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Antiviral und analgetisch behandeln

10.01.2005  00:00 Uhr
Herpes zoster

Antiviral und analgetisch behandeln

von Brigitte M. Gensthaler, München

Das Varicella-zoster-Virus ist nicht nur hoch infektiös, sondern auch hartnäckig. Die meisten Menschen infizieren sich als Kinder. Doch das Virus überdauert lebenslang in den Ganglien und kann – meist bei älteren und immungeschwächten Personen – eine Gürtelrose (Zoster) auslösen. Jetzt ist eine schnelle und konsequente antivirale und analgetische Therapie nötig.

Dem Varicella-zoster-Virus (VZV) kann man kaum entgehen: Ab dem 12. Lebensjahr sind mehr als 90 Prozent der Menschen damit infiziert. Kinder und Erwachsene erleiden beim Erstkontakt mit dem Virus die Windpocken, die aber als typische Kinderkrankheit gelten. Ebenso kann die Zweitmanifestation, der Zoster, in jedem Lebensalter auftreten, doch steigt die Häufigkeit mit höherem Alter drastisch an. Die nachlassende zellvermittelte Immunabwehr sowie immunschwächende Umstände wie Stress, Infektionen, chronische Krankheiten oder Operationen erlauben dem persistierenden Virus den erneuten Ausbruch.

Da die Menschen immer älter werden und häufig an schweren Grundkrankheiten leiden, steige das Risiko für eine Zoster-Erkrankung, berichtete Dermatologe Dr. Volker Kunzelmann vom Hautzentrum Wusterwitz bei einer Pressekonferenz der Berlin-Chemie AG im Dezember in München. Ebenso beobachten die Ärzte häufiger atypische Verläufe, zum Beispiel bei immungeschwächten Kindern oder Erwachsenen mit Krebs oder Diabetes. Wie sich die Varizellen-Impfung auf das Auftreten des Zoster auswirken wird, ist bislang völlig unbekannt.

Qualvolle Schmerzen

Gefürchtet sind die Zoster-Komplikationen am Nervensystem, vor allem die Schmerzen. Sie plagen die Patienten in der Akutphase der Erkrankung, können aber auch Tage bis Monate später auftreten. Die postherpetische oder postzosterische Neuralgie (PZN) kann chronifizieren und lebenslang fortbestehen.

Etwa 10 bis 20 Prozent aller Patienten erleiden eine PZN, wobei ältere Menschen sehr viel häufiger betroffen sind. „Ab dem 50. Lebensjahr steigt das Risiko dramatisch an“, sagte Dr. Uwe Kern vom Fachbereich Neurologie der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden. Knapp die Hälfte der über 60-Jährigen und drei Viertel der über 70-Jährigen entwickeln eine Postzoster-Neuralgie. Tritt die Infektion im Gesicht, auf Brust und Rücken auf, steigt ebenfalls das Risiko für die brennenden, juckenden oder drückenden Schmerzen und Missempfindungen.

Die PZN soll die häufigste Ursache von unerträglichen Schmerzen im Alter und Suiziden bei Menschen über 70 Jahren sein, sagte der Anästhesist und Allgemeinmediziner. Bei längerem Verlauf könne eine chronische Schmerzkrankheit mit Depression, Angst, Rückzug und Isolation resultieren.

Sofort antiviral therapieren

Ziel der Therapie ist es, die Schmerzen in der Akutphase zu lindern, die Ausdehnung und Dauer des Hautbefalls zu begrenzen und die PZN oder andere Komplikationen zu verhindern. Daher basiert sie auf zwei Säulen und muss möglichst rasch einsetzen (Tabelle 1). Die lückenlose antivirale Therapie soll entzündliche Nervenschäden eindämmen, die konsequente Gabe von hochwirksamen Analgetika die periphere und zentrale Sensibilisierung verhindern, erklärte Kern. Abhängig vom Stadium des Exanthems wird auch lokal austrocknend oder antiseptisch behandelt. Antivirale Substanzen extern aufzutragen, ist nutzlos.

 

Tabelle 1: Indikationen zur systemischen antiviralen Therapie des Zoster

Indikation Patient, Lokalisation dringend ab dem 50. Lebensjahr (alle Lokalisationen)
Zoster an Kopf und Hals (Befall der Hirnnerven: Z. ophthalmicus oder oticus)
schwerer Zoster am Stamm oder den Extremitäten
Patienten mit Immundefizienz, malignem Grundleiden, schwerer atopischer Dermatitis oder ausgedehnten Ekzemen relativ Zoster am Stamm oder den Extremitäten bei Patienten unter 50 Jahren

Beide Tabellen: Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft;
Arbeitsgruppe Dermatologische Infektiologie; Stand Dezember 2000

 

Die Gabe von Virustatika muss innerhalb von 48 bis maximal 72 Stunden nach Beginn der Hautsymptome beginnen. Dafür sind in Deutschland Aciclovir und sein Prodrug Valaciclovir, Famciclovir und Brivudin zugelassen. Alle werden peroral verabreicht; nur Aciclovir kann, zum Beispiel bei immundefizienten Patienten, auch gespritzt werden. Brivudin hat bei VZV-Infektionen eine erheblich größere antivirale Potenz als Aciclovir und seine Analoga und muss nur einmal täglich gegeben werden (Tabelle 2).

 

Tabelle 2: Antivirale Therapie des Zoster; Therapiedauer jeweils 7 Tage

Arzneistoff Einzeldosis (mg) Einzelgaben pro Tag Aciclovir 800 p.o.
5-7,5 i.v.* 5
3 Valaciclovir 1000 p.o. 3 Famciclovir 250 p.o. 3 Brivudin 125 p.o. 1

*) bei immundefizienten Patienten: 3 x täglich 8-10 mg i.v. über 7 bis 10 Tage

 

In der Behandlung des akuten Schmerzes sei Brivudin in Studien dem Aciclovir signifikant überlegen und gleich wirksam wie Famciclovir und Valaciclovir gewesen, berichtete Dr. Robert Brinkmann von der Berlin-Chemie. Zudem könne es Spätfolgen zuverlässiger verhindern. In einer Beobachtungsstudie traten in der Brivudin-Gruppe deutlich weniger postherpetische Neuralgien auf als unter Aciclovir (32 versus 43 Prozent). In einer großen Studie mit mehr als 2000 Patienten verhinderte Brivudin eine PZN ebenso gut wie Famciclovir.

Unerlässlich für die Beratung: „Fragen Sie den Patienten mit einer Brivudin-Verordnung unbedingt, ob er eine Zytostatika-Therapie bekommt“, betonte Brinkmann. Das Virustatikum darf keinesfalls zusammen mit 5-Flourouracil (5-FU) verabreicht werden, da sein Hauptmetabolit die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase hemmt, die wiederum den Abbau von 5-FU reguliert. Die Kumulation von 5-FU erhöht dessen Toxizität und kann zum Tod führen. Diese Kontraindikation gilt für alle 5-FU-Darreichungsformen und seine Prodrugs wie Capecitabin und Tegafur sowie für andere 5-Fluoropyrimidine wie Flucytosin.

Kurzzeitig kombinieren

Breitet sich das Virus am Kopf aus, droht akute Gefahr für Auge und Ohr. Daher müsse ein Patient mit Zoster ophthalmicus oder oticus unabhängig vom Alter auf jeden Fall behandelt werden, betonte Kunzelmann. Der erste Behandler habe die besten Chancen für eine erfolgreiche Therapie.

Unter Umständen ist es schwierig, an Hand der Hautsymptome in der Nähe von Auge oder Ohr eine virale von einer Bakterien- oder Pilzinfektion sicher abzugrenzen. Bislang gibt es keinen Laborparameter zur sicheren Differenzialdiagnose eines Zoster. Daher sei in Zweifelsfällen eine kalkulierte Kombitherapie für einen Tag vertretbar. Diese beinhaltet ein Virustatikum, ein Antibiotikum (Penicillin), ein Glucocorticoid sowie in seltenen Fällen (bei Verdacht auf Aspergillus-Befall am Ohr) auch ein Antimykotikum. Innerhalb von 24 Stunden wird die Therapie mittels der Diagnostik präzisiert.

Konsequente Analgesie

Zur Bekämpfung des Akutschmerzes sollen die Patienten „frühzeitig und hoch dosiert“ peripher und/oder zentral wirksame Analgetika bekommen, plädierte Kern. Dies verhindere die Prägung eines Schmerzgedächtnisses.

Während im Akutstadium eher akut-entzündliche Schmerzen vorherrschen, dominieren im Laufe der Chronifizierung (nach drei bis sechs Monaten) hauptsächlich neuropathische Schmerzen. Hier sind Antikonvulsiva wie Gabapentin und Pregabalin gut wirksam. Zu Carbamazepin gebe es keine kontrollierten Studien, aber „gute Erfahrungen“. Unter den Antidepressiva wirken Trizyklika wie Amitriptylin und Desipramin gut gegen die Zosterschmerzen, während selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI) die Erwartungen enttäuschten.

Auf Opioide sprechen nur zwei Drittel der Patienten an, dennoch seien sie die Mittel der ersten Wahl bei schweren Schmerzen, sagte Kern. Oxycodon bringe möglicherweise Vorteile. Orale Corticoide sind wirkungslos, die rückenmarksnahe Applikation in Einzelfällen sinnvoll. Die topische Anwendung von Acetylsalicylsäure (in Chlorethyläther oder Vaseline), Lidocain oder Capsaicin eigne sich selten für die Dauerbehandlung. Allerdings könne man mit Lidocain-Pflastern Patienten mit Allodynie, die schon bei leichter Berührung, zum Beispiel durch Kleidung, Schmerzen empfinden, eine „Phase des Luftholens“ im Dauerschmerz verschaffen. NMDA-Antagonisten wie Ketamin und Amantadin seien viel versprechend, aber noch nicht ausreichend geprüft.

Die Therapie mit Antikonvulsiva und Antidepressiva muss oft lebenslang erfolgen, betonte der Arzt. Wenn jedoch Monate lang eine gute Schmerzreduktion gelingt, könnten sich die Patienten erholen und der „psychische Schmerz“ bessere sich. Dann könne man nach etwa sechs Monaten versuchen, die Medikation auszuschleichen und eine Intervalltherapie zu beginnen. Top

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