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Forscher erfolgreich im Kampf gegen Sepsis

12.03.2001  00:00 Uhr

Forscher erfolgreich im Kampf gegen Sepsis

von Wolfgang Kappler, Homburg/Saar

Wenn Experten vom "Horror Autotoxicus" sprechen, meinen sie die Blutvergiftung und den septischen Schock. Als Folge großer Operationen oder der das Immunsystem schwächenden Chemobehandlungen fordert die Sepsis jährlich nach Angaben des statistischen Bundesamtes 7000 Tote. Inzwischen berichten Wissenschaftler von ersten Fortschritten, sowohl in Diagnostik als auch in der Therapie.

Führende Anästhesisten und Intensivmediziner wie der Münchener Oberarzt am Klinikum Großhadern, Dr. Josef Briegel, oder der Jenaer Professor Dr. Konrad Reinhart gehen von 150. 000 Todesfällen pro Jahr aus. Briegel: "In der Regel liegt der Sepsis eine andere Erkrankung wie beispielsweise Krebs zugrunde." Sie leiten ihre Schätzung von US-amerikanischen Daten ab. Danach schlagen die Behandlungskosten der Sepsis in Deutschland jährlich mit 5 Milliarden Mark zu Buche. Damit sei die Blutvergiftung kein Spezialistenthema mehr, sondern von hoher medizinischer, gesundheitspolitischer und auch ökonomischer Relevanz, meint Reinhart.

Weil die Sepsis nach dieser Einschätzung der Hauptkostenfaktor auf Intensivstationen ist, komme ihrer Früherkennung und Behandlung große Bedeutung zu. "In dieser Hinsicht ist in der Vergangenheit vieles gescheitert. Da aber Grundlagenforscher und zum Glück auch die Pharmaindustrie nicht locker ließen, können wir heute erste Erfolge vorweisen", sagt Reinhart.

Aussichtsreiche Kandidaten

Aussichtsreich sind derzeit drei Behandlungsverfahren, von denen zwei voraussichtlich in den kommenden zwölf Monaten zugelassen werden. Im Unterschied zu bislang eingesetzten Medikamenten ist ihre Wirksamkeit und ihr Nutzen durch umfassende Studien belegt.

Normalerweise ist der Körper durch Haut und Schleimhaut gut gegen Angriffe von außen geschützt. Wird dieser Schutzwall durch eine Wunde durchbrochen, können Staphylokokken, Streptokokken, Coli- und Fäulnisbakterien eindringen. Dann müssen sie jedoch mit dem erbitterten Widerstand ganzer Batterien von Abwehrzellen rechnen, die das Immunsystem mobilisiert, um eine Ausbreitung der Erreger über das Blut- und Lymphsystem zu verhindern.

Nach großen Operationen, bei einer Chemotherapie oder viralen Infektionen wie Aids liegt dieser Schutzmechanismus am Boden. Eindringlinge können sich ungehindert vermehren und überschwemmen und vergiften über den Blutkreislauf den gesamten Körper. Die Sepsis führt nach und nach zum Ausfall der Organe. Der rote Streifen, der sich manchmal von Wunden ausbreitet, ist keine Vergiftung des Blutes, sondern eine Entzündung der Lymphgefäße, die aber in eine Sepsis übergehen kann.

Antibiotika sollen die Erreger bezwingen. Die lebensbedrohende Überreaktion des Körpers, die sich zunächst in unspezifischem Fieber äußert, können sie aber nicht bremsen. Das eben sollen die neuen Verfahren leisten. Als Favorit gilt Hydrocortison. Damit konnten Wissenschaftler in klinischen Studien die Sterblichkeit von 65 auf 50 Prozent senken.

Hydrocortison bremst überschießende Redaktion des Immunsystems

Hydrocortison übernimmt in der Immunantwort eine wichtige Rolle. Bei septischen Patienten mit Organversagen wird das Stresshormon aber nicht mehr ausreichend von den in Mitleidenschaft gezogenen Nebennieren produziert. Auch ist das Körpergewebe nicht mehr empfindlich genug für seine Aufnahme. Briegel hat eingehend die Wirkung von Hydrocortison auf die Sepsis untersucht: "Die Verabreichung in Mengen, wie sie der Gesunde produziert, bewirkt, dass die Blutzirkulation deutlich früher in Gang kommt. Damit kann die Behandlung mit blutdrucksteigernden und gefäßverengenden Medikamenten verkürzt werden." Daneben reduziere Hydrocortison die im septischen Schock überschießende Entzündungsreaktion des Körpers.

Eine französische Multicenterstudie bestätigte im letzten Jahr die Erfahrungen des Müncheners. In der Intensivversorgung von Sepsispatienten haben die Mediziner daraufhin schnell auf die Ergebnisse reagiert. So verabreicht Reinhart in Jena Patienten mit Sepsisschock bereits routinemäßig Hydrocortison, und erhöht so ihre Überlebenschance.

Ganz so neu sind die Erfahrungen mit Hydrocortison allerdings nicht. Bereits 1957 startete man Versuche mit dem Hormon. "Weil es damals aber noch keine begleitende Intensivmedizin mit künstlicher Beatmung und Blutwäsche gab, und weil die eingesetzten Antibiotika noch nicht soweit entwickelt waren, verliefen die Studien negativ und der Therapieansatz wurde aufgegeben", sagt Briegel.

Aktiviertes Protein C

Reinhart rechnet damit, dass innerhalb eines Jahres zwei weitere vielversprechende Substanzen zur Verfügung stehen werden. Eines davon ist das gentechnisch hergestellte "aktivierte Protein C" der Firma Eli Lilly, das in einer von Dr. Gordon R. Bernard von der Vanderbilt Universität in Nashville geleiteten Studie mit 1690 Patienten die Sterblichkeit von 30 auf 24 Prozent reduzieren konnte. Die natürlich im menschlichen Körper vorkommende Substanz unterdrückt Entzündungen und verhindert die Blutgerinnung.

Sepsis-Patienten haben einen Protein-C-Mangel, den das Präparat mit dem Namen Zovant® ausgleichen soll (dazu auch: weiterer Beitrag). Zwar komme es unter der Behandlung zu Blutungen, sie seien aber kontrollierbar, versichern die Experten. Die Zulassung des Präparates ist für die USA, Europa und Australien beantragt. Reinhart rechnet damit, dass das Medikament in einem halben Jahr zur Verfügung stehen wird.

"Eine andere Möglichkeit besteht darin, Antikörper gegen den Tumornekrosefaktor (TNF) einzusetzen, der im Verlauf einer Sepsis von weißen Blutkörperchen freigesetzt wird", beschreibt er den dritten vielversprechenden Ansatz. Die Produktion des Botenstoffs in Leber, Nieren, Gaumenmandeln und dem Zentralnervensystem wird von Bakterienwand-Bestandteilen oder Tumorzellen angeregt. Im geschwächten Körper von Sepsis-Patienten attackiert TNF aber auch gesundes Gewebe. Dies soll der künstlich hergestellte Antikörper verhindern. In einer Studie mit 1300 Patienten senkte er im Gesamtkollektiv die Sterblichkeit um 3,4 Prozent, bei Patienten mit einem hohen Interleukin-6-Spiegel sogar um 6,9 Prozent. In einem Jahr könnte die Substanz verfügbar sein, so Reinhart.

Der Mikrokosmos des Entzündungsgeschehens bietet noch viele weitere Ansätze, die in laufenden Studien geprüft werden. So zum Beispiel der Einsatz von TFPI (Tissue Factor Pathway Inhibitor), einer Substanz, die das Enzym Thrombin hemmt, das bei der Blutgerinnung eine wichtige Rolle spielt. Auch soll ein Antikörper den Zellrezeptor CD14 blockieren, der entzündliche Reaktionen vermittelt. Ferner sind Substanzen in der Erprobung, die Blutplättchenbildungsfaktoren abbauen sollen. Thrombozyten leiten die Blutgerinnung ein. Unternehmen wie Fresenius arbeiten an speziellen Blutwäscheverfahren, die bestimmte Giftprodukte von Bakterien auswaschen sollen. Und am Kantonspital Luzern setzen Experten auf die Gabe eines sogenannten C1-Inhibitors. Er hemmt bei der Aktivierung des Komplementsystems, einem Teil der Infektabwehr, das Spaltprodukt C1. Bei Sepsis-Patienten ist der C1-Inhibitor inaktiviert, in der Folge läuft die Entzündungsmaschinerie auf Hochtouren. Mit der Gabe der Substanz senkten die Schweizer im Tierversuch die Sterblichkeit septischer Mäuse.

Früherkennung könnte Kosten sparen

Neben neuen Behandlungsansätzen arbeitet die Forschung derzeit mit Hochdruck an der Früherkennung der Sepsis. Bislang stützen sich Intensivmediziner auf definierte Symptome wie den Bakterien-Nachweis in Blutkulturen, rektale Temperaturen über 38,5 Grad Celsius, deutlich erhöhte oder zu niedrige Leukozytenzahlen et cetera.

"An die Diagnose Sepsis wird dennoch vielfach zu spät gedacht. Folglich werden Antibiotika zu spät und nicht selten auch zu lang verordnet", kritisiert Reinhart. Das verursache zusätzliche Behandlungskosten. Deshalb sucht er nach Markern im Blut, die schon früh einen Hinweis auf die Entwicklung einer Sepsis liefern. Reinhart favorisiert dabei das in der Schilddrüse produzierte Procalcitonin, das mit fortschreitendem Organbefall ansteigt. Briegel in München setzt indes auf den an Entzündungsprozessen beteiligten Botenstoff Interleukin-6 (IL-6), der ebenfalls im Verlaufe einer Sepsis vermehrt nachgewiesen wird. Auch der Freiburger Oberarzt an der Universitätskinderklinik, Dr. Reinhard Berner, hat bei Neugeborenen mit dem IL-6-Test gute Erfahrungen gemacht.

Ob nun Procalcitonin oder IL-6 als "Frühwarnsystem" taugen, untersucht derzeit der Mikrobiologe Professor Dr. Jörg Köhl an der Medizinischen Hochschule in Hannover. Schwerpunktmäßig analysiert Köhl zur Frühdiagnose des Sepsis-Syndroms die Aktivierung des Komplementsystems. "Dessen kontinuierliche Aktivierung scheint auf ein Therapieversagen und einen ungünstigen Verlauf der Erkrankung hinzudeuten", sagt er. Das Komplementsystem ist ein Teil der Infektabwehr, der die Entzündungsprozesse steuert. Das System reagiert äußerst sensibel auf Angriffe von Bakterien. "Dabei entsteht das Spaltprodukt C3a", erklärt Köhl, der in einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Multicenterstudie mit 1000 Patienten die Brauchbarkeit von C3a als Marker bei Sepsis untersucht. Mehr noch: Es scheint, dass es sinnvoll ist, gleichzeitig auf C3a und Procalcitonin zu testen, und bei Patienten, die zwar die klinischen Symptome einer Sepsis zeigen, bei denen aber Bakterien als Ursache ausgeschlossen sind, eine Blutvergiftung auszuschließen.

Der Doppeltest könnte möglicherweise sowohl zur Differenzierung als auch zur Verlaufskontrolle bei Sepsis eingesetzt werden. Im Vordergrund aber steht zunächst die Frage: Kann man vor Auftreten von klinischen Symptomen überhaupt eine Sepsis nachweisen? "Hier scheint C3a geeignet, weil es sehr früh nachgewiesen werden kann", nennt Köhl den Vorteil gegenüber IL-6, das als Botenstoff erst im späteren Verlauf einer Entzündung nachweisbar ist.

Ein Test auf C3a der Firma Biognosis existiert bereits. Er gibt innerhalb von 20 Minuten Auskunft darüber, ob das Komplementsystem aktiviert ist. Köhl und Biognosis haben zudem einen Prototyp für einen Bedside-Test entwickelt, mit dem die Komplementaktivierung innerhalb von zehn Minuten direkt auf der Intensivstation messbar ist. Top

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