Pharmazie
Wissenschaftler der Gesellschaft
für Biotechnologische Forschung in Braunschweig haben
aus einem Myxobakterium eine Substanz isoliert, die
ähnliche Eigenschaften wie das Krebsmedikament
Paclitaxel aufweist. In einigen Punkten schneidet die
Substanz mit dem Namen Epothilon sogar besser ab.
Sie waren eigentlich auf der Suche nach einem
Wirkstoff gegen Pilze, als sie auf ein mögliches
Krebsmedikament stießen: Die Arbeitsgruppen um die
Professoren Dr. Gerhard Höfle und Dr. Hans Reichenbach
der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF)
beschäftigten sich schon seit einigen Jahren mit der im
Erdboden weit verbreiteten Gruppe der Myxobakterien.
Werden diese Organismen im Labor kultiviert, bilden sie
eine Reihe von Sekundärmetaboliten, die vielfach völlig
neuartige Grundstrukturen aufweisen. Diese
Stoffwechselprodukte zeigen zudem oft auffällige
biologische Wirkungen: Sie sind antibakteriell,
antimykotisch und zelltoxisch.
Einer der gescreenten Stämme der Art Sorangium
cellulosum stammt vom Ufer des Sambesiflusses in
Südafrika. Die Bakterien produzieren ein Makrolid, das
nicht nur tödlich für einige Pilzkulturen ist, sondern
auch auf tierische Zellen in Kultur überaus toxisch
wirkt. Die Forscher an der GBF haben die Struktur
aufgeklärt und es entsprechend der typischen Bausteine
Epoxid, Thiazol und Keton Epothilon getauft. "Ein
einzigartiger Makrolidtyp, von dem bis dato keine
analogen Verbindungen in der Literatur beschrieben
waren", sagt Höfle.
Epothilon wurde daraufhin am National Cancer Institute
(NCI) in den USA genauer unter die Lupe genommen. Dabei
unterlagen 60 unterschiedliche Tumorzellinien der
zelltötenden Wirkung von Epothilon. Besonders effektiv
war die Wirkung auf Zellen aus Brust- oder
Dickdarmtumoren. Bei unabhängigen Untersuchungen konnte
ein Forscherteam der Merck Sharp & Dohme Research
Laboratories nachweisen, daß die Wirkung von Epothilon
der von Paclitaxel sehr ähnlich ist. Diese Substanz
wurde vor etwa 20 Jahren entdeckt und wird seit fünf
Jahren in der Tumortherapie mit Erfolg eingesetzt.
Sowohl Paclitaxel als auch Epothilon unterdrücken die
Zellteilung, indem sie den Abbau der Mikrotubuli
verhindern. Beide greifen möglicherweise an der gleichen
Bindestelle an und blockieren dadurch etwa ähnlich
effektiv den dynamischen Auf- und Abbau der Mikrotubuli.
Die Transportbänder der Zelle können sich nicht mehr
kontrahieren und die Chromosomen zu den Polen ziehen: die
Zellteilung bleibt aus.
In den In-vitro-Studien zeigten zwar beide Substanzen
eine ähnliche Wirksamkeit. Weiterführende
Untersuchungen erbrachten jedoch, daß Epothilon einige
Vorteile hat: Gegen multiresistente Zellen zeigt es eine
2000- bis 5000fach höhere Wirkung. Paclitaxel wird durch
das Entgiftungssystem dieser Zellen, das
P-Glykoprotein-Transportsystem sehr schnell aus der Zelle
eliminiert. Für Epothilon scheint das nicht oder nur
begrenzt zuzutreffen. Darüber hinaus ist Epothilon
besser wasserlöslich und damit als Arznei leichter zu
applizieren als Paclitaxel.
Ein weiterer, ganz entscheidender Vorteil ist die
Gewinnung des Wirkstoffes. Paclitaxel wird mittlerweile
teilsynthetisch hergestellt, da die Eibenrinde nicht
genügend Wirkstoff liefert. Aber auch diese Teilsynthese
aus einer aus Eibennadeln gewonnenen Vorstufe ist sehr
aufwendig. Epothilon kann zum Fermentationsprozeß in
größeren Mengen und relativ günstig produziert werden,
zum anderen ist aber auch schon die Totalsynthese
gelungen.
Das Wettrennen um die Entwicklung eines neuen
Krebsmittels ist bereits in vollem Gange. Die GBF
verhandelt mit einigen Pharmafirmen, die Patent samt
biotechnologischem Produktionsverfahren übernehmen
möchten. Gleichzeitig wird weltweit versucht, Derivate
von Epothilon synthetisch herzustellen. Von den Forschern
der GBF wurden zwei Derivate beschrieben: das nicht
methylierte Epothilon A und das um den Faktor 2
wirkungsvollere methylierte Epothilon B. Andere Derivate
wären nicht nur ein Umweg um das GBF-Patent, sondern
vielleicht auch wirkungsvoller als der Naturstoff.
Mittlerweile gibt es bereits erste In-vivo-Studien
(Ergebnisse noch unveröffentlicht), die vielversprechend
sind. Dennoch ist es ein langer Weg bis in die klinische
Prüfung. Wenn alles gut geht, die Nebenwirkungsrate sich
als akzeptabel erweist, wird Epothilon wohl frühestens
in fünf Jahren als Antikrebs-Wirkstoff erhältlich sein.
PZ-Artikel von Judith König, Hamburg
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