff für Substanzen mit mehr als einer Phenolgruppe. Einige tausend Verbindungen kommen in Pflanzen vor, nicht alle sind strukturell völlig aufgeklärt, auch nicht in Nahrungspflanzen. Normalerweise werden täglich mehrere Gramm Polyphenole mit der Nahrung aufgenommen, bei strikten Veganern schätzt man die Zufuhr sogar auf bis zu 20 Prozent des Trockengewichts.

Alle phenolischen Phytamine sind Antioxidantien und in ihrem antioxidativen Potenzial überwiegend mit Vitamin C und E vergleichbar. Sie können freie Radikale abfangen und die Lipidperoxidation durch Chelatisierung von Metallionen verhindern. Neben diesen antiatherogenen Effekten hemmen zahlreiche Polyphenole auch die Plättchenaggregation, so dass ihnen bei der Prävention der Koronaren Herzkrankheiten ein besonderer Stellenwert zukommt.

Polyphenole sind aber mehr als nur Antioxidantien. Sie hemmen die Phospholipase A2 und damit die Arachidonsäure-Freisetzung, die Synthese chemotaktischer und entzündungsfördernder Mediatoren und sind auch potente Inhibitoren der Lipoxygenase (LOX) und Cyclooxygenase (COX). Ihr antikarzinogenes Wirkspektrum wird durch die Fähigkeit erweitert, die Bioverfügbarkeit von Nahrungskarzinogenen und deren metabolische Aktivierung zu reduzieren.

Phenolsäuren wirken antikarzinogen

In fast allen Früchten und in Gemüse kommen reichlich einfache Phenolderivate und Phenolsäuren vor allem vom Typ der Zimt- und Benzoesäure vor (1). Die wichtigsten Zimtsäurederivate sind die Kaffee-, Ferula- und Chlorogensäure sowie die Benzoesäurederivate Gallussäure (3,4,5-OH) und ihr zyklisches Dimer, die Ellagsäure. Letztere kommt fast ausschließlich als Bestandteil höher molekularer Strukturen wie Catechinen in Tee oder Ellagtanninen in Trauben, Erd- und Himbeeren sowie einigen Nüssen vor.

Für die Wirksamkeit beim Menschen ist die freie Carbonsäuregruppe unerheblich. Auch Phenolalkenylamide wie Piperin aus Pfeffer oder Capsaicin aus Chili und Paprika zeigen ein hohes Wirkpotenzial.

Bevorzugte Substituenten sind Methyl- und Methylengruppen oder glykosidische Reste. Nicht nur hieraus ergibt sich eine hohe Strukturvielfalt, Phenolsäuren können auch zyklische Produkte bilden wie die Cumarine oder mit reaktiven Molekülen kondensieren. Bestes Beispiel dafür ist die Rosmarinsäure, ein Kondensationsprodukt aus Kaffeesäure und Dihydroxyphenylessigsäure. Die Wirkung hängt weitgehend von Anzahl und Stellung der Phenolgruppen und ihrer Substituenten ab.

Trotz vieler Untersuchungen zu Struktur-Wirkungsbeziehungen ist eine pauschale Aussage zum Wirkpotenzial hinsichtlich Anzahl und Stellung der Phenolgruppen nicht möglich. Hier scheinen individuelle Strukturelemente ein höheres Gewicht zu haben. Vorwiegend kommt jedoch die Phenolgruppe in Position 4 am Aromaten vor, ein weiterer Methoxyrest an Position 3 steigert die antioxidative Wirkung deutlicher als eine freie Phenolgruppe an gleicher Stelle.

Phenolderivate und Phenolsäuren wirken im Experiment antikarzinogen (2). Ihr antikarzinogener Mechanismus umfasst die Hemmung der Phase-I-Enzyme wie Cytochrom P 450 (CYP 450) und die Aktivierung von Phase-II-Enzymen wie Glutathion-S-Transferase (GST). Die Substanzen fördern aber auch Konjugationsreaktionen und vermindern die metabolische Aktivierung. Kaffee- und Ferulasäure wirken sowohl als Inhibitoren indem sie die Karzinogenbildung aus Vorläufern vermeiden, als auch indem sie Karzinogenreaktionen mit kritischen zellulären Makromolekülen blockieren.

Beide hemmen in vitro im Ames-Test die Mutagenität und in vivo die Entwicklung von Lungen- und Hauttumoren. Nach topischer Anwendung von jeweils 10 µmol Chlorogen-, Kaffee- oder Ferulasäure wird die TPA-induzierte epidermale Ornithindecarboxylase-(ODC)-Aktivität um 25, 42 und 46 Prozent gehemmt. Dieser Effekt ist allerdings deutlich schwächer als beim Curcumin mit einem Hemmeffekt von 91 Prozent. Zum Vergleich: Im gleichen Modell betrug der Hemmeffekt von Ascorbylpalmitat (4 µmol) etwa 68 Prozent.

Kaffee-, Ferula- und Chlorogensäure sind potente Blocker der Nitrosaminbildung unter Reaktion zu C-Nitroso-Phenolderivaten. Beim Verzehr nitratreicher Gemüsesorten dürften sie daher neben Vitamin C eine wichtige Rolle spielen. Gemessen an Trolox, einem wasserlöslichen Vitamin-E-Derivat, liegt analytisch ihre antioxidative Gesamtkapazität (TEAC) deutlich höher als die von Vitamin C und E (siehe Tabelle 1). Bekannt ist auch, dass Kaffeesäure LOX nicht kompetitiv hemmt und die Prostaglandinsynthetase-Aktivität dosisabhängig bremst oder stimuliert. Die gesteigerte Bildung von PGE2 wurde für einige Kaffeesäureestern beschrieben. Alle Phenolsäuren hemmen die Leukotrien-B4-Bildung, Rosmarinsäure besonders effektiv auch 5-Hydroxyeicosatetraensäure (HETE), und besitzen daher auch ein antientzündliches Potenzial.

Tabelle 1: Trolox-Äquivalente antioxidative Kapazität (TEAC) von Kaffee- und Chlorogensäure

Antioxidans TEAC Kaffeesäure 1,3 ± 0,01 Chlorogensäure 1,3 ± 0,02 Vitamin C 1,0 ± 0,02 Vitamin E 1,0 ± 0,03

Ellagsäure reagiert als Radikal-Scavenger indem es Addukte mit Karzinogenen bildet, die zu inaktiven Tetrolen weiter reagieren. Auch Ellagsäure hemmt die gemischten Monooxygenasen und kann die GST-Aktivität verdoppeln. Sie vermindert die Aktivität von CYP 450 und Arylhydrocarbonhydroxylase (AHH) in Leber, Lunge, Ösophagus und Epidermis, hemmt an Maus und Ratte in den gleichen Organen die chemisch induzierte Tumorbildung und hemmt die Mutagenität von Aflatoxin B1. Besonders interessant ist der Befund, dass durch Einschluss der Ellagsäure in b-Cyclodextrinpolymere ihr pulmonärer Spiegel erhöht werden kann.

Piperin und Capsaicin hemmen unspezifisch die CYP-450-Isoenzyme und verlängern die Barbital-induzierte Schlafzeit der Maus. Dihydrocapsaicin ist anscheinend der reaktive Metabolit von Capsaicin. Es bindet an zelluläre Makromoleküle, auch an die hepatische CYP 2E1. Offenbar katalysiert CYP 2E1 bei Ratten die Oxidation von Dihydrocapsaicin zum Phenoxylradikal, das umgekehrt CYP 2E1 inaktiviert.

Cumarine und Furocumarine

Cumarine sind zyklische Produkte aus Zimtsäuren und typische Phytoalexine. Einfache Derivate des Stammgerüsts wie Umbelliferon kommen in vielen Nahrungspflanzen wie Süßkartoffel, Koriander, Möhren oder Kamille vor, zumeist als Glykoside auch in Waldmeister, Lavendel, Pfefferminze, Muskat, Salbei oder Zimt. Eher spezialisiert sind Furocumarine vom Psoralen- oder Angelicintyp anzutreffen, die bisher in zwanzig Pflanzenarten gefunden wurden. Meist liegen beide Typen nebeneinander vor, besonders in Sellerie, Petersilie, Pastinak, Möhren, Feigen oder Maulbeeren. Weitere Strukturen wie Cumestanderivate werden später bei den Phytestrogenen vorgestellt.

Vor allem Furocumarine besitzen eine Reihe ungünstiger Eigenschaften. Am bekanntesten ist der phototoxische Effekt von Bärenklau. Trotzdem ist die Forschung an dieser Gruppe stark interessiert, da Cumarine ausgeprägt Phase-I-Enzyme inhibieren. Psoralen, Methoxsalen und Bergapten vermindern stark den hepatischen CYP-450-Spiegel und die Aktivität wichtiger Enzyme wie Aminopyrin-N-demethylase, Benz[a]pyren- oder Hexobarbitalhydroxylase, ebenfalls AHH und Ethylmorphin-N-demethylase an der Maus.

Auf Grund einer kompetitiven Hemmung nimmt die Monooxygenaseaktivität ab (3). Die Inaktivierung von CYP 450 kann mit einer Induktion mikrosomaler Enzyme einhergehen. Während Psoralen nur die Monooxygenaseaktivität hemmt, inaktivieren Methoxsalen und Bergapten hepatische Enzyme, die Arzneistoff metabolisieren.

Die Inaktivierung von CYP 450 durch Psoralene erfordert NADPH und Sauerstoff, was für die Hemmung über reaktive Metabolite spricht. Anscheinend ist dieser Effekt auf Psoralene mit unsubstituiertem Furanring begrenzt. Trioxsalen, ein 4,5’,8-methylsubstituiertes Psoralen, zeigt keinen Hemmeffekt, möglicherweise mangels metabolischer Aktvierung auf Grund sterischer Hinderung der Furomethylgruppe.

Propolis, die Wunderdroge

Propolis ist der Baustoff der Bienenwaben und kommt normalerweise nicht in Honig vor. Eine aktive Komponente von Propolis, wenn nicht sogar der ausschließliche Wirkstoff, ist der Kaffeesäurephenethylester. Von ihm ist bekannt, dass er antimitogene, antivirale, antikarzinogene, entzündungshemmende und immunmodulatorische Eigenschaften besitzt. In verschiedenen Tests hemmte der Ester das Wachstum transformierter Zellen, veränderte ihren Redoxstatus, induzierte Apoptose und hemmte Enzyme wie ODC, LOX oder Proteintyrosinkinase. Der Ester unterdrückt auch die Lipidperoxidation und besitzt ein beträchtliches antioxidatives Potenzial.

Wie neuere Studien belegen, hemmt Kaffeesäurephenethylester effektiv die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-kB der an vorstehenden Effekten überwiegend als Tumorpromotor beteiligt ist (4). Der Effekt auf NF-kB ist spezifisch und wie bei Curcumin anscheinend ausschließlich den Radikalfänger-Effekten des Esters zuzuordnen. Am erstaunlichsten dabei ist, dass eine so einfache Struktur so breite und tiefgreifende Wirkungen hat.

Noch gilt Propolis eher als Geheimtipp unter Laien, die Forschung befasst sich jedoch bereits intensiv mit Untersuchungen zu Struktur-Wirkungsbeziehungen. Erstes Ergebnis: Durch gezielte Strukturveränderung kann der Hemmeffekt noch erheblich gesteigert werden (4).

Im Olivenöl ist mehr als nur Ölsäure

Olivenöl ist eine der Hauptkomponenten der mediterranen Diät, deren gesundheitlicher Wert außer Frage steht. Olivenöl enthält bis zu 84 Prozent Ölsäure und nur maximal 21 Prozent Linolsäure, eine einzigartige Fettsäurekomposition, der man lange die besonderen präventiven Effekte auf die Entwicklung von Koronaren Herzkrankheiten oder Krebs zuschrieb. Noch bedeutsamer ist jedoch, dass Olivenöl ein beträchtliches Spektrum an Polyphenolen bietet, deren Gesamtgehalt, je nach Qualität, bis zu 800 mg/kg reicht. Darunter sind einfache Phenolsäuren wie Vanillin- oder Kaffeesäure, Tocopherole, Anthocyanine, ebenfalls Flavonoide und andere Antoxidantien.

Als wichtigsten Inhaltsstoff in Olivenöl favorisiert man das Oleuropein, ein Secoiridoidglukosid. Oleuropein ist verantwortlich für den bitteren Geschmack der Oliven sowie die Bräunung der Olivenhaut und besitzt einige interessante Eigenschaften. Als Wirkprinzip gilt das durch Hydrolyse gebildete 3,4-Dihydroxyphenylethanol, auch Hydroxytyrosol genannt (5). Schon länger ist bekannt, dass die blutdrucksenkende Wirkung von Extrakten aus Olivenblättern vom Gehalt an Oleuropein abhängt. Oleuropein und Hydroxytyrosol sind potente Antioxidantien. Beide chelatisieren Metallionen und fangen freie Radikale ab.

Im In-vitro-Quenchingtest ist Hydroxytyrosol um zwei Zehnerpotenzen wirksamer als Oleuropein oder Vitamin C (Tabelle 2). Der Gehalt an diesen Polyphenolen erklärt auch, warum Olivenöl die Plättchenaggregation hemmt, die Eicosanoidbildung in aktivierten Leukozyten bremst oder in Makrophagen die Bildung von Stickstoffmonoxid (NO) aktiviert.

Tabelle 2: Quenching-Aktivität von
Oleuropein und Hydroxytyrosol

Antioxidans EC50*
Oleuropein 3,63 x 10-5 Hydroxytyrosol 2,60 x 10-7

Vitamin C 1,31 x 10-5 Vitamin E 5,04 x 10-6 *) bestimmt am 1,1-Diphenyl-2-picrylhydrazyl-Radikal (DPPH)

In vitro hemmten beide Phenole ausgeprägt eine Kupfersulfat-katalysierte Lipidperoxidation und, was noch viel wichtiger ist, erhielten den Gehalt an Vitamin E in den LDL.

Anstelle eines totalen Vitamin-E-Verlustes blieben mit 10-5 Mol Hydroxytyrosol 80 Prozent des anfänglichen Vitamin-E-Gehaltes in den LDL intakt. Eindrucksvoll ist auch der Hemmeffekt von Hydroxytyrosol auf oxidativen Stress im Caco-2-Zellmodell. Mit 100 µmol/l wird der durch Xanthinoxidase induzierte oxidative Stress völlig unterbunden, mit 250 µmol/l auch der von Wasserstoffperoxid (6). Erstaunlicherweise zeigt das um eine Phenolgruppe ärmere Ligustrosid bis 500 µmol/l keinerlei Effekte. Da nur Olivenöl bester Qualität (extra virgin) hohe Gehalte aufweist, womit etwa 30 bis 50 mg Polyphenole täglich aufgenommen werden können, sollte der Verbraucher den hohen Preis zumindest für die Zubereitung von Salaten nicht scheuen.

Einfaches Phenol, großes Potenzial

In der Thai-Küche wird das Rhizom von Languas galanga (Zingiberaceae) häufig als Ingwerersatz verwendet. Hieraus wurde ACA isoliert, ein ungewöhnliches Molekül mit zwei Acetoxygruppen, die für die Wirkung anscheinend essentiell sind. Bereits vor 25 Jahren entdeckten Wissenschaftler die antiulcerative Wirkung von ACA. Neuere Studien ergaben, dass ACA in geringsten Konzentrationen antikarzinogen wirkt.

Bereits 1,6 nMol inhibieren topisch induzierte Tumoren an der Haut von Mäusen um 44 Prozent. Die Substanz 4-Nitrosochinolin-1-oxid (4-NQO) führt an der Zunge der Ratte normalerweise zu einer Tumorrate von etwa 60 Prozent. Bereits 100 ppm ACA im Futter stoppten die Initiierungs- und Promotionsphase und es traten keine Zungentumoren auf. Andere Studien zeigen, dass ACA ebenfalls das Auftreten präkarzinogener Läsionen wie Dysplasie oder Hyperplasie hemmt.

Auf Grund seines exzellenten und breiten antikarzinogenen Wirkungsspektrums nimmt ACA unter den bekannten Phytaminen einen Spitzenplatz ein und sollte auch in der Chemoprävention über die Nahrung eine Schlüsselrolle spielen.

Literatur:

  1. Bravo, L., Polyphenols: Chemistry, dietary sources, metabolism, and nutritional significance. Nutr. Rev. 56 (1998) 317 - 333.
  2. Stich, H.F., Rosin, M.P., Naturally occurring phenolics as antimutagenic and anticarcinogenic agents. Adv. Exp. Med. Biol. 177 (1984) 1 - 29.
  3. Tinel, M., et al., Inactivation of human liver cytochrome P-450 by the drug methoxsalen and other psoralen derivatives. Biochem. Pharmacol. 36 (1987) 951 - 955.
  4. Natarajan, K., et al., Caffeic acid phenethylester is a potent and specific inhibitor of activation of nuclear transcription factor NFkb Proc. Natl. Acad. Sci. 93 (1996) 9090 - 9095.
  5. Visioli, F., Galli, C., The effect of minor constituents of olive oil on cardiovascular disease: New findings. Nutr. Rev. 56 (1998) 142 - 147.
  6. Manna, C., et al., The protective effect of olive oil polyphenol (3,4-Dihydroxyphenyl)-ethanol counteracts reactive oxygen metabolite-induced cytotoxicity in Caco-2 cells. J. Nutr. 127 (1997) 286 - 292.

Anschrift des Verfassers:
Dr. Gunter Metz
Auf dem Rucken 29
89143 Blaubeuren
Top

© 2000 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa