Pharmazie
Adjuvant, komplementär,
ergänzend oder alternativ? - Schon die Umschreibung der
Behandlungsmethode stiftet Verwirrung. Welche Rolle
spielt die Mistel in der Krebstherapie heute wirklich:
anthroposophischer Ansatz oder wissenschaftlich
orientiertes Medikament? Sind es die lange Zeit
diskutierten Viscotoxine, die wirken, oder die erst in
den letzten Jahren entdeckten Lektine oder beide? Diese
und andere Fragen erörterten Mediziner und
Wissenschaftler in Frankfurt bei einer Diskussion zum
Stellenwert von Tumorergänzungstherapien.
Heute beruht fast die Hälfte der adjuvanten pflanzlichen
Krebstherapien auf Mistelextrakten, erklärte Thomas Milz
bei der von Madaus unterstützten Veranstaltung in
Frankfurt. Fast 60 Prozent der Allgemein- und Hausärzte
setzen das eine oder andere Mistelpräparat zur
Tumorbehandlung ein.
Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden im Hinblick
auf die Mistelinhaltsstoffe und die zugrundeliegende
Lehre, betonte Dr. Markus Vollmuth, Allgemeinmediziner
aus Nürnberg, in der Diskussion. Harte Daten,
beispielsweise zur Dosis-Wirkungs-Beziehung, seien aber
nach wie vor dringend erforderlich. Trotzdem scheint die
lange Zeit anthroposophisch geprägte Misteltherapie auf
dem Weg in Richtung Schulmedizin. Zahlreiche
Inhaltsstoffe sind inzwischen bekannt; die lange Zeit
für die Wirkung verantwortlich gemachten Viscotoxine
sind durch die Entdeckung der Mistellektine 1 bis 3
zunehmend in den Hintergrund der Diskussion gerückt. Vor
10 Jahren waren die in den Blättern und unverholzten
Teilen der Mistel lokalisierten Lektine in keinem
Lehrbuch zu finden.
Hauptsache, es hilft - egal wie?
Die ganze Zeit ein falscher Erklärungsansatz für die
Wirkung des Halbparasiten? Die Mistellektine sind sehr
instabile Glykoproteine und wurden daher lange Zeit nicht
gefunden, erklärte Dr. Roger Limberg, Leiter des
medizinisch-wissenschaftlichen Referats Onkologie bei
Madaus. Im übrigen sei die Wirkung der Viscotoxine
zumindest in vitro durchaus plausibel zu erklären. Im
Reagenzglas wirken sie als Interkalatoren, Substanzen
also, die mit der Tumor-DNA wechselwirken. Im Zellkern
des Patienten seien die sehr komplexen Moleküle
allerdings wenig effektiv.
Nicht so die Lektine: Sie heften laut Limberg mit ihrer
A-Untereinheit bevorzugt an Tumorzellen an und leiten
dann die Apoptose, den natürlichen Zelltod, der
entarteten Zellen ein. Dabei entstehen apoptotische
Vesikel/ Zellfragmente, die die Immunabwehr (Makrophagen)
weiter stimulieren. Mit einem auf die Lektine
standardisierten Mistel-Injektionspräparat habe man nach
vierwöchiger Behandlung eine Steigerung der natürlichen
Killeraktivität bei den Patienten erreichen können,
berichtete er. Empfohlen werden 2,5 ml/kg Körpergewicht
zweimal pro Woche über mindestens drei Monate. Als
Injektionsorte werden Oberschenkel oder -arm empfohlen.
"Keinesfalls tumornah oder in den Tumor",
warnte Limberg.
Einstellung reicht nicht
"Allein mit der Standardisierung auf die
Lektine ist schulmedizinischen Ansprüchen keineswegs
Genüge getan", kritisierte Privatdozent Dr. Rolf
Muschter, Oberarzt an der Urologischen
Universitätsklinik des Klinikums Großhadern in
München. Ergebnisse aus randomisierten,
placebokontrollierten Studien gibt es bis heute nicht.
Gezeigt sei für das Mistellektinpräparat bislang nur
die Steigerung der immunologischen Tumorabwehr, räumte
auch Limberg ein. Abhilfe versprechen nach seinen Worten
jedoch derzeit in Kliniken und bei niedergelassenen
Ärzten laufende klinische Studien. Sie sollen die durch
Mistellektine erhoffte Verbesserung der Lebensqualität
belegen und Aussagen zu einer möglichen Senkung von
Zytostatikanebenwirkungen liefern. Geprüft wird darüber
hinaus auch ihre Kombination mit anderen Antitumormitteln
wie Tamoxifen.
PZ-Artikel von Bettina Schwarz, Frankfurt
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