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Trends in der Therapie

10.02.2003  00:00 Uhr
Brustkrebs

Trends in der Therapie

von Brigitte M. Gensthaler, Rottach-Egern

Brustkrebs tritt weltweit immer häufiger auf. In der westlichen Welt erkrankt im Durchschnitt jede 8. bis 10. Frau. Allein in Deutschland sind es rund 46 000 jedes Jahr, und viele sterben daran. Grund genug für Wissenschaftler und Ärzte, intensiv nach neuen, besseren Therapien zu suchen.

Beim San Antonio Breast Cancer Meeting trafen sich im letzten Dezember etwa 5000 Brustkrebsexperten zu ihrem Erfahrungsaustausch. Trends aus San Antonio wurden kürzlich bei einem Seminar der Aventis Pharma in Rottach-Egern diskutiert. In den aktuellen Studien zeichnen sich Entwicklungen ab, die die Therapie verändern können:

  • Die primär systemische Chemotherapie soll einen Tumor vor der Operation zum Schrumpfen bringen. Ziel ist es, Brust erhaltend operieren zu können.
  • Taxane sind auf dem Vormarsch. Dies gilt für die neoadjuvante, adjuvante und palliative Therapie.
  • Das bewährte Antiestrogen Tamoxifen bekommt Konkurrenz vom Aromatasehemmer Anastrozol bei der Behandlung von Frauen nach den Wechseljahren.

Chemotherapie schon vor der OP

Die primär systemische, „neoadjuvante“ Therapie (PST) ist seit etwa 20 Jahren Standard bei Karzinomen, die nicht mehr operiert werden können. Bei inflammatorischen Tumoren biete sie derzeit die einzige Therapieoption, erklärte Professor Dr. Jens-Uwe Blohmer von der Frauenklinik der Charité in Berlin. Doch auch bei operablen Tumoren kann sie Vorteile bringen. Frauen, bei denen nach einer präoperativen Chemotherapie kein Resttumor mehr nachweisbar war (pathologische Komplettremission), überlebten länger.

Ein weiteres Ziel ist es, das Volumen großer Tumoren soweit zu reduzieren, dass eine Brust erhaltende Operation möglich ist. In einer Studie mit mehr als 1500 Patientinnen stieg diese Rate bei den Frauen, deren Tumor größer als 3 cm war, von 8 auf immerhin 22 Prozent. Allerdings musste jede fünfte Frau nochmals operiert werden; die Prognose wurde nicht beeinflusst. Dennoch rät der Arzt bei operablen Tumoren zu einer präoperativen Chemotherapie. In der Praxis würden jedoch viele Frauen auf eine sofortige Operation drängen, da sie Angst haben, dass der Tumor in den vier Therapiemonaten zu wuchern beginnt. Dies sei nicht bewiesen.

Große Studien, viele Fragen

Eine der bislang größten Studien zur primär systemischen Therapie ist die Geparduo-Studie. Mehr als 900 Patientinnen erhielten entweder über acht Wochen ein dosisdichtes Therapieregime aus Adriamycin (Doxorubicin) plus Docetaxel oder über 24 Wochen eine sequentielle Therapie mit Adriamycin plus Cyclophosphamid, gefolgt von Docetaxel.

Das längere Schema mit drei Zytostatika war bei allen Zielkriterien tendenziell überlegen, resümierte Privatdozent Dr. Gunter von Minckwitz, Universitätsfrauenklinik in Frankfurt. 86 Prozent der Frauen erreichten damit klinisch eine Remission, 22 Prozent auch eine pathologische Komplettremission. Drei Viertel konnten Brust erhaltend operiert werden (gegenüber 65 Prozent der Frauen im verkürzten Schema). Allerdings war die Dreifachkombination auch deutlich toxischer. Warum sie letztlich besser wirkte, kann die Studie nicht erklären, da sich die Regime zu sehr in Therapiedauer, kumulativer Dosis und Applikationsweise unterschieden, sagte der Arzt.

In die Folgestudie Gepartrio (dreiarmig angelegt, daher der Name „trio“) sollen 2100 Patientinnen aufgenommen werden. Nach ersten Zwischenergebnissen erreichten 72 Prozent von 376 Frauen nach zwei Zyklen mit Docetaxel, Doxorubicin und Cyclophosphamid (TAC) eine klinische Remission. Nach dieser „Startphase“ erhalten Responder weitere vier Zyklen; Non-Responder bekommen entweder ebenfalls weiter TAC oder Vinorelbin plus Capecitabin. Das TAC-Regime war zwar wirksam, löste aber häufig Neutropenien und Infektionen aus.

Noch sind viele Fragen zur primären Chemotherapie offen, resümierten die beiden Chairmen Professor Dr. Walter Jonat vom Uni-Klinikum Kiel und Professor Dr. Wolfgang Eiermann von der Münchner Frauenklinik vom Roten Kreuz. Man weiß nicht, welche Arzneimittelkombination die Rate an pathologischen Komplettremissionen weiter erhöhen könnte. Taxane seien in dieser Phase nur bei Frauen mit Hormonrezeptor-negativen Tumoren überlegen gewesen. Der Stellenwert von Tamoxifen bei rezeptorpositiven Frauen sei „völlig unklar“.

Anastrozol versus Tamoxifen

In der adjuvanten Therapie, also nach Operation und/oder Bestrahlung und/oder Chemotherapie, hat Tamoxifen dagegen seinen festen Platz bei Frauen, die nach den Wechseljahren an einem Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs erkrankt sind. Das Antiestrogen soll den Tumor von seinem wichtigsten Wachstumsstimulus, dem Estrogen, abschneiden.

In der großen, auf fünf Jahre angelegten ATAC-Studie mit 9366 Frauen macht Anastrozol dem bisherigen Goldstandard Konkurrenz. Nach vier Jahren hatten weniger Frauen in der Anastrozol-Gruppe Lokalrezidive oder Fernmetastasen bekommen als unter Tamoxifen, berichtete Professor Dr. Bernd Gerber von der Universitätsfrauenklinik München. Die Kehrseite der Medaille: abnehmende Knochendichte und mehr Frakturen. Vermutlich habe der Aromatasehemmer keinen Effekt auf den Knochen, während Tamoxifen protektiv wirkt. Eine zusätzliche Bisphosphonat-Gabe könnte den Knochenstoffwechsel günstig beeinflussen.

Bevor nicht die endgültigen Daten der ATAC-Studie vorliegen, sieht Jonat „keinen Grund, auf Tamoxifen bei postmenopausalen Frauen zu verzichten“.

Anthrazykline als Standard

Auch die adjuvante Chemotherapie hat ihren Nutzen in großen Studien belegt. Anthrazyklin-haltige Regime gelten als Standard, da sie das Überleben verlängern können. Die Dreierkombination aus 5-Fluoruracil (F), Epirubicin (E) und Cyclophosphamid (C) schnitt gegenüber der konventionellen CMF-Therapie („M“ steht für Methotrexat) signifikant besser ab. CMF wird nur für Frauen mit günstiger Prognose empfohlen. Wichtig ist jedoch die optimale Dosierung der Anthrazykline, betonte Privatdozent Dr. Carsten M. Oberhoff vom Universitätsklinikum Essen. Als Untergrenze nannte er wöchentlich 30 mg Epirubicin pro m2 Körperoberfläche (KOF) und 20 mg Doxorubicin pro m² KOF.

Inzwischen drängen Taxane (Paclitaxel, Docetaxel) nach vorne. Doch es ist noch offen, ob Patientinnen damit länger leben als mit Anthrazyklinen. Die Studien sind widersprüchlich. Die Kombination aus Docetaxel, Doxorubicin und Cyclophosphamid, kurz TAC, konnte das krankheitsfreie Überleben nur bei Frauen, bei denen höchstens drei Lymphknoten befallen waren, signifikant verlängern. Das Vergleichsschema (FAC) enthielt 5-Fluorouracil anstelle des Taxans. In der TAC-Gruppe litten jedoch mehr Frauen an fiebrigen Neutropenien.

Der Gynäkologe zog ein klares Fazit: In der adjuvanten Therapie sollte man Taxane nur bei Frauen mit wenigen befallenen Lymphknoten und negativem Hormonrezeptorstatus und möglichst nur in klinischen Studien einsetzen.

Die Lebensqualität erhalten

Hat der Krebs bereits Metastasen gebildet, ist keine Heilung mehr möglich. „In der Palliativsituation hat die Hochdosistherapie keinen Platz mehr“, betonte Dr. Björn Lisboa, Oberarzt an der Frauenklinik der Universität Hamburg. Vielmehr soll die Therapie tumorbedingte Beschwerden lindern und eine möglichst gute Lebensqualität sichern. Die Behandlung solle sich nach den individuellen Erwartungen und Wünschen der Patientin richten, riet er. „Klären Sie wahrheitsgemäß auf.“

Bei Frauen mit Hormonrezeptor-positivem Krebs steht die endokrine Therapie an vorderster Stelle. Vor den Wechseljahren gibt man Gonadorelin-Analoga (Gn-RH-Analoga) plus Tamoxifen oder Aromatasehemmer, nach den Wechseljahren nur einen der zuletzt genannten Stoffe. Sind diese Arzneistoffe wirkungslos oder nicht angezeigt, kann man auch palliativ Chemotherapeutika einsetzen. Anthrazykline und Taxane gelten hier als Standard. Dabei ist abzuwägen: Kombinationstherapien erzielen höhere Remissionsraten, sind aber stärker toxisch und mindern die Lebensqualität. Haben die Frauen bereits erfolglos Anthrazykline bekommen, wird das Spektrum enger. Taxane, Capecitabin, liposomal verpacktes Doxorubicin und Vinorelbin stehen zur Auswahl.

Künftig wird es immer mehr Frauen geben, bei denen weder Anthrazykline noch Taxane das Krebswachstum stoppen konnten, erklärte Lisboa. In dieser Situation sei es schwierig, noch wirksame Chemotherapeutika zu finden. Der rekombinante Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) bietet eine gute Möglichkeit für Patientinnen, deren Tumor den humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor Typ 2 (HER-2) überexprimiert. Auch schwer kranke Frauen konnten damit länger überleben. Wenn diese Therapie anschlägt, solle man den Antikörper möglichst lange „bis zum Progress“ geben, riet Jonat.

Trastuzumab kann auch bei Hirnmetastasen helfen. Eine Bestrahlung macht die Blut-Hirn-Schranke für den Wirkstoff durchlässig für den Antikörper, so Eiermanns Erfahrung. Damit könnten manche Frauen sehr lange überleben.

Bislang hat die Diagnose Brustkrebs nichts von ihrem Schrecken verloren. Die heimtückische Erkrankung ist die führende Krebstodesursache bei Frauen in Europa, und auch bei den Neuerkrankungen liegt sie an der Spitze. Nach wie vor ist die Prognose am besten, wenn der Tumor früh erkannt wird. Die meisten Geschwulste entdecken die Frauen selbst beim Abtasten der Brust, doch dann sind die Knoten oft schon 2 cm groß. Ein flächendeckendes Mammographie-Screening durch erfahrene Ärzte könnte den entscheidenden Fortschritt bringen. Top

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