Innovative Technologien für moderne Arzneistoffe |
10.04.2000 00:00 Uhr |
Prionen-Erkrankungen, Iontophorese, Dendrimere und Drug-Delivery-Systeme: ein breites Spektrum an Themen während des 3. World Meeting on Pharmaceutics, Biopharmaceutics and Pharmaceutical Technology vom 3. bis 6. April in Berlin. Etwa 800 Teilnehmer waren der Einladung nach Berlin zum Kongress der Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik und der Association de Pharmacie Galénique Industrielle (APGI) gefolgt.
Rindfleisch aus England soll an deutschen Fleischtheken wieder verkauft werden. Doch seit den Schreckensbildern der an BSE erkrankten Rinder ist die Bevölkerung verunsichert. Ist britisches Beef gefährlich? Ohne auf diese politisch wie sachlich brisante Frage eindeutig zu antworten, stellte Professor Dr. Charles Weissmann, Neurogenetics Unit der Imperial College School in London, die Prinzipien der Prionen-Krankheiten vor.
Prionproteine sind falsch gefaltet und hoch infektiös
Scrapie bei Schafen, Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) bei Rinder, die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJD), das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom, die fatale familiäre Insomnie und Kuru des Menschen werden alle auf einen Erreger zurückgeführt: Nicht Bakterien oder Viren, sondern Proteine sollen nach jahrelanger Inkubationszeit die Krankheiten auslösen. Diese "Protein-only"-Hypothese stellte die wissenschaftliche Welt auf den Kopf. Wie kann sich ein Erreger ohne DNA oder RNA vermehren?
In den 80er Jahren erkannte man die Quelle der BSE-Seuche: Die Rinder bekamen Tiermehl aus Scrapie-kranken Schafen zu fressen. Das Futter wurde verboten. Unklar ist, so Weissmann, warum heute noch Rinder an BSE erkranken. Man erkannte, dass die Krankheit nicht nur von Schafen auf Rinder, sondern auch auf Katzen, Schweine und Menschen übertragbar ist. Das "Scrapie-Agens" erwies sich als außergewöhnlich resistent gegenüber Hitze oder Formaldehyd und überstand ionisierende und nicht ionisierende Strahlen problemlos. Nur Maßnahmen, die Proteine denaturieren, zerstörten auch diesen Erreger.
Der Forscher Stan Prusiner konnte das auslösende Prionprotein identifizieren und reinigen; er nannte es PrPSc. Wie man heute weiß, trägt jedes Wirbeltier die Gene für PrP. Es wird im Gehirn exprimiert und reift zum zellulären Prionprotein PrPc. Seine physiologische Funktion ist unbekannt. Wie jedes normale Protein wird PrPc von Proteasen zerlegt. Ändert es aber seine Konformation, entsteht das Protease-resistente PrPSc, erklärte Weissmann. Vermutlich wird PrPc mit Hilfe eines Chaperons entfaltet und faltet sich unter dem Einfluss eines PrPSc-Moleküls vermehrt in eine unlösliche b-Faltblatt-Struktur zurück.
Die Prionen-Hypothese wird gestützt von Untersuchungen an PrP-Knock-out-Mäusen. Diese Tiere können kein Prionprotein bilden, da ihnen das codierende Gen fehlt, und sind daher gegen Scrapie immun. Führt man das Gen wieder in das Erbgut ein, erkranken die transgenen Mäuse. Mit komplizierten Tiermodellen versucht man, den Weg der Prionen von der Peripherie, also vom Gastrointestinaltrakt bis zum Gehirn zu verfolgen. Nach Weissmanns Ansicht soll der Weg über PrP-bildende follikuläre dendritische Zellen und periphere Nervenzellen zu den zerebralen Neuronen führen.
Wie infektiös das modifizierte Prionprotein wirklich ist, zeigen Versuche mit kontaminierten Stahlinstrumenten. Es haftet so fest an deren Oberfläche, dass es nicht abgewaschen oder mit 10-prozentigem Formaldehyd zerstört werden kann. Wird ein Stahl-Stäbchen, das auch nur kurzzeitig mit infiziertem Gehirnmaterial in Kontakt kam, in das Gehirn von gesunden Mäusen eingepflanzt, sterben diese an Scrapie. Die Waschflüssigkeit ist nicht infektiös. Auch wenn das Modell wenig praxisnah ist: Die Angst vor dem tödlichen Agens im Beefsteak bleibt.
Mit Strom durch die Haut gejagt
Lipophile Arzneistoffe wie Hormone wandern aus Transdermalen Therapeutischen Systemen "freiwillig" durch die Haut in den Körper. Bei hydrophilen Molekülen muss man nachhelfen: Kleine Stromstärken können den Transport von ionisiertem Arzneistoff durch das Stratum corneum um den Faktor 1000 gegenüber einer passiven Diffusion erhöhen.
Das Verfahren, das seit langem erforscht wird, heißt Iontophorese. Professor Dr. Hans Junginger vom Centre of Drug Research in Leiden berichtete in der Maurice-Marie-Janot-Lecture beim APV-APGI-Kongress in Berlin über seine Arbeiten.
Der Arzneistoff-Influx ist dem angelegten Strom proportional. Dreht man den Strom ab, wandern auch keine Ionen mehr durch die Haut. Damit lässt sich die Arzneistoffwirkung gut steuern. Eine "Therapie nach Bedarf" könnte realisiert werden, allerdings nur mit hoch potenten Arzneistoffen, die in Mini-Mengen wirken. Die Menge, die maximal eingeschleust werden kann, hängt unter anderem von der Molekülgröße ab. Bei einem Molekulargewicht bis 300 kD sind es 20 bis 50 mg täglich, bei einem Gewicht von 1000 nur noch 2 bis 5 mg. Die Menge schrumpft auf 100 mg bei hochmolekularen Stoffen mit einem Gewicht über 5000 kD.
Als Testsubstanz stellte Junginger den Dopamin-(D2)-Agonisten Apomorphin vor. In-vitro-Studien erfolgten an einer neu entwickelten Diffusionszelle. Stromstärke und Influx durch das Stratum corneum korrelierten eng miteinander. In einer ersten Studie mit Parkinson-Patienten wurde die verabreichte Arzneistoffmenge mit der klinischen Wirksamkeit korreliert, zunächst bei stufenweiser intravenöser Injektion, dann bei iontophoretischer Applikation über eine Stunde. Dabei wurden relativ niedrige Plasmaspiegel erreicht. Diese können durch Penetrationsverstärker gesteigert werden, berichtete Junginger. Relevante Hautirritationen traten nicht auf.
Therapeutisch elegant wäre es, den Patienten mit Levodopa peroral einzustellen und nur die Feintherapie via Iontophorese vorzunehmen. Ideal, aber Zukunftsmusik ist ein gekoppeltes System. Ein Sensor-Chip könnte die Fingersteifigkeit als Maß für das Befinden des Patienten erfassen und diesen Befund elektronisch weitergeben an ein iontophoretisches Drug-Delivery-System, das dann bedarfsgerecht Arzneistoff abgibt. Voraussetzung für eine breite Anwendung sind miniaturisierte Systeme; diese werden bereits in der Phase II und III getestet.
"Umgekehrt" funktioniert die Iontophorese beim GlucoWatch-System, für dessen Erforschung Professor Richard Guy aus Genf den APV-Research-Award erhielt. "Glucose wird unblutig aus der Haut geholt und gemessen", erklärte Junginger. Dieser Sensor könnte gekoppelt werden mit einem Insulin-Abgabesystem.
In der Welt der Nanospären
Begeistert von den Möglichkeiten der Dendrimere war der Redner der FIP-Lecture, Professor Dr. Alexander T. Florence vom Centre for Drug Delivery Research der University of London. Er befasst sich seit Jahren wissenschaftlich mit kolloidalen Systemen.
Die meist unter 10 nm kleinen Dendrimere sind hoch verzweigte Polymere, die die Eigenschaften von Makromolekülen und Partikeln in sich vereinen. Je nach Synthese können das Innere und die äußere Hülle unterschiedliche Eigenschaften haben. Florence stellte die Synthese von Dendrimeren vor; dabei wird an einen "Kern" ein verzweigtes Glycin-Gerüst angebaut, an das weitere Ketten geknüpft werden. Je nach Zahl der Reaktionszyklen lassen sich Dendrimere mit 8, 16, 32 oder davon vielfachen primären Aminogruppen synthetisieren. Der chemische Aufbau bestimmt ihre Form und Größe sowie Viskosität, Hohlräume und Oberfläche, die hydrophob oder geladen sein können. Eine "präzise Geometrie im Nanometer-Bereich", schwärmte der Referent.
Manche Forscher vergleichen Dendrimere mit Bäumen oder Büschen in der Natur: Sie haben ein relativ großes Volumen mit Nischen im Inneren, in denen sich "Gäste" einnisten können. Daher eignen sich Dendrimere als Träger für Arzneistoffe und Gensequenzen. Sie werden auch in der Diagnostik eingesetzt oder dienen für technische Zwecke als Tonermaterialien oder Beschichtungsmaterial für Elektroden. Abhängig vom chemischen Aufbau werden hydrophile Arzneistoffe ins Innere eingelagert, hydrophobe Verbindungen eher an der Peripherie verankert. Die beladenen Nanopartikel können das Gefäßsystem verlassen und in Zellen penetrieren. Die größere Durchlässigkeit von tumorösen Gefäßen könnte man hier therapeutisch nutzen.
Lagern sich Dendrimere geordnet zusammen, entstehen Dendrone, typische Röhrchen mit einem Durchmesser von 20 nm und einer Länge von 140 bis 200 nm. Kationische Lipid-Lysin-Dendrone eignen sich zur Übertragung von Plasmid-DNA. Damit konnten wenn auch in geringem Ausmaß - Cos-7-Fibroblastenzellen transfiziert werden. Derzeit sucht man nach Dendronen mit höheren Transfektionsraten, berichtete Florence. Da man synthetisch präzise Strukturen bilden kann, bestehen gute Hoffnungen auf ein maßgeschneidertes Molekül. Problematisch ist allerdings noch die Zelltoxizität der Dendrimere.
Nach vorläufigen Daten konnte in vitro die Expression des Blutgerinnungsfaktors IX in Cos-7-Zellen nach dem Einbringen der Plasmide nachgewiesen werden. Florence wertet dies als Zeichen, dass Dendrimere sich als Vehikel für den Gentransfer eignen. Möglicherweise könnte hier wenn auch in weiter Ferne ein Ansatz für Hämophilie-Patienten liegen.
Beim Drug Delivery auf die Pharmakodynamik achten
Therapeutische Fortschritte beruhen oftmals auf der Kombination von neuen Wirkstoffen und geeigneten Freisetzungssystemen. Bislang sind die Erwartungen, die man in Drug-Delivery-Systeme (DDS) setzte, kaum erfüllt, sagte Professor Dr. Douwe Breimer vom Centre for Drug Research der Universität Leiden. Erhöhte Anforderungen an die präklinische und klinische Arzneimittelentwicklung erfordere die Zusammenarbeit von Industrie und wissenschaftlichen Instituten.
Die meisten DDS setzen eine definierte Dosis des Arzneistoffs über einen gewissen Zeitraum frei. Die Vorteile sind klar: Gleichmäßige Serumkonzentrationen reduzieren die Rate von Nebenwirkungen; die definierte und verlängerte Wirkdauer fördert die Patienten-Compliance. Doch Breimer kritisierte: Zu häufig werde nur die ausgeglichene Pharmakokinetik gelobt, zu selten auf die Pharmakodynamik und die tatsächlich erzielten therapeutischen Vorteile für den kranken Menschen geachtet. Nur wenn die Korrelation von Pharmakokinetik und -dynamik gut erforscht sei, könne man das optimale Konzentrations-Zeit-Profil für einen Arzneistoff definieren. Passende Drug-Delivery-Systeme sollten auch für neue Arzneistoffe entwickelt werden.
Je moderner die therapeutischen Ansätze, umso wichtiger ist die zielgenaue Freisetzung
von Arzneistoffen im kranken Gewebe oder direkt in den Zellen. Breimer nannte als Beispiel
die Gentherapie oder die Behandlung mit Antisense-Molekülen. Weitere Forschungsfelder
sind die Applikation von Peptiden und Proteinen auf peroralem Weg und die reversible
Beeinflussung von transmembranärem und parazellulärem Transport.
© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de