Pharmazie
Der neue Calciumantagonist Mibefradil blockiert selektiv die Calcium-T-Kanäle und soll deshalb deutlich weniger Nebenwirkungen haben als andere Wirkstoffe dieser Klasse. Nachdem sowohl die FDA als auch die in diesem Fall für die europäische Zulassung zuständige niederländische Behörde ein positives Votum zu Mibefradil abgegeben haben, rechnet der Hersteller Hoffmann-La Roche mit einer baldigen Markteinführung in Nordamerika und Europa. Indikationen sind vorerst Bluthochdruck und koronare Herzkrankheit (KHK). Wissenschaftler bei Roche hoffen, daß als dritte Indikation die Herzinsuffizienz hinzukommen wird.
Das Tetralinderivat Mibefradil ist nach Angaben von Roche der erste selektive T-Kanal-Blocker. T-Kanäle gehören zu einer Gruppe von sechs spannungsabhängigen Calciumkanälen, die bislang im menschlichen Gewebe beschrieben wurden. In der Herz- und Gefäßmuskulatur kommen offensichtlich nur die beiden Subtypen T und L vor, die sich durch die Dauer ihrer Öffnung und das zur Aktivierung notwendige Schwellenpotential unterscheiden. L-Kanäle (das L steht für long-lasting) werden erst bei einem höheren Schwellenpotential aktiv als T-Kanäle (transient) und bewirken einen längeren Calciumeinstrom.
Wie Dr. Jean-Paul Clozel von der Abteilung für präklinische Herz-Kreislauf-Forschung auf einer Pressekonferenz in Basel ausführte, treten T-Kanäle vor allem in peripheren und koronaren Gefaßmuskelzellen, in kardialen Vorhofzellen sowie am Sinus- und AV-Knoten auf. Auch in der Nebennierenrinde kommen sie gehäuft vor. Sie sind dort an der Regulation der Aldosteron- und Reninsekretion beteiligt sowie an der Produktion und Sekretion von Katecholaminen.
Die Wirksamkeit von Mibefradil sei vor allem im selektiven T-Kanal-Antagonismus begründet. Die Substanz bewirke eine sich langsam aufbauende periphere Vasodilatation und eine besonders ausgeprägte koronare Gefäßerweiterung, sagte Clozel weiter. Studienergebnissen zufolge senke sie den Blutdruck ebenso wirksam wie andere Calciumantagonisten, jedoch weniger abrupt.
Die Herzfrequenz werde bei Einnahme von 50 mg Mibefradil um drei bis vier Schläge gesenkt und bei 100 mg um zwölf Schläge, ergänzte Professor Dr. Gerd Bönner von der Universität in Köln, der klinische Studien zu Mibefradil geleitet hat. Die Reduktion der Herzfrequenz sei bei vorliegender Bradykardie (niedrige Herzschlagfrequenz) geringer. Nach Angaben von Bönner kann ein blutdrucksenkender Effekt ab einer Dosis von 25 mg beobachtet werden. Bei 50 mg beträgt er bereits 6 mm Hg, bei 100 mg um 14 mm Hg. Höhere Dosen bewirken nur einen geringfügig stärkeren Effekt, bei deutlich ansteigenden Nebenwirkungen. Das Medikament könne einmal täglich eingenommen werden, die Schwankungsbreite des antihypertensiven Effektes sei dabei gering (trough-to-peak-ratio bei etwa 80 Prozent). Die maximale Blutdrucksenkung werde nach etwa einer Woche erreicht.
Nach Bönners Erfahrungen mit insgesamt 2000 Patienten treten die für Calciumantagonisten typischen Nebenwirkungen bei Mibefradil seltener oder gar nicht auf. So habe er weder eine Sympathikusstimulation noch einen negativen inotropen Effekt (Verminderung der Herzkontraktilität) beobachtet und auch Beinödeme traten signifikant seltener auf. Die gute Verträglichkeit sei darauf zurückzuführen, daß keine L-Kanäle aktiviert werden, vermutet Bönner.
Aufgrund seiner antiischämischen und antianginösen Wirkung bei geringen Nebenwirkungen eigne sich Mibefradil auch zur Behandlung von KHK, sagte Professor Dr. Wolf Rafflenbeul von der Medizinischen Hochschule in Hannover. Die Blockade von T-Kanälen an den Koronargefäßen führe zu einer ausgeprägten Koronardilatation. Da durch die periphere Dilatation gleichzeitig die Nachlast gesenkt werde, sei eine maximale Sauerstoffversorgung ischämischer Myokardareale gewährleistet. Außerdem deuteten erste Untersuchungen darauf hin, daß die Substanz auch einen antiarteriosklerotischen Effekt habe.
Professor Dr. Erland Erdmann, Kardiologe an der Universität Köln, hofft, daß Mibefradil in Zukunft auch für die Indikation Herzinsuffizienz zugelassen werde. Alle Medikamente, die den peripheren Gefäßwiderstand und damit die Nachlast senken, das Herzminutenvolumen erhöhen und die Herzfrequenz moderat reduzieren, seien bei dem Krankheitsbild sinnvoll.
Andere Calciumantagonisten seien bei herzinsuffizienten Patienten zwar kontraindiziert. Da der neue Wirkstoff jedoch weder einen negativ-inotropen Effekt habe, noch die Synthese der Neurohormone (Noradrenalin, Aldosteron) steigere, könne er aufgrund seiner nachlastsenkenden Wirkung die Prognose bei Herzinsuffizienz verbessern. Nach Angaben des Kölner Kardiologen hat der T-Kanal-Antagonist in Versuchen die Überlebensrate von Ratten nach einem induzierten Myokardinfarkt erheblich gesteigert. Der Effekt sei vergleichbar mit dem von ACE-Hemmern.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Basel © 1996 GOVI-Verlag
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